Bettina Stark-Watzinger fordert verbindliche Sprachtests für Kinder vor der Grundschule. Foto: Felix Zahn/photothek.de

Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger will mit dem Startchancen-Programm dazu beitragen, dass Deutschland künftig bei Bildungsstudien nicht mehr der Dauerverlierer ist. Wie das funktionieren soll, darüber spricht sie im Interview.

Bettina Stark-Watzinger hat es als Bundesbildungsministerin nicht leicht. Für die Schulen sind die Länder zuständig – die Erwartung ist aber auch, dass auch der Bund etwas zum Besseren bewegt. Im Interview spricht die FDP-Politikerin über das Startchancen-Programm, auf das sie sich nun gemeinsam mit den Ländern geeinigt hat – und fordert auch verbindliche Sprachtests für Kinder vor der Grundschule.

Frau Stark-Watzinger, die FDP hat im Wahlkampf „weltbeste Bildung für jeden“ versprochen. Würden Sie das noch einmal machen?

Ja, das ist und bleibt unser Ziel. In allen unseren Programmen steht Bildung vorne. Denn sie ist das Versprechen, dass derjenige, der sich anstrengt, auch etwas erreichen kann. Wir wollen Aufstieg durch Bildung ermöglichen.

Wir sind aber weit weg von „weltbester Bildung“. Würden Sie noch mal etwas versprechen, was Sie so offenkundig nicht erreichen?

Quasi alle Bildungsstudien der letzten Zeit haben für Deutschland verheerende Ergebnisse gehabt. Gerade deshalb brauchen wir jetzt eine bildungspolitische Trendwende. Bund und Länder haben sich auf das Startchancen-Programm geeinigt, mit dem wir gezielt Schulen in schwieriger Lage unterstützen werden. Damit werden wir etwa 4000 Schulen und eine Million Kinder und Jugendliche stärken. Diesen Weg gehen wir gemeinsam über zehn Jahre.

Wird Deutschland durch das Startchancen-Programm in zehn Jahren bei Bildungsstudien wie Pisa deutlich besser abschneiden?

Wir haben uns ein klares Ziel gesetzt. Wir wollen innerhalb von zehn Jahren die Zahl der Kinder, die in Lesen, Schreiben und Rechnen die Mindeststandards nicht mehr erreichen, an den Startchancen-Schulen halbieren. Dafür konzentrieren wir das Programm auf die Grundschulen. Dass hier vielfach die Mindeststandards verfehlt werden, ist eines der größten Probleme im deutschen Bildungssystem. Das bedeutet: Wir werden mit dem Startchancen-Programm auch einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Ergebnisse der Bildungsstudien verbessern.

Sie setzen bei den Grundschulen an. Die Probleme beginnen aber schon früher. Brauchen wir bundesweit flächendeckende Sprachstandardtests noch vor der Grundschule? Mit anschließender Förderung, falls die Kenntnisse nicht ausreichen?

Ja. Sprachtests noch vor der Grundschule sind entscheidend, wenn wir in der Bildung und Integration besser werden wollen. Daran sollte allen Ländern gelegen sein. Die Tests müssen dann aber auch Konsequenzen haben. Also: verpflichtende Sprachförderung bei fehlender Kompetenz. Jedes Kind, das in die Grundschule kommt, muss gut Deutsch sprechen.

Der Bund gibt beim Startchancen-Programm zehn Milliarden Euro für zehn Jahre – auch die Länder sollen investieren. Reicht das, um die Probleme in den Griff zu bekommen? Ist das der große Wurf – oder ist das doch nur ein Bällchen, das Sie werfen?

Für die Finanzierung des Bildungssystems sind die Länder zuständig. Wir legen mit dem Startchancen-Programm gemeinsam 20 Milliarden Euro drauf. Zeigen Sie mir ein Bildungsprogramm, das in dieser Dimension und Laufzeit jemals größer war.

Für die Bundeswehr hat der Bund ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro geschaffen. Die Mängel im Bildungssystem sind nicht geringer.

Der Vergleich hinkt. Für die Bundeswehr ist der Bund zuständig. Für die Bildung sind es die Länder.

Das ist den Eltern, die Kinder in der Schule haben, egal.

Das stimmt, aber das Grundgesetz gibt uns einen engen Rahmen vor. Wenn es eine Grundgesetzänderung gäbe, wäre ich die erste, die sich dafür einsetzt. Das wollen die Länder so aber nicht. Deshalb unterstützt der Bund auf den Wegen, die möglich sind.

Noch mal zur Frage nach dem Umfang des Programms: Eigentlich sollten die Länder beim Startchancen-Programm genauso viel investieren wie der Bund, also noch mal zehn Milliarden Euro. Jetzt dürfen sie aber Geld anrechnen, dass sie ohnehin schon ausgeben…

Die Länder investieren in gleichem Umfang. Bestimmte Ausgaben können dabei berücksichtigt werden. Dafür gibt es feste Kriterien: ausschließlich Maßnahmen, die auf die Ziele des Startchancen-Programms einzahlen. Und: Die Länder müssen in jedem Fall eigene, zusätzliche Gelder einbringen.

Kommt der Digitalpakt 2.0 – oder schicken Sie die Schulen nach Anfangsinvestitionen zurück ins Kreidezeitalter?

Mit dem ersten Digitalpakt bringen wir die Digitalisierung der Bildung stark voran. Bei einer Neuauflage muss es insbesondere darum gehen, die Schulen noch zielgenauer und unbürokratischer zu unterstützen. Darüber verhandeln wir mit den Ländern. Mein festes Ziel ist, dass der Digitalpakt 2.0 im Jahr 2025 kommt.

Ein grundlegendes Problem, das sich auch durch Geld nicht in Luft auflösen wird, ist der Lehrermangel.

Das ist leider wahr. Und doch können wir etwas tun. Lehrerinnen und Lehrer wollen sich nicht hauptsächlich um Bürokratie kümmern, sondern um ihre Schülerinnen und Schüler. Wir können ihnen also mit mehr Personal für multiprofessionelle Teams helfen, zu denen auch Sozialarbeiter und Psychologen gehören. Auch dazu wird das Startchancen-Programm einen Beitrag leisten.

Ihr Großvater war Schreinermeister, Ihre Mutter wollte Innenarchitektin werden, durfte aber nicht, weil sie eine Frau ist. Welchen Einfluss hat Ihre Familiengeschichte auf das, was Sie als Bildungsministerin erreichen wollen?

Unheimlich großen, meine Mutter hat das sehr geprägt. Bei meiner Schwester und mir ging es immer darum, uns unseren Lebensweg durch Bildung und unabhängig vom Geschlecht zu ermöglichen. Meinen Eltern, selber Kriegskinder, war das unglaublich wichtig. Das ist aber leider nicht überall in der Gesellschaft so. Deswegen ist es mir so wichtig, dass wir das Aufstiegsversprechen mit dem Startchancen-Programm erneuern.

Wenn Sie an Ihre Schulzeit zurückdenken, haben sie da gerne an Bundesjugendspielen teilgenommen?

Mit Blick auf den Sportunterricht war Bockspringen und Laufen gut, Seilklettern eher nicht. Aber es gibt im Sport natürlich Dinge, die gehören einfach dazu, auch wenn sie einem nicht so liegen. Das ist dann anstrengend. Wenn man es geschafft hat, ist es dafür ein tolles Erfolgserlebnis. Deswegen sind die Bundesjugendspiele ein super Wettbewerb. Wir werden eben nicht Weltmeister wie im Basketball, wenn wir uns nicht auch mal reinhängen.

Sehen Sie die Abschaffung in der ursprünglichen Form an Grundschulen als symptomatisch für eine bestimmte Entwicklung in unserer Gesellschaft?

Es gilt manchmal als schlimm, wenn nicht jeder eine Ehrenurkunde bekommt. Es ist aber auch ein Anreiz, sich noch mehr anzustrengen. Mal bekommt man sie und mal eben nicht, ich habe auch nicht immer eine Ehrenurkunde bekommen. Kinder sind da viel klüger als ihre Eltern, sie messen sich gerne untereinander, auch beim Spielen. Ich hätte die Bundesjugendspiele daher nicht derart geändert.

Zu Ihrer Arbeit als Forschungsministerin: Sie werben sehr für Kernfusion. Eine aktuelle Studie bescheinigt Deutschland gute Voraussetzungen, jedoch ist die Forschung massiv unterfinanziert.

In den vergangenen Jahren sind Wissenschaftler abgewandert, weil die Große Koalition Programme für Kern- und Fusionsenergie runtergefahren hat. Wir steuern jetzt um und wollen bis 2028 insgesamt über eine Milliarde Euro für Fusionsforschung ausgeben. Wir sehen, dass auf diesem Gebiet gerade viele Durchbrüche stattfinden. Wir haben hier tatsächlich sehr gute Voraussetzungen, etwa tolle Unternehmen, die Weltklasse-Laser herstellen oder eine tolle Materialforschung. Wir haben also die Bausteine in unserem Land, wir setzen sie nur noch nicht richtig zusammen. Das unterstützen wir jetzt, indem wir Wissenschaft und Industrie zusammenbringen, damit das erste Fusionskraftwerk in Deutschland entsteht.

Bis wann soll das geschehen?

In unserem Positionspapier haben wir festgehalten, dass in den 2030er Jahren ein Kraftwerksprototyp errichtet werden und in den 2040er Jahren der Betrieb von Fusionskraftwerken beginnen soll. Andere Länder sind da mutiger und gehen schon von 2028 aus. Innovationen sind nicht immer planbar. Aber wir senden jetzt das klare Signal, dass wir die Fusion ideologiefrei und technologieoffen in unserem Land wollen, denn unser Energiehunger wächst.

Die EU plant mit AI-Act eine umfassende Regulierung der Künstliche Intelligenz, die laut Kritikern die Branche vertreiben würde. Was tun Sie dagegen?

Ich bin in Sorge, denn wer bei KI zu strikt reguliert, der hängt sich von der Zukunft ab. Dabei haben wir auch hier großes Potenzial in unserem Land. Unsere KI-Forschung ist vorne mit dabei, wir haben Unternehmen, die bei der Anwendung mithalten können. Die gehen bei zu strenger Regulierung aber vielleicht woanders hin. Deswegen setzen wir als Bundesregierung darauf, dass es keine Überregulierung auf europäischer Ebene gibt. Wenn zu viele KI-Anwendungen als Hochrisikotechnologie eingestuft werden, verabschieden wir uns von dieser Schlüsseltechnologie.

In Deutschland hat es Tradition, dass Risiken überbetont werden. Ist dieser Trend in einer alternden Gesellschaft überhaupt umzukehren?

Umso wichtiger ist es, dass wir die Menschen in unserem Land so ausbilden, dass sie mit Veränderungen umgehen können und sich Kompetenzen aneignen, die in der Zukunft gebraucht werden. Kreativität und Teamfähigkeit gehören dazu. Das sind sogenannte 21st Century Skills. Ich sehe hier einen klaren Bildungsauftrag. Studien zeigen uns, dass Menschen Risiken oft überbewerten und lernen könne, Chancen und Risiken besser einzuschätzen.

In der FDP-Fraktion ist die Stimmung momentan schlecht, die Ampel wird für schlechte Umfragewerte verantwortlich gemacht, Ampel-affine Kandidaten sind bei den Vorstandswahlen abgewatscht worden. Es wird wohl nicht ruhiger in der Koalition.

In einer Koalition mit drei so unterschiedlichen Partnern wird es immer inhaltliche Auseinandersetzungen geben. Um Inhalte zu streiten, halte ich auch für absolut richtig. Vielleicht sind wir das nach 16 Jahren unter Angela Merkel auch nicht mehr so gewohnt. Da wurden die Konflikte mit Steuergeld gelöst. Wir haben als Ampel auch schon vieles auf den Weg gebracht, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz etwa.

In Thüringen hat die FDP gemeinsam mit CDU und AfD eine Steuersenkung auf den Weg gebracht. Wird sowas in Zukunft öfter vorkommen?

Sie sprechen einen Antrag an, den die CDU-Fraktion im Landtag gestellt hat. Es ist den Menschen nicht zu vermitteln, dass die FDP einem solchen Antrag der CDU nicht zustimmen kann, obwohl er unserem Programm entspricht. Das ist aber keine Zusammenarbeit mit der AfD. Die wird es auch künftig nicht geben.