Mischa Fanghaenel lässt seine Porträts der Berghain-Techno-Szene zu einem Abbild der Berliner Nacht verschmelzen Foto: Mischa Fanghaenel

Das Berghain in Berlin gilt als der berühmteste Techno-Club der Welt. Die Türsteher sind berüchtigt-gefürchtete Szenestars. Zwei von ihnen, Mischa Fanghaenel und Sven Marquardt, sind als Fotografen zudem zu den Chronisten des Berliner Nachtlebens geworden.

Das Berghain ist kein Techno-Club. Das Berghain ist ein Mythos. Aus allen Ecken der Welt reisen Menschen an, um in den ehemaligen Kraftwerkshallen in Berlin-Friedrichshain bei exzessiven Partys Tag und Nacht verschwimmen zu lassen – vorausgesetzt, man kommt hinein.

Kein Zutritt für Lady Gaga und Britney Spears

Das Berghain gilt auch als der Club mit der „härtesten Tür der Welt“. Hier – heißt es – wurden bereits Elon Musk, Lady Gaga, Udo Lindenberg oder Britney Spears abgewiesen.

Menschenschlangen vor dem Berliner Club Berghain Foto: imago/Roland Owsnitzki

Für solche urbane Mythen hat Mischa Fanghaenel nichts übrig. „Das Berghain ist einfach nur eine etwas bekanntere Disco“, sagt er. Und Elon Musk sei auch gar nicht wirklich abgewiesen worden, das sei ein Publicity-Gag des Tesla-Milliardärs gewesen.

Draußen vor der Berghain-Tür

Fanghaenel muss es wissen. Er ist einer der Männer, an denen man vorbeimuss, wenn man ins Berghain will. Seit 13 Jahren arbeitet er dort als Türsteher. Zusammen mit seinem Kollegen und Freund Sven Marquardt ist er eine Ikone der Berliner Club- und Techno-Szene. Und das, obwohl er sich nur selten unters Partyvolk mischt, sondern fast jedes Wochenende die Nacht draußen vor der Tür des Berghains verbringt.

Mischa Fanghaenel Foto: Fanghaenel

„Mir liegt die Nacht“, sagt er. Und für den Interviewtermin, der um 11.30 Uhr stattfindet, musste er extra seinen Wecker stellen. „Für mich ist das sehr früh.“ Er steht jetzt auch nicht vor dem Berghain, sondern sitzt in einer Galerie in Mitte. Hier wurde eine Ausstellung eröffnet, bei der rund ein Drittel seiner 175 Porträtfotos gezeigt wird, die er für die Serie „Nachts“ ausgewählt hat. Fanghaenel arbeitet nämlich – wie sein Kollege Sven Marquardt – seit vielen Jahren auch als Fotograf. Und mit „Nachts“ dokumentiert er die Berghain-Techno-Szene.

Als die Clubs schließen mussten

Patrick Mason in der Reihe „Nachts“ Foto: Mischa Fanghaenel

Mischa Fanghaenel heißt eigentlich Michail, ist in Moskau geboren, in Marzahn aufgewachsen und hat als Teenager mit dem Fotografieren angefangen. Inzwischen ist er 47 und die „Nachts“-Fotoserie verdankt ihre Existenz der Coronapandemie und der Tatsache, dass damals alle Clubs schließen mussten. „Ich habe zwar beim ersten Lockdown meine Freizeit genossen, fand es wunderschön, zu Hause bei meiner Tochter zu sein, die da gerade drei Jahre alt war“, sagt er, „aber ich kenne welche, die in psychischer Behandlung waren, weil sie das nicht verkraftet haben, und ich weiß, dass es Leute gibt, die sich umgebracht haben.“

Mit dem „Nachts“-Projekt wollte er etwas erschaffen, das den Zusammenhalt in der Berliner Techno-Szene auch in Zeiten der geschlossenen Clubs zum Ausdruck bringt. Er wollte vorführen, dass es nicht die Orte sind, die diese Menschen zusammenführen, sondern die Kultur, für die das Berghain, aber auch andere Techno-Discos stehen. „Die gesamte Berliner Club-Landschaft basiert auf der Idee einer durch Liebe und Freiheit geprägten Gemeinschaft“, sagt er. „Hier wird nicht gefragt, wer du bist und wo du herkommst, sondern wir alle spüren das Gleiche, wenn wir uns zur Musik bewegen. Daher wollte ich die Menschen porträtieren, die für diese Ideen stehen.“

Mischa Fanghaenel (links) im Gespräch mit Ausstellungsbesuchern Foto: Arno

Womit wir auch schon bei der wichtigsten Frage angelangt wären: Wie schafft man es – anders als Britney, Udo und Co. –, ins Berghain gelassen zu werden? Dass man schwarz gekleidet sein muss und an der Tür möglichst gelangweilt schauen sollte, ist laut Fanghaenel ebenfalls ein Großstadtmärchen: „Du musst nicht so oder so aussehen, dich so oder so anziehen, du musst nur diesen Gedanken von Freiheit und Liebe leben – und schon kannst du dazugehören.“ Come as you are!

Von Mischa Fanghaenel porträtierte Clubbesucher bei der Ausstellungseröffnung Foto: Arno

Tatsächlich ist es gar nicht so leicht, sich ein realistisches Bild davon zu verschaffen, wie es im Berghain zugeht, wenn man noch nie selbst in dem Club war. Denn dort herrscht ein strenges Fotoverbot. Wer reinwill, muss nicht nur an den Türstehern vorbei, sondern auch die Kamera am Mobiltelefon abkleben.

Der Posterboy der Berliner Clubszene

Sven Marquardt Foto: imago/Emmanuele Contini

Dieser Tatsache haben es Fanghaenel und sein Türsteher-Kollege Sven Marquardt zu verdanken, dass sie so etwas wie die inoffiziellen Chronisten der Berliner Clubkultur geworden sind. Marquardt ist schon lange der Star und Posterboy der Szene: weil er mit seinen Gesichtstattoos und Lippenpiercings ziemlich verwegen aussieht, aber auch, weil der 61-Jährige die Techno-Szene schon seit vielen Jahren mit verblüffender Sensibilität porträtiert und inzwischen auch für Modestrecken gebucht wird.

Clubgänger, die Sven Marquardt für G-Star RAW porträtiert hat Foto: Sven Marquardt

Fanghaenel, der Marquardt als seinen Mentor bezeichnet, fotografiert mit seiner „Nachts“-Reihe auch gegen Berghain-Klischees an, gegen den oft von Voyeurismus geprägten Blick auf die Szene. „Es gab schon viele Fotoreihen, die nicht verstanden haben, worum es hier geht. Die Leute zeigen, die gerade aus dem Club kommen und alle nicht mehr nüchtern und nicht mehr ganz frisch sind, Porträts von Menschen, die wild angezogen und voller Tattoos sind“, sagt er. „Natürlich gibt es Leute, die sich nachts so ausleben, aber das ist nur ein kleiner Teil. Es gibt auch den Büroangestellten, der am Wochenende tanzen geht und genau das braucht, um den Rest der Woche vernünftig zu funktionieren.“

Die große Geschichte der Partynacht

Das Ausstellungsplakat Foto: Mischa Fanghaenel

Er will die Vielfalt der Szene zeigen, plant einen „Nachts“-Bildband, möchte die Biografien der Menschen, die er fotografiert, nicht verraten. „Das würde ablenken von der großen Geschichte , die ich im Kopf habe“, sagt er. „Es ist viel interessanter, wenn du nichts von den Menschen, weißt, die du siehst. Das ist genauso wie auf der Tanzfläche in der Disco. Da gehst da ja auch nicht hin und fragst die aus, bevor du mit denen tanzt.“