Der Nato-Generalsekretär wird wohl noch ein Jahr an der Spitze der Verteidigungsallianz bleiben. Grund ist auch der Zwist bei den Europäern.
Über die Lippen von Jens Stoltenberg kommt nie ein unbedachtes Wort. Auch bei einfachen Fragen überlegt der Nato-Generalsekretär meist einen kurzen Augenblick, um dann eine wie gestanzt wirkende Antwort zu geben. Nur einen Satz formuliert der Norweger inzwischen wie aus der Pistole geschossen: „Ich strebe keine Verlängerung an!“ Seit Wochen wird der 64-Jährige auf Pressekonferenzen von Journalisten gelöchert, ob er bereit wäre, sein Mandat, das im Herbst dieses Jahres endet, noch einmal zu verlängern. Aber Stoltenberg schweigt.
Inzwischen mehren sich aber Hinweise, dass der alte Generalsekretär der Militärallianz auch der neue sein wird. Die 31 Nato-Staaten hätten Stoltenberg gebeten zu verlängern, heißt es. Mindestens bis zum Jubiläumsgipfel in Washington im Juli 2024, auf dem das Bündnis seinen 75. Geburtstag feiert. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte bereits beim Nato-Treffen in Brüssel Mitte Juni eine solche Lösung angedeutet. Da sich keine Alternative zu Stoltenberg abzeichne, sei er „natürlich für eine Verlängerung, zumal ich die Zusammenarbeit schätze“, sagte Pistorius.
Keine Rückkehr in die Heimat
Es wäre nicht die erste, außerplanmäßige Vertragsverlängerung. Zuletzt hat sich der Sozialdemokrat im März 2022 kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine bereit erklärt, ein weiteres Jahr bis zum 30. September 2023 zu bleiben. Eigentlich hatte der frühere norwegische Regierungschef aufhören und zurück in seine Heimat und dort an die Spitze der Zentralbank wechseln sollen. Stoltenberg ist seit fast neun Jahren im Amt.
Lange hieß es, dass eine Frau neue Nato-Generalsekretärin werden sollte. Schnell fiel der Name der dänischen Regierungschefin Mette Frederiksen, wurde dann aber wieder fallengelassen. Nach dem Dänen Anders Fogh Rasmussen und dem Norweger Stoltenberg sollte nicht wieder eine Skandinavierin an der Spitze der Allianz stehen.
Die Briten sind aus dem Rennen
Das erhöhte die Chancen des britische Verteidigungsministers Ben Wallace, der keinen Hehl daraus machte, das politische Chaos in seiner Heimat hinter sich lassen und ins Nato-Hauptquartier ziehen zu wollen. Doch hatte er die Rechnung ohne die EU-Staaten gemacht. Großbritannien sollte in ihren Augen nicht auch noch für den Brexit mit diesem Spitzenposten belohnen werden.
So konnten die Europäer einen Briten verhindern, haben nun aber ein anderes Problem: Sie können sich offensichtlich nicht auf einen eigenen Kandidaten einigen. Als Favoriten gelten inzwischen der niederländische Premier Mark Rutte und der spanische Ministerpräsidenten Pedro Sánchez. Beide stecken in ihrer Heimat allerdings in massiven politischen Turbulenzen. Am Ende könnte die Nominierung auch davon abhängen, wer sich am elegantesten daraus befreit.
Die USA loben Stoltenberg
Die USA beobachten das Gezerre um den Nato-Posten entspannt aus der Ferne. Für sie zählt in diesem Spiel allein die Rolle des Saceur, des Kommandeurs der US-Streitkräfte in Europa und Nato-Oberbefehlshaber (Supreme Allied Commander Europe). Dieser Posten wurde vor einem Jahr mit dem US-General Christopher Cavoli besetzt. Aber allein, dass US-Verteidigungsminister Lloyd Austin jüngst Jens Stoltenberg für seine „beeindruckende Führungsstärke“ im Ukraine-Krieg gelobt hat, dürfte die Frage nach dessen Nachfolger beantwortet haben.