Straßenkatzen in Deutschland? Viele Menschen scheinen das nicht zu wissen. Heruntergekommene Katzen sieht man doch nur im Ausland. Doch die Not der hier lebenden Tiere ist genauso groß – und fast alle sind krank.
Die kleinen Kätzchen sind struppig, sie blicken misstrauisch aus ihrer Transportbox. Kein Wunder, sind sie doch eingefangen und aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen worden. Aber aus gutem Grund: Die beiden Kater Flitzi und Stöpsel, Mitte Mai und Anfang Juli geboren, sind Straßenkatzen – abgemagert, krank, geschwächt.
Das traurige Leben von Streunerkatzen
Straßenkatzen sind immer auf der Suche nach Futter – ausgemergelt und verwahrlost, geschwächt und ungeimpft, von Parasiten geplagt. Unheilbare Krankheiten wie der Feline Immunodeficiency Virus (FIV, auch Katzenaids genannt) breiten sich unter streunenden Katzen schnell aus. Auch vor Hauskatzen, die mit Streuern in Kontakt kommen, machen Krankheitserreger nicht Halt.
Zwei Millionen Straßenkatzen in Deutschland – und fast alle sind krank
Ihr Elend lässt sich kaum vermitteln. Und das ist das Dilemma: Denn im Tierheim Burgdorf bei Hannover, dessen Helfer nächtelang unterwegs sind, um Straßenkatzen einzufangen, werden sie aufgepäppelt und wirken schnell so, wie kleine Katzen immer wirken: einfach süß.
Aber die Streuner, die auf der Straße leben, sind gebeutelt. Sie hungern, weil sie kaum in der Lage sind, genug für sich zu jagen, sie geben Krankheiten weiter und haben auf ihren Streifzügen oft Unfälle. Verletzt verstecken sie sich, ihre Wunden eitern und sind irgendwann voller Fliegenmaden, wie Diandra Boczek, die Leiterin des Tierheims, sagt.
Bundesweit gebe es mindestens zwei Millionen Straßenkatzen, fast alle seien krank und unterernährt, die meisten würden nicht alt, schätzt Lea Schmitz, die Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes.
Nachkommen von Freigängerkatzen
„Mittlerweile ist man nur noch wütend“, sagt Diandra Boczek. Anfangs sei sie wegen der hohen Zahlen erschrocken gewesen. „Dann war da nur noch Wut.“ Wut auf gedankenlose oder gleichgültige Katzenhalter, die ihre Tiere unkastriert nach draußen ließen. Denn die Straßenkatzen, das seien meist die Nachkommen dieser sogenannten Freigängerkatzen.
Und für deren Wohlergehen „fühlt sich niemand verantwortlich“. Täglich erhalte sie Anrufe von Menschen, die ihre Katzen vermissten. Oft seien diese weder kastriert noch registriert und hätten auch keinen Mikrochip mit Kontaktdaten unter der Haut. Das mache sie fassungslos.
Zahl der herrenlosen Tiere wächst unaufhörlich
So wächst das Heer der Straßenkatzen unaufhörlich. Etwa in Niedersachsen geht der Landestierschutzverband von mindestens 200 000 Katzen ohne menschliche Betreuung aus – Tendenz steigend. Auch in Bayern sind die vielen Straßenkatzen ein Problem, vor allem auf dem Land.
Etwa 300 000 könnten es dem bayerischen Tierschutzbund zufolge im größten deutschen Flächenland sein. Genaue Zahlen habe sie nicht, die Tiere seien scheu und mieden Menschen, erklärt Präsidentin Ilona Wojahn. „Sie leben im Verborgenen, oft in Industriebrachen, in verlassenen Gebäuden, auf Friedhöfen, Schrebergärten und so weiter.“
Pflegestellen sind Mangelware
Nach Erfahrung von Katja Hofrichter kennen viele Menschen hierzulande streunende Katzen nur aus dem Ausland. Dass auch hier Katzen unter erbärmlichen Bedingungen auf der Straße lebten, sei vielen unbekannt. Seit drei Jahren arbeitet sie ehrenamtlich bei der Katzenhilfe im Nürnberger Land, sucht Pflegestellen für kranke Tiere, begleitet diese zum Tierarzt und nimmt selbst geschwächte Katzen bei sich auf.
„Es ist eigentlich uferlos“, berichtet Hofrichter. Sobald sie eine Katze aufgepäppelt habe, komme die nächste. Ähnlich ist es im Nürnberger Tierheim, wo rund 120 Katzen auf ein neues Zuhause warten.
Tierheime sind bis zum Bersten gefüllt
Tierheime und Tierschutzvereine kommen nach Einschätzung des Präsidenten des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, bei Kastration und Versorgung der Tiere an ihre Grenzen. „In diesem Jahr sind wir alle abgesoffen“, sagt die Vorsitzende der Katzenhilfe Hannover, Frauke Ruhmann.
Ein Grund: Die Corona-Pandemie und der zweite Lockdown, als sich viele Menschen ein Haustier anschafften, darunter auch Katzen. Viele dieser Tiere seien dann bald auf der Straße gelandet, oft nicht kastriert. Viele Katzenbesitzer scheuen die gestiegenen Tierarztkosten. Und ein weiterer Grund: Viele Kommunen sind auch nicht willens, die gesetzlich vorgeschriebene Kastrationspflicht umzusetzen.
Mannheim: Registrierung, aber keine Kastrationspflicht
Ein Beispiel, wie man es besser machen kann, ist Mannheim. In Baden-Württembergs zweitgrößter Stadt gilt seit dem 22. Juni 2023 eine Katzenschutzverordnung. Seitdem müssen Katzenhalter ihre Tiere registrieren lassen. Ziel ist eine unkontrollierte Vermehrung der Tiere und damit einhergehendes Leid einzudämmen. Kritikern fehlt allerdings eine Kastrationspflicht. Zudem monieren sie, dass es keine Konsequenzen hat, wenn man sein Tier nicht registrieren lässt.
Dies können Besitzer entweder über elektronisch lesbare Mikrochips machen, die mittels einer Injektionsnadel seitlich am Hals der Katze eingesetzt werden, oder über Ohrtätowierungen durch einen Tierarzt. Halter und Halterinnen müssen ihre Tiere darüber hinaus in das Haustierregister des Vereins Tasso oder des Deutschen Tierschutzbundes (Findefix) eintragen lassen. Das kostet nichts.
Nur Streuner sind von der Neuregelung betroffen. Wenn diese gefangen werden und sich innerhalb von 48 Stunden kein Halter meldet, kann die Stadt sie kennzeichnen, registrieren, kastrieren und an den Ort des Auffindens zurückbringen lassen. Wird danach noch ein Halter ermittelt, muss er die Kosten erstatten.
Stuttgart hinkt weiter hinterher
Auch in Karlsruhe ist vor kurzem eine solche Verordnung vom Gemeinderat einstimmig beschlossen worden. So weit ist Stuttgart noch nicht. Die CDU-Gemeinderatsfraktion hat einen Antrag eingereicht, der eine Katzenschutz-Verordnung zum Ziel hat.
Schon vor zwei Jahren hat es einen solchen Vorstoß gegeben, der allerdings an der Stadtverwaltung scheiterte. Dabei sei die Situation der streunenden Katzen in Karlsruhe „grundsätzlich auf Stuttgart übertragbar“, heißt es im CDU-Antrag.
Kastrationspflicht ist gesetzlich vorgeschrieben
Generell ist die Kastration von frei laufenden Hauskatzen bundesweit verpflichtend. 2013 wurde das Tierschutzgesetz um den Paragrafen 13b, die sogenannte Verordnungsermächtigung für die Landesregierungen, ergänzt. Wenn davon Gebrauch gemacht werde, entspricht die Regelung „de facto einer Kastrationspflicht für Haus- und Hofkatzen mit Freigang“, heißt es im Tierschutzbericht der Bundesregierung.
Baden-Württemberg hatte 2013 als erstes Bundesland eine Kastrationspflicht beschlossen. Es folgten weitere Länder wie Bayern, Hessen und Sachsen-Anhalt. Allerdings kann jede Kommune im Südwesten selbst entscheiden, ob sie einen solchen Schritt für notwendig erachtet oder nicht. Bisher nutzen diese laut Landestierschutzbund mehr als 30 kleine Gemeinden von Aidlingen (Kreis Böblingen) bis Wurmberg (Enzkreis).
Berlin ist Vorreiter beim Katzenschutz
Im Mai 2021 beschloss der Berliner Senat eine Katzenschutzverordnung, die auch eine Kastrationspflicht für alle frei laufenden Katzen (und nicht nur für Streuner) einschließt. Seitdem dürfen Tierhalter ihre Kater und Katzen nur noch frei herumlaufen lassen, wenn diese kastriert sind. Außerdem müssen die Tiere gekennzeichnet und registriert sein.
Info: Kastration von Katzen
Gebärfreudigkeit
Katzen können zwei- bis drei Mal pro Jahr durchschnittlich fünf bis sechs Kitten zur Welt. Man kann sich also leicht vorstellen, dass eine Population ohne Eingriff des Menschen in nur wenigen Jahren stark anwächst. Sorgenkinder sind vor allem Kater, deren Besitzer oft nur wendig Interesse an einer Kastration haben. Das liegt zum einen an den Kosten: Die Kastration eines Katers kostet rund 100 Euro, die einer Kätzin 150 bis 200 Euro. Zum anderen ist es vielen Kater-Besitzern schlicht egal, ob ihre Tiere unkontrolliert Nachwuchs zeugen.
Kastration
Für verantwortliche Katzenbesitzer ist es selbstverständlich, ihre Tiere, wenn sie geschlechtsreif werden – je nach Rasse ab dem fünften bis zwölften Monat –, kastrieren zu lassen. Das beugt nicht nur ungewollten Schwangerschaften vor , sondern schützt die Katzen auch vor Infektionen, Krankheiten und Verletzungen. Bei einer Kastration wird die weitere Produktion von Geschlechtshormonen unterbunden. Dies geschieht durch die Entfernung der „Keimdrüsen“. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um männliche Keimdrüsen (beide Hoden) oder aber um weibliche Keimdrüsen (Eierstöcke) handelt. Sowohl männliche als auch weibliche Katzen werden kastriert.
Sterilisation
Bei einer Sterilisation bleiben Hoden und Eierstöcke dort, wo sie sind. Es wird nur verhindert, dass Samen- oder Eizellen weiter transportiert werden können. Da die Keimdrüsen nicht entfernt werden, sind Katzen weiterhin rollig und Kater bleiben kampfeslustig und markieren weiterhin mit ihrem übel riechenden Urin.
Rolligkeit
Katzen, die nicht befruchtet oder kastriert werden, sind dauerrollig. Sie sind dann quasi permanent paarungsbereit und großen hormonellen Belastungen ausgesetzt. Wenn sie Freigänger sind, können sie sich – genauso wie Kater – auf der Suche nach einem Geschlechtspartner weit von Zuhause entfernen. Dabei dringen sie nicht nur in die Reviere anderer Katzen ein – was bedeutet: Kampf und Gefahr von Verletzungen –, sondern müssen auch viele gefährliche Straßen queren. Die meisten Katzen werden während der Paarungszeit überfahren.
Verletzungsgefahr
Unkastrierte Kater legen nach Einsetzen der Geschlechtsreife mit fünf, sechs Monaten auf der Suche nach einem Weibchen oft viele Kilometer zurücklegen. In Katerkämpfen kommt es häufig zu Infektionen mit FIV (Katzen-Aids) oder FeLV (Feline Leukämie, auch Leukose genannt) und zu schweren, bisweilen tödlich Verletzungen.