Orgasmen können sich für Frauen ganz unterschiedlich anfühlen – um den sogenannten G-Punkt ranken sich kuriose Mythen. Foto: Unsplash/Annie Spratt

Keine anatomische Fläche wurde je so kontrovers diskutiert wie der sogenannte G-Punkt. Das lehrt viel über den Umgang mit weiblicher Sexualität.

In den 80ern gelangte die Vagina zu unverhoffter Medienaufmerksamkeit. Es war die Rede von einer Stelle innerhalb des weiblichen Geschlechts, die fortan alle eifrig suchten: den G-Spot, übersetzt als G-Punkt. Durch Publikationen wie den 1982 erstmals in den USA erschienenen Bestseller „Der G-Punkt: Das stärkste erotische Zentrum der Frauen“ gelangte dieser Körperbereich ins Blickfeld der Medienöffentlichkeit.

Ihm wurde ein wundersamer Einfluss auf den weiblichen Orgasmus zugeschrieben. Nur: Wo war denn dieser G-Punkt? Die Suche glich der nach dem Heiligen Gral und dauerte Jahrzehnte an. Der deutsche Arzt Ernst Gräfenberg, nach dem der „G-Spot“ benannt war, hatte 1950 in einem Artikel von einer „erogenen Zone in der vorderen Vaginalwand“ geschrieben, „entlang der Harnröhre, die bei sexueller Stimulation anschwillt“.

Hinter dem „G-Spot“ befindet sich die weibliche Prostata

Aus heutiger Sicht ist der mediale Umgang mit der „Entdeckung“ lehrreich. Wissenschaftlerinnen wie die Autorin Stephanie Haerdle erklären, diese erogene Zone in der Vagina sei erstens schon seit Jahrtausenden bekannt gewesen – in der altindischen Sexualwissenschaft und im Kamasutra etwa. Dass man sie dann wieder vergessen hatte, zeige, wie reglementiert und tabuisiert weibliche Sexualität in historischen Zeiten später war. Zweitens, so Haerdle, sei dann in den 80ern weiter einiges verdreht und verschwiegen worden, was dazu führte, dass Frauen den Punkt kaum finden konnten. Besagte Körperstelle ist anatomisch betrachtet nun einmal kein Punkt oder Knubbel, sondern eher eine Fläche, die etwa mit einer Komm-her-Bewegung des Fingers in der Vagina stimuliert werden kann. Alle Frauen haben sie, aber nicht alle empfinden es als angenehm, dort angefasst zu werden. Manche kommen so zum Orgasmus – und manche ejakulieren. Dieser Aspekt wurde in den 80ern prompt nicht weiter gewürdigt: Dabei war damals schon klar, direkt hinter dem „G-Spot“ befindet sich die weibliche Prostata.

Die paraurethralen Drüsen der Frau entsprechen der Prostata des Mannes, sie wurden auch Skene-Drüsen genannt nach einem Wissenschaftler, der sie beschrieben hat. Lange war es üblich, weibliche Körperteile nach ihren männlichen „Entdeckern“ zu benennen, was viele Frauen heute befremdet.

Falsche Abbildungen des Frauenkörpers gab es sogar in medizinischer Fachliteratur

Seit einigen Jahren nun, mit Beginn dessen, was manche eine neue sexuelle Revolution nennen, geraten die weibliche Prostata und Ejakulation wieder ins Bewusstsein. Auch die Klitoris ist seit 2020 auf Betreiben von Feministinnen in Schulbüchern erstmals richtig dargestellt. Die falsche Abbildung des weiblichen Körpers sogar in medizinischer Fachliteratur hatte unter anderem zur Folge, dass noch heute viele denken, die Klitoris bezeichne nur die Klitorisperle, während der Klitoriskomplex viel größer ist und aus vielen Schwellkörpern unter der Haut besteht, die große Teile der Vagina umgeben.

Die Unterscheidung in klitoralen und vaginalen Orgasmus, geprägt durch Sigmund Freud, erfüllte lange eine gesellschaftspolitische Rolle, indem sie die Lust der Frau vom Mann und vom Penis abhängig machte – es hieß, nur der vaginale Orgasmus sei ein echter. Dabei ist die Klitoris aufgrund ihres Umfanges meist an jedem weiblichen Orgasmus beteiligt ebenso wie bisweilen eben die G-Fläche, deren Reizung Frauen ejakulieren lassen kann. Wissenschaftler raten Frauen, die sich für ihre G-Fläche interessieren, ein Bewusstsein für den Beckenboden zu entwickeln und sich entspannt mit ihrer Vulva und Vagina zu beschäftigen.

Zum Weiterlesen

Bücher
Louisa Lorenz: Clit. Die aufregende Geschichte der Klitoris. Heyne 2022. Stephanie Haerdle: Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation. Edition Nautilus 2020. Mithu Sanyal: Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts. Wagenbach 2009. Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl: Viva la Vagina. Alles über das weibliche Geschlecht. S. Fischer 2018.