Im Frühjahr – als noch kein Haftbefehl gegen Wladimir Putin vorlag – zeigte er sich mit seinem Amtskollegen Ramaphosa. Foto: AFP/Ramil Sitdikov

Südafrika geht zunehmend auf Konfrontationskurs zu Israel. Jetzt eskaliert der Zwist: Kapstadt fordert ein Verfahren gegen Israels Premier Netanjahu.

Die Beziehungen zwischen Südafrika und Israel sind auf einem historischen Tiefpunkt angelangt, nachdem beide Staaten ihre Botschafter zurückbeordert haben, und die südafrikanische Regierung den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag aufforderte, gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu einen Haftbefehl wegen Völkermords zu erlassen. Am Dienstagnachmittag beriet das Parlament in Kapstadt außerdem darüber, ob die diplomatischen Beziehungen zu Israel ganz abgebrochen werden sollten. Gleichzeitig traten die Führer der Brics-Staaten unter Vorsitz Südafrikas zu einem virtuellen Sondergipfel zusammen: Auf ihm wurde übereinstimmend ein Ende der israelischen Kampfhandlungen in Gaza gefordert.

“Wir geben dem Gericht eine letzte Chance“

Südafrikas Regierung zeigt sich zunehmend erzürnt über die fortgesetzte Bombardierung Gazas durch die israelischen Streitkräfte, die in den vergangenen sechs Wochen schon weit über 13.000 Tote forderte. Nach einer Kabinettssitzung Anfang dieser Woche sprach Regierungssprecherin Khumbudzo Ntshavheni von einem „Völkermord in Echtzeit“, den die internationale Gemeinschaft „unverzüglich stoppen“ müsse. Schon in der vergangenen Woche hatte Staatspräsident Cyril Ramaphosa den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag aufgefordert, ein Ermittlungsverfahren gegen Israel aufzunehmen. Die bisherigen Initiativen der Strafbehörde im israelisch-palästinensischen Konflikt seien „das Papier nicht wert, auf dem sie aufgezeichnet wurden“, sagte Ntshavheni. „Wir geben dem Gericht jetzt eine letzte Chance, seine Objektivität zu beweisen.“

Der Strafbehörde wird schon lange vorgeworfen, Menschenrechtsverbrechen lediglich auf dem afrikanischen Kontinent, nicht aber in anderen Teilen der Welt nachzugehen. Im Nahen Osten ermittelt der Gerichtshof bereits seit Jahren, hat bisher allerdings noch kein Verfahren eingeleitet. Kritiker werfen der US-Regierung vor, Druck auf die Behörde auszuüben, deren Statut Washington nicht einmal unterschrieben hat. Im Frühjahr stellte Den Haag einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen der Entführung ukrainischer Kinder aus. Putin konnte deshalb nicht am Brics-Gipfel im August in Johannesburg teilnehmen. Politiker des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) forderten schon damals den Austritt des Landes aus dem Rom-Statut. Kommt es auch jetzt zu keinem Verfahren der Behörde gegen Israel, ist ein erneuter derartiger ANC-Vorstoß zu erwarten. Ihm könnten sich auch andere afrikanischen Staaten anschließen. Experten sehen die Gefahr, dass der Gerichtshof in der Bedeutungslosigkeit versinken könnte. „Zweifellos ist jetzt der Augenblick gekommen, in dem die Behörde Farbe bekennen muss“, meint der südafrikanische Politologe Kwandile Kondlo.

Der ANC hat Beziehungen zur Hamas

Am Dienstagnachmittag trat das Parlament in Kapstadt zusammen, um über einen Antrag der populistischen „Ökonomischen Freiheitskämpfer“ (EFF) zu entscheiden, die diplomatischen Beziehungen zu Israel ganz abzubrechen. Obwohl der ANC diese Forderung grundsätzlich teilt, war im Vorfeld nicht klar, ob sich die Regierungspartei dem Antrag anschließen wird. In diesem Fall müsste Pretoria seine Jerusalemer Botschaft schließen, die derzeit auch den Kontakt zu palästinensischen Organisationen hält. Den ANC verbinden schon seit Jahrzehnten enge Beziehungen zur Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, die Partei hält aber auch Kontakte zu Hamas, mit dessen Führer Ismail Haniyeh Außenministerin Naledi Pandor kürzlich ein längeres Telefongespräch führte.

Ebenfalls am Dienstagnachmittag fand das virtuelle Gipfeltreffen der fünf Brics-Staaten statt, an dem neben UN-Generalsekretär António Guterres sowie die Präsidenten der künftigen Mitglieder Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Saudi Arabien, der Iran und die Union der Arabischen Emirate teilnahmen. In ihren Reden verurteilten sie einstimmig die Kampfhandlungen in Gaza. Ihre gemeinsame Erklärung lag bis zum Redaktionsschluss dieser Zeitung allerdings noch nicht vor.

Bereits am Montagabend hatte Israel seinen Botschafter in Pretoria, Eliav Belotserkovsky, zu „Konsultationen“ nach Jerusalem zurückgerufen. Damit kam die israelische Regierung der allgemein erwarteten Ausweisung des Diplomaten zuvor.