Mit Werder Bremen wurde Borowka zwei Mal Deutscher Meister – trotz Sucht. Foto: VOX/Spiegel TV

Im Live-Talk spricht der Ex-Fußballer Uli Borowka offen über seine Alkoholsucht und wie er es geschafft hat, seit 22 Jahren trocken zu bleiben. Die jetzige Corona-Pandemie macht ihm allerdings große Sorgen.

Seine fußballerische Bilanz kann sich sehen lassen: Zwei Mal wurde Uli Borowka mit Werder Bremen Deutscher Fußballmeister (1988 und 1993), zwei Mal gewann er den DFB-Pokal (1991 und 1994) und 1991 sogar den Europapokal der Pokalsieger. Auch für die Nationalmannschaft stand er sechs Mal auf dem Platz. Er galt als einer der härtesten Zweikämpfer seiner Zeit, trug wahlweise den Spitznamen „Eisenfuß“ oder „Axt“. Doch gegen seinen härtesten Gegner hätte er den Zweikampf fast verloren: den Alkohol. Darüber, wie er seine Sucht letztlich doch besiegte, sprach er offen im Live-Talk unserer Zeitung am Montag. Die Gesprächsrunde ist Teil der Reihe „Hürden gesund meistern“, die in Zusammenarbeit mit der AOK Stuttgart-Böblingen entsteht.

Während seiner aktiven Zeit hing Borowka regelmäßig an der Flasche, brachte aber auf dem Platz stets seine Leistung. Wie hat er das so lange ausgehalten? „Wir leben ja in einer Leistungsgesellschaft. Und wer Leistung bringt, kann auch gerne einmal die Woche besoffen vom Stuhl fallen“, sagt er. Da er spielerisch immer funktioniert habe, hätte sein Umfeld die Sucht ebenso verdrängt wie er selbst: „Wenn ich mal unter der Woche mit einer Fahne zum Training gekommen bin, wurde der Mantel des Schweigens darüber gelegt.“ In den 16 Jahren als Profi kam Borowka nicht vom Alkohol los.

„Ich war früh Bundesligaspieler bei Borussia Mönchengladbach, hatte aber von Anfang an Versagens- und Existenzängste“, erzählt der 59-Jährige offen. Über seine Gefühle habe er nicht reden können, sie daher lieber mit Alkohol zugeschüttet. „Als Bundesligaspieler kann ich nicht sagen, dass ich Gefühle habe, wo kommen wir denn da hin? Da lachen mich ja die Leute aus“, sagt er über seine damalige Logik, die ihn aber immer tiefer in die Suchtspirale trieb.

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Erst Jahre später und nach dem Ende seiner Karriere konnte er sich den Alkoholismus eingestehen, hätte die Sucht aber fast mit dem Leben bezahlt. Im Jahr 2000 stürzt er volltrunken von einer Brücke, fällt nach eigenen Angaben über sechs Meter tief und zieht sich schwere Kopfverletzungen zu. Als er am nächsten Morgen blutüberströmt und noch immer betrunken in die Geschäftsstelle von Borussia Mönchengladbach einläuft, organisieren ihm Weggefährten einen Platz in einer Suchtklinik. Borowka: „Da lag ich dann mit fünf anderen im Zimmer, die alle ans Bett gefesselt waren.“ Erst nach drei Wochen konnte er sich vor dem Spiegel eingestehen: „Uli, du bist Alkoholiker.“

Nach vier Monaten verlässt er die Klinik und lebt seitdem abstinent, was keineswegs leicht ist: „Ich bin gefährdet bis ans Lebensende“, sagt er. Und kritisiert, wie omnipräsent der Alkohol in der Gesellschaft nach wie vor sei: „Alkohol ist ein Kulturgut“, sagt Borowka, der sich zum Teil als trockener Alkoholiker noch immer rechtfertigen müsse, nichts trinken zu wollen. Borowka: „Teilweise haben mir Leute sogar hinter meinem Rücken was ins Glas gekippt, das muss man sich mal vorstellen.“

Erwachsene oft keine Vorbilder

Den Kampf gegen die Sucht führt er seitdem an vielen Fronten. Mit anderen gründete er einen Verein zur Suchtprävention, der seinen Namen trägt. Er berät Profisportler, die ebenfalls Suchtprobleme haben. Borowka geht aber auch an Schulen oder tritt als Redner bei Firmen oder Verbänden auf; im Jahr 2012 veröffentlichte er seine Autobiografie mit dem Titel „Volle Pulle“. Doch bei seiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist er manchmal erstaunt, wie wenig manche Eltern als Vorbild taugten: „Wenn ich am Sonntag um 10 Uhr zu einem Jugendspiel komme und von 20 Eltern am Spielfeldrand haben zehn ein Bier in der Hand, dann frage ich mich, was das mit einer Vorbildfunktion zu tun hat.“

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Borowka sucht daher den Kontakt zu Schulen und spricht vor den Kindern offen über seine ehemalige Sucht. „Wenn ich zu denen gehe und meine Geschichte erzähle, sind die 90 Minuten lang still. Ich denke, das sagt auch was aus“, sagt er. Trotzdem werde das Problem im Profisport noch immer totgeschwiegen. Borowka: „Was dem Profisport abträglich ist, wird unter die Decke gekehrt.“ Zwar habe sich in den vergangenen Jahren „ein bisschen“ was geändert, doch psychische Erkrankungen und Sucht seien im Sport bisher kaum aufgearbeitet. Vor allem die Spielsucht sei ein Problem, die Dunkelziffer hoch und die Tendenz steigend.

Corona habe die Lage verschlimmert, Borowka sieht eine Welle auf die Gesellschaft zurollen, „die im Tsunami enden wird“. Trotzdem gebe es immer wieder Erfolgserlebnisse: Fußballer, die er beraten habe, seien von ihrer Sucht losgekommen und hätten ihr Leben wieder in den Griff bekommen. „Da kommen einem dann die Tränen, wenn man im Stadion sitzt und sieht, wie die wieder ihre Tore schießen.“