Für eine Verschwörungstheorie braucht man immer ein passendes Opfer, das als Sündenbock herhalten muss. Foto: Imago/Panthermedia

Von geheimen Allianzen wird gesprochen, von finsteren Verschwörungen, von gesteuerten Medien und der Politik als Betrugsmaschinerie. Die Rede ist von Verschwörungstheorien.Die dahinter stehenden Weltbilder mögen auf Außenstehende absurd wirken. Aber die Zahl ihrer Anhänger ist groß, wie eine Stuttgarter Studie zeigt. Und sie wächst beständig.

Populismus und der Glaube an Verschwörung sind laut einer Stuttgarter Studie in Deutschland weit verbreitet. Jeder Vierte ist demnach überzeugt, die Politik werde von „geheimen Mächten“ gesteuert. Ein Fünftel der Deutschen glaube zudem, Massenmedien würden die Bevölkerung „systematisch belügen“ heißt es in der Studie der Universität Hohenheim, die am Dienstag (29. August) veröffentlicht worden ist.

„Insgesamt gut ein Drittel der Bundesbürger haben ein im erweiterten Sinn rechtspopulistisches Weltbild“, fasst der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider die Ergebnisse zusammen. Etwa jeder Sechste (16 Prozent) stimme auch der Aussage zu, das Land gleiche inzwischen „mehr einer Diktatur als einer Demokratie“». Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hatte im Auftrag der Universität Hohenheim im Juli 2023 insgesamt 4024 Menschen mit einem deutschen Pass befragt.

Warum brauchen Menschen andere als Sündenböcke für Miseren?

Für eine Verschwörungstheorie braucht man immer ein passendes Opfer, das als Sündenbock herhalten muss. Bei der Corona-Pandemie war es das Virus. Foto: Imago/Patrick Graf
Der Aluhut ist zum Sinnbild von Verschwörungstheoretikern geworden. Foto: Imago/Hermann Agenturfotografi/e

Für eine Verschwörungstheorie braucht man immer ein passendes Opfer, das als Sündenbock herhalten muss. „Wenn sich dieser Frust, diese Unzufriedenheit verfestigen, dann werden Schuldige gesucht und man bastelt sich seine Welt und seine Wahrheiten zusammen“, erklärt Frank Brettschneider den Trend zu Verschwörungstheorien. „Und dieses Basteln war noch nie so einfach wie heute.“

Rechtspopulistinnen und -populisten verwendeten immer wieder die gleichen Erzähl-Elemente. Es gebe bei ihnen einen einheitlichen „Volkswillen“, der von inneren und äußeren Mächten unterdrückt werde, betont der Kommunikationsexperte. Zu den inneren Mächten zähle diese Gruppe die politischen Eliten und die Massenmedien, zu den äußeren Mächten die Europäische Union, die Globalisierung und den Islam. „Oft werden auch Verschwörungserzählungen eingebaut.“

Warum tritt Verschwörungsdenken in Krisenzeit gehäuft auf?

„Die Regierung lügt: Totschlagargumente ziehen immer, wenn man nicht ernsthaft debattieren will. Foto: Imago/Sascha Steinach
Populismus und der Glaube an Verschwörung sind laut einer Stuttgarter Studie in Deutschland weit verbreitet. Jeder Vierte ist demnach überzeugt, die Politik werde von „geheimen Mächten“ gesteuert. Foto: Imago/Panama Pictures/Christoph Hardt
„Stoppt den tiefen Staat“: „Deep state“ ist ein negativ konnotiertes politisches Schlagwort, das tatsächliche oder angebliche und illegale oder illegitime Machtstrukturen innerhalb eines Staates bezeichnet. Foto: Imago/Future Image

Gerade in Krisenzeiten wuchern Gerüchte, Vorurteile und Verschwörungsdenken wie ein Krebsgeschwür. „Verschwörungstheorien gedeihen immer dann besonders gut, wenn es Krisen, Konflikte und undurchschaubare Entwicklungen gibt“, erklärt der Politologe und Publizist Tobias Jaecker. Hinter den diversen Krisen würden Konspirationsanhänger das geheime Wirken von Personen oder Institutionen vermuten, die ihre eigenen egoistischen Ziele auf Kosten der Allgemeinheit verfolgen.

Dass es Verschwörungen in der Menschheitsgeschichte immer schon gegeben hat, ist unbestritten. Doch die Anhänger von Verschwörungstheorien wittern hinter jedem komplizierten und für sie unerklärlichen Phänomen und Ereignis finstere Mächte, die im Geheimen die Fäden ziehen. „Grundlage einer Verschwörungstheorie ist ein Verdacht gegen eine als fremd und böse empfundene Gruppe“, erläutert der Wissenschaftsautor Thomas Grüter dieses Phänomen.

Wieso verfangen bei vielen einfache Erklärungen für komplexe Probleme?

Ein weiteres kommt hinzu: Verschwörungstheorien haben den Vorteil, dass sie Dinge auf einfache und polarisierende Weise deuten. Erklärungen über komplexe Sachverhalte wie das globale Finanzwesen werden drastisch reduziert, so dass am Ende nur zwei Gruppen übrig bleiben: die eigene gute Fraktion und der böse, mächtige Gegner, auf den man sich fokussiert.

Nach Ansicht des Berliner Historikers Wolfgang Wippermann (1945-2021) würden Verschwörungstheorien im Netz aufblühen, „weil man alles behaupten kann, ohne es zu beweisen“. Das Internet sei, so Wippermann weiter, „das ideale Medium zur Verbreitung von Absurditäten, da man sich dort mit ungesicherten Daten und abstrusen Behauptungen in unbegrenzter Zahl versorgen kann.“. Die Gemeinde derer, die für Verschwörungsdenken empfänglich seien, sei schon immer groß gewesen, und sie werde immer größer. „Grund ist die Suche nach einfachen Erklärungen in einer komplizierten Krise.“

Wem nützen Verschwörungstheorien?

Hinter jeder Verschwörungstheorie steckt ein schlichtes Weltbild. Wobei die Anhänger keineswegs intellektuell unterbelichtet sein müssen, wie Jaecker betont. „Die Menschen, die so etwas glauben, sind in allen Bevölkerungsschichten zu finden.“

Laut Wippermann sei die Empfänglichkeit, eine immer komplizierter werdende Welt in Gut und Böse, Opfer und Täter einzuteilen, eine „anthropologische Konstante“. Verschwörungstheorien gehörten zur Natur des Menschen. „Wenn Gutmenschen Böses geschieht, muss eine Verschwörung dahinterstecken. Das ist die Logik.“

Wie funktionieren Verschwörungstheorien?

Hinter jeder Verschwörungstheorie steckt ein schlichtes Weltbild. Foto: Imago/Müller-Stauffenberg
Es werden nur solche Fakten und Zahlen zugelassen, die das eigene Weltbild stützen. Alles andere wird ignoriert. Ereignisse werden so lange umgedeutet, bis sie ins Konzept passen. Foto: Imago/Sascha Steinach

Verschwörungstheorien geben einfache Antworten auf schwierige Fragen. Im Weltbild von Verschwörungstheoretikern spielen Sündenböcke und dämonisierte Minderheiten eine zentrale Rolle. Die Gegner werden als machtvoll, unsichtbar, allgegenwärtig und böse empfunden. Dieses „Dämonen-Stereotyp“ findet sich nach Meinung Grüters bei Globalisierungsgegnern genauso wie bei evangelikalen Fundamentalisten oder islamistischen Fanatikern.

Das Rezept ist einfach: Es werden nur solche Fakten und Zahlen zugelassen, die das eigene Weltbild stützen. Alles andere wird ignoriert. Ereignisse werden so lange umgedeutet, bis sie ins Konzept passen. Mit der realen Welt hat dieses holzschnittartige Konstrukt nichts zu tun.

Was haben Frustration und fehlende politische Kontrolle damit zu tun?

Für den Soziologen Hans Jürgen Krysmanski (1935-2016) steht fest: „Verschwörungstheorien sind im Grunde ein Ausdruck der Frustration über mangelnden Zugang in der Politik.“ Sie würden immer dann entstehen, wenn die Demokratie versagt. „Und leider Gottes versagt die Demokratie ja ständig oder immer öfter.“ Mehr denn je haben viele Menschen das Gefühl, dass die Politik über ihre Köpfe hinweg Entscheidungen trifft, die ihr Leben negativ beeinflussen.

Vom diffusen Unbehagen bis zur Verschwörungstheorie ist es dabei oft nur ein kleiner Schritt. Für Thomas Grüter steht fest: „Aufklärung und ständiger Dialog sind das Beste, was man gegen Verschwörungsdenken tun kann.“