In zwei Kommunen in der Region Stuttgart, in Urbach und Wendlingen, dürfen auch Autos ohne grüne Plakette wieder durch den Ort fahren. Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert diese Entscheidung.
Grünes Licht auch ohne grüne Plakette: Wer mit dem Auto nach Urbach fahren möchte, der kann dies seit Kurzem auch mit einem alten Diesel tun, der die Abgasrichtlinien nicht erfüllt. Das Verkehrsministerium hat entschieden, dass die Umweltzone in Urbach, Wendlingen am Neckar und einigen anderen Kommunen aufgehoben wird. Der Grund: Die Luftqualität habe sich dort messbar verbessert und liege seit Jahren unter dem EU-weit gültigen Grenzwert von maximal 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NO2) pro Kubikmeter. Auch der zulässige Jahresmittelwert für Feinstaub mit größeren Partikeln (PM10) von ebenfalls 40 Mikrogramm werde unterschritten.
WHO empfiehlt niedrigere Grenzwerte
Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, kritisiert das Vorgehen. Die Werte seien zwar besser als in den Vorjahren, lägen aber immer noch deutlich über den Werten, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 2021 als neue Grenze empfiehlt: Die liegen aktuell bei 10 Mikrogramm bei NO2 und 15 Mikrogramm bei Feinstaub (PM10). Rechtsverbindlich sind sie allerdings beide nicht. „Zum Schutz von Menschen und Umwelt sollte eine schnelle Absenkung der nationalen Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid vorgenommen und nicht die EU-Gesetzgebung abgewartet werden“, sagt der DUH-Geschäftsführer.
Beim Regierungspräsidium Stuttgart (RPS) verteidigt man die Entscheidung, die Schilder abzumontieren und die Einfahrbeschränkungen aufzuheben: „Als zuständiges Regierungspräsidium wurden wir vom Verkehrsministerium angehalten, Umweltzonen zu überprüfen“, erklärt eine Sprecherin des RPS auf Nachfrage. Maßstab sei dabei eine deutliche Unterschreitung der Grenzwerte für die Luftschadstoffe Feinstaub und Stickstoffdioxid, sodass zu erwarten sei, dass die Grenzwerte auch noch sicher eingehalten werden, selbst wenn die ausgesperrten Fahrzeuge wieder fahren dürften. Da dies bei der Umweltzone nur Kraftfahrzeuge betreffe, die keine grüne Plakette erhalten haben, sei dies „ein nur sehr kleiner vernachlässigbarer Teil der Fahrzeugflotte“.
Positive Trends in Urbach und Wendlingen
In Urbach und Wendlingen habe man eine „sichere Einhaltung der Grenzwerte“ über einen Zeitraum von mindestens zwei aufeinanderfolgenden Jahren verzeichnet. In Urbach wird der Grenzwert für Stickstoffdioxid seit 2012 eingehalten, in Wendlingen am Neckar wurde er laut Behörde im Jahresmittelwert von Stickstoffdioxid nie überschritten – nur die Feinstaubwerte waren dort zu hoch.
Feinstaubmessungen lagen in Urbach laut RPS stets deutlich unter den Grenzwerten. Die letzte Messung aus dem Jahr 2012 wird mit 23 Mikrogramm angegeben. Beim Stickstoffdioxid habe sich die Menge von einst 46 Mikrogramm im Jahr 2009 stetig verringert und im Jahr 2013 einen Wert von 33 Mikrogramm erreicht. Für Urbach habe die Landesanstalt für Umwelt für das Jahr 2019 einen Jahresmittelwert von 23 Mikrogramm errechnet, teilt die Sprecherin des RPS mit. Es handle sich jedoch um einen Schätzwert, entsprechend den seit Jahren sinkenden Werten.
Bis zu 14 000 Autos auf der Hauptstraße
Im Urbacher Rathaus geht man davon aus, dass sich durch den Wegfall der Umweltzone nicht viel für die Betroffenen ändert. Entsprechend gelassen hat man dort auf den Beschluss des Verkehrsministeriums zur Aufhebung der Umweltzone reagiert. Denn vor allem die Reduzierung der Geschwindigkeit auf der Hauptstraße auf Tempo 30 mache aus Sicht der Verwaltung den Unterschied aus. „Ein wesentlicher Teil des Luftreinhaltungsplans für Urbach ist die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer auf der Ortsdurchfahrt im südlichen Ortsteil gewesen“, teilt Achim Grockenberger vom Haupt- und Ordnungsamt in Urbach mit. Diese Maßnahme habe zu einer Verstetigung des Durchgangsverkehrs mit bis zu 14 000 Fahrzeugen pro Tag auf der Hauptstraße geführt. „Seit der Geschwindigkeitsreduzierung läuft der Verkehr insgesamt flüssiger, was wiederum zu einer Entlastung der Anwohner hinsichtlich Lärm und Abgasen führt.“ Insofern seien die Kommune und die Straßenanlieger froh, dass als Maßnahme im Zusammenhang mit dem Lärmaktionsplan der Gemeinde die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 Stundenkilometer an den Kreisstraßen weitgehend erhalten bleibt und nicht wieder auf Tempo 50 angehoben werde. „Nach Aufhebung des Luftreinhaltungsplans werden die 30 Stundenkilometer nicht mehr mit ,Luftreinhaltung‘, sondern mit ,Lärmschutz‘ begründet, sodass sich für die Betroffenen im Endeffekt nicht viel ändert“, so Grockenberger.
WHO-Empfehlung umsetzen
Deutlich weniger gelassen beurteilt DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch die Entscheidung: „Es ist ein verheerendes Signal, jetzt fahren wieder besonders alte Autos rein, vielleicht nicht so viele, aber welche, deren Partikelausstoß so schmutzig ist wie von tausend Dieselautos mit einem funktionierenden Partikelfilter.“ Umweltzonen hätten nachweislich die Luft verbessert: „Wo wir auf dem Klageweg weitere Maßnahmen durchgesetzt haben, haben wir auch eine beschleunigte Verbesserung der Luftqualität erzielt“, sagt Resch. In Stuttgart seien durch die gezielten Sperrungen für besonders schmutzige Dieselfahrzeuge die Werte von 70 auf unter 40 Mikrogramm pro Kubikmeter gesunken. Ärgerlich sei aus seiner Sicht, dass die Landesregierung „mit vollem Wissen gegen das handelt, was die WHO vor ein paar Jahren zu Papier gebracht hat“. Nämlich die weitere Senkung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid von 40 auf 10 Mikrogramm und die für Feinstaub (PM10) von 40 auf 15. „Wir reden nicht von Werten, bei denen es darum geht, ob man eine Umweltzone aufhebt, wir reden davon, welche Todesfälle eintreten, weil wir die WHO-Werte überschreiten.“
Verschärfung statt Aufhebung gefordert
Die Automobilindustrie mit ihren „satten Gewinnen muss verpflichtet werden, die knapp zehn Millionen Pkw und leichten Nutzfahrzeuge im Rahmen eines Rückrufs mit entsprechender Hardware nachzurüsten, um die Abgase zu reduzieren“, so Resch. Außerdem sollten endlich schärfere Tempolimits eingeführt werden: 100 auf Autobahnen, 80 außerorts und 30 innerorts. So wie es in manch anderen Ländern bereits umgesetzt sei. „Meine Conclusio ist: Statt Aufhebung braucht es eine Verschärfung der entsprechenden Maßnahmen, um die Menschen in Baden-Württemberg besser zu schützen“, fordert Jürgen Resch. „An Grenzwerten festzuhalten, die vor mehr als 20 Jahren festgelegt worden sind, ist ein gesundheitlicher Skandal.“
Belastung durch schädliche Emissionen verringern
Umweltzonen
Die ersten Umweltzonen in Baden-Württemberg wurden 2008 in mehreren Städten und Gemeinden geschaffen. In diesen Gebieten dürfen nur Fahrzeuge fahren, die bestimmte Abgasstandards einhalten. Je nach Schadstoffausstoß erhält das Fahrzeug eine entsprechende Plakette in Form einer farbigen Plakette – wie Grün, Gelb oder Rot. Die Einhaltung der Grenzwerte dient dem Ziel, die Luftqualität in den betroffenen Gebieten zu verbessern und die Belastung durch schädliche Emissionen zu verringern.
Grenzwerte
Der Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) liegt bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Es gibt auch einen Stundengrenzwert von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, der nicht öfter als 18-mal im Kalenderjahr überschritten werden darf. Für Feinstaub (PM10) gibt es ebenfalls einen Jahresgrenzwert von durchschnittlich 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Zusätzlich gibt es auch einen Tagesgrenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, der nicht öfter als 35-mal im Kalenderjahr überschritten werden darf. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt jedoch seit 2021 weit niedrigere Grenzwerte.