Christian Lindner hat eine neue Debatte über die Kindergrundsicherung losgetreten. Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Bundesfinanzminister Christian Lindner will inhaltlich neu über die Kindergrundsicherung diskutieren. Bildungs- und Sozialverbände werfen ihm vor, er führe eine „Nebelkerzendiskussion“.

Es sind Sätze, die vorsichtig formuliert klingen. Sie enthalten abwiegelnde Worte wie „vielleicht“ und „mindestens diskussionswürdig“. Aber der Vorstoß von Christian Lindner zur Kindergrundsicherung hat es in sich. Der FDP-Chef und Bundesfinanzminister hat nichts weniger gesagt, als dass er inhaltlich noch mal intensiv über die Kindergrundsicherung sprechen möchte. Also über das große sozialpolitische Vorhaben der Ampel, von dem die meisten bislang dachten, es würde eigentlich nur noch übers Geld gestritten.

Was hilft am meisten?

Lindner stellt nun die Frage, ob bei dem Projekt von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) auch die richtigen Prioritäten gesetzt würden – und er löst damit heftige Kritik von Bildungsgewerkschaften aus. Von Kinderarmut seien vor allem Familien betroffen, die seit 2015 nach Deutschland eingewandert seien, hat Lindner beim Tag der offenen Tür in seinem Ministerium in Berlin gesagt.„Hilft man ihnen am besten dadurch, dass man den Eltern mehr Geld aufs Konto überweist?“, fragte Lindner. „Oder ist nicht vielleicht mindestens diskussionswürdig, in die Sprachförderung, Integration, Beschäftigungsfähigkeit der Eltern zu investieren und die Kitas und Schulen für die Kinder so auszustatten, dass sie vielleicht das aufholen können, was die Eltern nicht leisten können?“ Diese Debatte werde in der Ampel noch geführt, sagte Lindner.

Es sind Worte, die Familienministerin Lisa Paus (Grüne) durchaus als Bedrohung sehen darf. Paus hatte in der vergangenen Woche Lindner Wachstumschancengesetz – geplante Entlastungen für Unternehmen – vorerst blockiert, obwohl es bereits mit Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) vereinbart war. Paus wollte ein Signal setzen und klarmachen, dass sie nur zustimme, wenn es auch ausreichend Geld für die Kindergrundsicherung gebe.

Der Kampf ums Geld

Bislang ist in der Finanzplanung für das Jahr 2025, wenn die Kindergrundsicherung kommen soll, nur ein Merkposten von zwei Milliarden Euro zusätzlich vorgesehen. Paus selbst beziffert den Finanzbedarf laut einem Bericht von „Zeit online“ in ihrem Gesetzentwurf mit 3,5 Milliarden Euro. In der Kindergrundsicherung sollen verschiedene bisherige staatliche Leistungen wie das Kindergeld und der Kinderzuschlag zusammengefasst werden. Nach dem Willen der Familienministerin soll es aber auch Leistungsverbesserungen geben.

Bildungsverbände sind empört über Lindners jüngste Einlassung zur Kindergrundsicherung. „Der Vorstoß von Bundesfinanzminister Christian Lindner ist ein Affront gegen von Armut betroffene Kinder“, sagte der Chef des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand, dieser Zeitung. „Die individuelle finanzielle Absicherung von Kindern gegen die «Beschäftigungsfähigkeit» ihrer Eltern auszuspielen, wird dem akuten Problem nicht gerecht“, fügte er hinzu.

Brand betonte: „Kindergrundsicherung versus Sprachkurs: So einfach ist es eben nicht.“ Beides sei wichtig. „Armutsbekämpfung braucht eine breite Palette an Angeboten. Viele Wege führen nach Rom – und aus der Armut“, sagte er.

Die Frage nach den Folgekosten

„Die Kindergrundsicherung ist ein ganz wichtiges sozialpolitisches Projekt der Bundesregierung. Sie muss – gut ausfinanziert – so schnell wie möglich kommen“, forderte Doreen Siebernik, im Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) für Jugendhilfe und Sozialarbeit zuständig. Lindner entfache lediglich eine „Nebelkerzendiskussion“. Die Folgekosten für ein Scheitern der Kindergrundsicherung seien ein Vielfaches höher, als wenn man jetzt in Familien und Kinder investiere.

Besonders scharfe Worte fand Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband. „Ich halte es für unsäglich, wenn der Finanzminister nun anfängt, arme Kinder aus Deutschland auszuspielen gegen die Kinder, die mit ihren Familien aus der Ukraine zu uns flüchten mussten“, sagte er dieser Zeitung. Natürlich brauche es für diese Familien besondere Angebote und auch sei richtig, dass Eltern wenn irgendwie möglich befähigt werden sollten, in Arbeit zu kommen. „Das darf doch aber kein Argument sein, um Kinder in Armut zu belassen“, sagte Scheider. „Man bekommt schon den Eindruck, als wolle der Finanzminister das Projekt der Kindergrundsicherung torpedieren.“