Olaf Scholz stellt sich der Befragung durch die Bundestagsabgeordneten. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Olaf Scholz, der Zauderer – so lautete wochenlang die Kritik am Kurs des Kanzlers in Sachen Kampfpanzer. Jetzt konnte er eine Lösung präsentieren, die ihm viele nicht zugetraut hätten. Wie tickt Scholz? Wie trifft er seine Entscheidungen?

Der Kanzler bestimmt den Zeitpunkt. Das macht der 64-Jährige zu Beginn der Stunde, in der er sich dem Parlament in der Regierungsbefragung stellt, auf seine eigene Weise deutlich.

Olaf Scholz sagt zu Beginn seines Eingangsstatements zwar, er habe gerade mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen. Doch dann spricht er erst einmal darüber, dass die Energieversorgung in Deutschland gut funktioniere. „Die Bundesregierung hat die Wirtschaftskrise abgepfiffen“, sagt er. Dann zählt er in einem langen Monolog auf, in welcher Weise sich Deutschland bislang für die Ukraine engagiert habe.

Der Kanzler spricht acht Minuten, bis er erstmals das sagt, worauf alle im Saal gewartet haben: „Wir werden der Ukraine auch Kampfpanzer zur Verfügung stellen vom Typ Leopard 2.“ Das sei das Ergebnis intensiver Beratungen mit den internationalen Verbündeten und Partnern. „Es war richtig und es ist wichtig, dass wir uns nicht haben treiben lassen“, fügt er noch hinzu. Sondern dass Deutschland auf enge Zusammenarbeit mit den anderen setze. „So werden wir es auch weitermachen“, sagt er.

Wer ist hier der Feigling?

Dieser Tag ist ein kleiner Triumph für den Kanzler, der an seinem Platz auf der Regierungsbank steht und sich, mit hochgezogenem Mikro, den Fragen der Abgeordneten stellt. Die Kritik an Olaf Scholz, sie hatte sich in den vergangenen Wochen zu einer riesigen Welle aufgebaut.

Scholz, der Schweiger. Scholz, der Zauderer. Das waren die Anwürfe. Der Grundton, wenn auch nicht direkt so formuliert, lautete im Grunde genommen sogar: „Scholz, der Feigling!“

Der deutsche Regierungschef sieht die Sache vollkommen anders. Führungsschwach, das ist für ihn nicht einer, der in Kleinarbeit einen internationalen Konsens zusammensucht. Aus seiner Sicht verfehlen Politiker, die sich danach richten, ob sie zu einem bestimmten Moment vor dem Mikrofon oder der Kamera gut aussehen, ihren Job. Ihm geht es um seinen Amtseid. Darum, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

Melnyk spricht von „Doppelwumms“

Jetzt ist klar: Scholz, der in den vergangenen Wochen immer wieder gesagt hat, für eine Entscheidung bei den Kampfpanzern brauche es eine internationale Koalition, kann eine gute Lösung präsentieren. Der ukrainische stellvertretende Außenminister Andrj Melnyk, der in seiner Zeit als ukrainischer Botschafter in Deutschland Olaf Scholz mit Dauerkritik genervt hat, würdigt die Entscheidung als historisch. Angesichts der Tatsache, dass nun wohl – wie von Scholz gewünscht – auch die USA Kampfpanzer liefern werden, spricht Melnyk von einem „Doppel-Wumms“. Eine unerwartete Verneigung.

Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt versucht in der Regierungsbefragung, Scholz in die Defensive zu bringen. Die Entscheidung für die Kampfpanzer sei richtig, sagt er. „Auch der Kopf des Bundeskanzlers ist rund, damit die Gedanken die Richtung ändern können.“ Auf dem Weg zur Entscheidung sei aber ein erheblicher Flurschaden entstanden. Es habe Streit auf offener Bühne mit Regierungen aus dem Baltikum und mit Polen gegeben. „Wer trägt dafür die Verantwortung?“, fragt Hardt.

Scholz hält Unions-Ansatz für gefährlich

Scholz bedankt sich für die Frage, sie gebe ihm Gelegenheit, einige Dinge zu vertiefen. „Ich will ihnen sehr klar sagen: Wenn wir Ihren Ratschlägen folgen würden, wäre das eine Gefahr für die Sicherheit Deutschlands“, hält er der Union entgegen. Der sozialdemokratische Kanzler fügt hinzu: „Viele Bürgerinnen und Bürger fürchten sich davor, dass in Deutschland in der Weise regiert wird, wie Sie vorschlagen.“ Er betont: „Es wäre ein Fehler, ein schlimmer, ein schwerer Fehler, in dieser Frage alleine voranzugehen, alleine zu marschieren.“ Es sei notwendig, sich abzustimmen. Der Kanzler, der die meiste Zeit seine Hände ruhig ineinander verschränkt hält, spricht jetzt jeden Satz einzeln – mit Pausen für Applaus aus der Ampelkoalition. Aber auch fast wie beim Diktat. Als hätte er die Erwartung, dass der CDU-Abgeordnete Hardt jetzt einfach mal mitschreibt.

Es sah in den vergangenen Wochen und Tagen nicht unbedingt so aus, als würde Scholz die Gelegenheit für einen so selbstbewussten Auftritt bekommen. Würde ihm die Situation in der eigenen Ampelkoalition entgleiten? Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte Polen fast schon aufgefordert, ihren Antrag, Leopard-Panzer in die Ukraine liefern zu dürfen, in Berlin zu stellen. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hatte nach der Ramstein-Konferenz Ende vergangener Woche mit Blick auf ausbleibende Entscheidungen sogar zu bester Sendezeit im Fernsehen gesagt: „Deutschland hat leider gerade versagt.“

Strack-Zimmermann, Scholz’ härteste Kritikerin, hat auch innerhalb der FDP bedeutet bekommen, man müsse Regierung und Opposition schon noch auseinanderhalten können. Auch wenn in der SPD viele bezweifeln, dass Strack-Zimmerman überhaupt in der Lage sei, längere Zeit als disziplinierte Teamspielerin aufzutreten. Im Bundestag tritt sie dem Kanzler in der Fragestunde nun brav gegenüber. „Die Entscheidung der Bundesregierung ist vor allem eine gute Nachricht für die Menschen in der Ukraine, die seit elf Monaten geknechtet werden“, sagt sie. Dann gratuliert sie Boris Pistorius zum neuen Amt als Verteidigungsminister, der in den vergangenen Tagen auf die Frage nach Kampfpanzern angesprochen, so demonstrativ wie gelassen sagte: „Fragen Sie Olaf.“ Strack Zimmermann bittet den Kanzler, etwas genauer über das breite Bündnis zu sprechen, das zur Hilfe für die Ukraine geschmiedet werde. Scholz antwortet, man habe alle großen Schritte gemeinsam mit den wichtigsten Partnern in Europa und Nordamerika gemacht.

Scholz’ Ziel in der Kampfpanzer-Debatte war von Anfang an: Wenn Deutschland der Ukraine Leoparden liefert, sollen auch die USA ihren Kampfpanzer Abrams liefern. US-Präsident Joe Biden wollte erst nicht, jetzt zieht er wohl mit – ein Riesenerfolg für Scholz. Im gemeinsamen Handeln mit den USA sieht der Kanzler die beste Sicherheitsgarantie für Deutschland. Er ist Transatlantiker aus Pragmatismus: An der militärischen Stärke der USA kommt man aus seiner Sicht einfach nicht vorbei.

Keine mathematischen Gewissheiten

Der Kanzler betont, es gebe für komplizierte Fragen wie die Auswirkungen von Waffenlieferungen keine mathematischen Gewissheiten. Deshalb sei es so wichtig, Stück für Stück voranzugehen. „Es gibt in diesem Land viele Bürgerinnen und Bürger, die sich Sorgen machen“, sagt er. Scholz unterstreicht sein unbedingtes Ziel, dass Deutschland nicht Kriegspartei werden dürfe. „Vertrauen Sie mir“, sagt Scholz, direkt an die Menschen im Land gerichtet.

Er klingt jetzt wie seine Vorgängerin Angela Merkel, die im Wahlkampf einmal mit dem Satz für sich warb: „Sie kennen mich.“