Albin Braig und Karlheinz Hartmann als „Hannes und der Bürgermeister“ haben ein treues Publikum. Aber Jugendliche bringen sie nicht zum Dialekt. Foto: //Karsten Schmalz

„Hannes-und-der-Bürgermeister-Charme“ bringe für ihr Anliegen nichts, sagt die Sprachwissenschaftlerin Isabell Arnstein. Die Vorsitzende des neuen Mundartvereins für für Nordbaden tritt selbstbewusst zwischen das Schwäbische und Alemannische und will den „badischen Singsang“ retten.

Wer „alles außer Hochdeutsch kann“, muss deshalb noch lange nicht Schwäbisch sprechen. Und auch nicht Alemannisch. Der neue Mundartverein „Unsere Sprachheimat – schwätze, redde, babble“ mit Sitz in Karlsruhe rückt erstmals die fränkischen Dialekte im Norden von Baden-Württemberg ins Licht. Mundart sei wertvoll, habe aber ein Imageproblem, sagt die neugewählte Vereinsvorsitzende Isabell Arnstein. Doch die Sprachwissenschaftlerin hat einen Plan, wie das Überleben der Dialekte im Land gesichert werden kann.

Frau Arnstein, Württemberg und Südbaden haben schon lange Mundartvereine. Wieso hat es in Nordbaden so lange gedauert?

Das ist eine gute Frage. Man hätte das sicher auch vor 50 Jahren gründen können. Aber wenn man unser Sprachgebiet mit dem Schwäbischen und dem Alemannischen vergleicht, ist es bei uns auch eher kleinteilig. Hier identifizieren sich die Leute über die Ortsmundarten oder bestenfalls über regionalere Dialekte. Niemand würde hier sagen, wir sprechen Fränkisch, wie man den Dialektraum in der Sprachwissenschaft bezeichnet. Da sagt man, ich spreche Kurpfälzisch oder in Buchen gar Buchemerisch. Deshalb war es vermutlich schwieriger, die Leute zusammenzubringen.

Fränkisch klingt ja mehr nach Bayern.

Klar, mancher sagt auch, er spreche Badisch, aber das ist eigentlich ein politischer Begriff. Sprachwissenschaftlich haben wir hier die Dialektbereiche Südfränkisch, Ostfränkisch, Rheinfränkisch und sogar einen kleinen Teil Unterfränkisch mit all ihren Übergängen in den Grenzbereichen. Das Kurpfälzische ist übrigens der einzige mitteldeutsche Dialekt, der in Baden-Württemberg vertreten ist.

Aha.

Alle anderen sind oberdeutsche Dialekte. Das zeigt sich an der P-pf-Verschiebung: der sogenannten Appel-Apfel-Linie.

Dialektforscherin und Mundartaktivistin Isabell Arnstein Foto: red/privat

Das Alemannische klingt für viele im Rest Deutschlands putzig und muss untertitelt werden, das Schwäbische besitzt – zumal in Berlin – das Image des Übereifrigen und Obergescheiten. Wie ist das beim Nordbadischen?

Das ist es ja gerade: Wir haben noch kein gemeinsames Image. Aber das kann es bei einem so vielfältigen Raum, der von Bühl über Buchen bis Wertheim, von Mannheim bis Hohenlohe reicht, vielleicht auch gar nicht geben.

Bei den nordbadischen Dialekten hat man ja so den Eindruck: Das ist nur Hochdeutsch mit Singsang.

Das mag sich für manche so anhören, weil unsere Dialekte nicht so weit weg von der Standardsprache sind. Je weiter südlich ich gehe, desto größer ist natürlich auch die Abweichung. Deshalb haben wir im Hochalemannischen auch die stärksten Unterschiede von der Schriftsprache. Für die Leute, die den Dialekt sprechen, ist das aber egal. Einem aus Wertheim brauche ich doch nicht sagen: Dein Dialekt weicht aber nicht arg ab vom Hochdeutschen, das ist gar kein richtiger Dialekt. Auch das gehört wertgeschätzt. Abgesehen von der Gesamtlautung gibt es überall charakteristische dialektale Einzelwörter, die den Menschen Heimat geben.

Welchen Wert hat es überhaupt, Dialekt zu sprechen?

Es hat immer einen individuellen Wert für die Leute, die sich in ihrem Dialekt verstanden und aufgehoben fühlen. Für die Gemeinschaft kann man das aber auch beantworten. Ich habe gerade eine Studie abgeschlossen. Darin wird ganz klar eine Korrelation zwischen Ehrenamt, Ortsloyalität und Dialektsprechen nachgewiesen. Wer Mundart kann, engagiert sich sehr viel häufiger für die Gemeinschaft und den Wohnort. Und das zeigt sich in Nordbaden vor allem im ländlichen Raum in sehr aktiven Vereinsstrukturen.

Jeder findet Dialekte toll und ist dann doch froh, dass die eigenen Kinder keinen Dialekt sprechen.

Ja, das ist aber auch eine Prestigefrage. Es ist immer noch in den Köpfen der Menschen drin, dass es angeblich Nachteile bringt, wenn man Dialekt spricht. Das haben viele Generationen an Lehrern verdorben und ist auch eine Nachwirkung der 70er, 80er und 90er Jahre, als die Leute diese Meinung vor sich hergetragen haben: Sprich Hochdeutsch, sonst wird aus dir nichts. In anderen Bereichen steht man heute mehr zu sich, seinem Aussehen, seinem Körper. Nur in der Sprache scheint das noch nicht angekommen zu sein.

Lassen sich die Dialekte überhaupt noch retten?

Da muss man einfach mal über die Landesgrenze schauen, wie es in Österreich und der Schweiz läuft. Da hat der Dialekt einen ganz anderen Stellenwert. Nur in Deutschland will man Konformismus betreiben. Dabei könnte jeder bei einzelnen Worten anfangen und schauen, was es für süddeutsche Varianten gibt. Warum sagen hier alle Junge und nicht mehr Bub? Es gibt doch so viele schöne Wörter.

Wie kommen wir da hin?

Man muss das Prestige erhöhen. Und wir müssen in die Schulen rein.

Sie wollen Dialektunterricht einführen?

Mundart in der Schule“ gibt es ja schon für den schwäbischen und alemannischen Raum und wird vom Kultusministerium gefördert. Das wollen wir auch im Fränkischen vermehrt einführen, in dem wir Mundartkünstler in die Schulen einladen – da gibt es viele – und wir müssen auch ansprechendes Unterrichtsmaterial erstellen. Leider bringen die Lehrer da kaum noch Wissen mit, was sie machen könnten. Es bringt ja nichts, wenn Schüler hier im Norden ein alemannisches Gedicht lernen. Das interessiert sie gar nicht.

Aber für ihren Heimatdialekt würden sie sich interessieren?

Ja. Viele Schüler sind zwar ahnungslos. Manche sagen in Mosbach, sie würden Schwäbisch sprechen. Andererseits haben 60 Prozent der Schüler in meiner Umfrage geäußert, sie hätten großes oder sehr großes Interesse, mehr über Dialekte generell und ihren Heimatdialekt zu erfahren. Aber um da anzuknüpfen, müssen wir „fresher“ werden. Wir sollten weg vom Hannes-und-der-Bürgermeister-Charme. Nicht, dass ich da etwas dagegen hätte. Die Leute mögen das. Aber es bringt uns in der Sache nicht weiter.

Sondern?

Dialekt muss als Alltagssprache akzeptiert werden. In der Schule haben wir gute Erfahrungen mit jüngeren Mundartkünstlern gemacht. Im schwäbischen Raum habe ich zum Beispiel mit Pius Jauch und Dominik Kuhn alias Dodokay zusammengearbeitet. Das war super. Beide haben das sogar kostenlos gemacht, weil ihnen Mundart wichtig ist. Und die 15- und 16-Jährigen hat das voll angesprochen.

Schwaben, Franken, Alemannen

Vorsitzende
Isabell Arnstein stammt aus Buchen, ist Sprachwissenschaftlerin und forscht am Tübinger Lehrstuhl für empirische Kulturwissenschaften zu Dialekten in Südwestdeutschland, ihre Integrationskraft und ihre Implementierung an den Schulen. Die 39-Jährige ist eine von drei Vorsitzenden des neuen Mundartvereins „Unsere Sprachheimat“, der den Norden von Baden-Württemberg abdeckt.

Beispiel
Neben dem Schwäbischen und dem Alemannischen ist das Fränkische die dritte Hauptmundart in Baden-Württemberg. Wolfgang Wulz vom Verein Schwäbische Mundart verdeutlicht es an einem Satz: Während der Schwabe sagt „I ben dehoim gewea“ und der Alemanne „I bi dehaim gsii“ könnte derselbe Satz in einer fränkischen Mundart „Ich bin dehaam gewest“ lauten.

Beispiel
2018 hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eine Dialektinitiative ins Leben gerufen. Sie soll am 12. Juli in die Gründung eines überparteilichen Dachverbands der Dialekte münden.