Ein Ausschnitt aus dem Luftbild-Projekt „BW von oben“: So sah es im Umfeld des Stuttgarter Hauptbahnhofes im Jahr 1968 aus. Foto: StZN

Das neue Projekt unserer Zeitung „BW von oben“ erschließt 20 000 Luftbilder aus dem Südwesten. Sie können auch heruntergeladen werden. Bei der Online-Auftaktveranstaltung ging es zudem um die Chancen und Risiken, wenn bald große Datenmengen frei verfügbar sein werden.

Stuttgart - Noch immer glauben viele Menschen, die Arbeit mit Urkunden, Akten und Fotos in Archiven sei erstens tröge und zweitens nur etwas für Historiker, Stammbaumforscher und andere schrullige Personen. Dabei befinden sich die Archive auch in Baden-Württemberg in einem gewaltigen Wandlungsprozess, der für die breite Öffentlichkeit großen Nutzen bringen kann. Das war eine der Erkenntnisse der Auftaktveranstaltung am Dienstagabend zum Luftbild-Projekt „BW von oben“, das unsere Zeitung, das Landesarchiv Baden-Württemberg und das Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung (LGL) gemeinsam auf die Beine gestellt haben.

Dabei kann man sich jeden beliebigen Ort in Baden-Württemberg aus der Luftperspektive anschauen, und zwar für das Jahr 1968 sowie im Vergleich dazu für die Gegenwart. Grundlage sind 20 000 Luftbilder aus dem Jahr 1968; sie stammen aus der ersten Komplett-Befliegung des Landes überhaupt.

Fotos zeigen die Lebenswirklichkeit der Menschen

Andreas Neuburger, der zuständige Referatsleiter im Landesarchiv, sieht in diesem Quellenbestand einen ganz besonderen Reiz: „Fast jeder hat spontan Lust, oft ganz ohne konkrete Fragestellung, mit diesem Bestand zu spielen.“ So kann man etwa schauen, wie es vor 54 Jahren am jetzigen Wohnort aussah. Gerald Maier, der Präsident des Landesarchivs, sagte: „Diese Luftbilder zeigen die Lebenswirklichkeit der Menschen und sind deshalb von unschätzbarem Wert.“ Die Chefredakteurin Swantje Dake sprach von einem „sinnvollen Input in die Gesellschaft“.

Mittlerweile hat allein das Landesarchiv 17 Millionen Digitalisate von Akten und Fotos ins Netz gestellt – immer mehr Archivdokumente können Forscher und Bürger deshalb am heimischen Schreibtisch aufrufen. Und das ist erst der Anfang. Es gehe nicht nur darum, immer mehr Quellen online anzubieten, betonte Gerald Maier, sondern man wolle diese Quellen auch immer besser erschließen. Denkbar wäre zum Beispiel, mittelalterliche Urkunden mit ihrer oft sehr schwer lesbaren Handschrift mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu transkribieren oder gar aus dem Lateinischen zu übersetzen. Allerdings scheitern solche Vorhaben bisher noch häufig an fehlenden finanziellen Mitteln.

Daneben könnte auch das Datennutzungsgesetz, das die Bundesregierung im vergangenen Jahr verabschiedet hat, einen Schub bringen. Darin wird vorgeschrieben, dass bestimmte Daten für jeden frei und kostenlos nutzbar werden sollen. Mache man damit nur Großkonzerne wie Google, die bisher etwa für Luftfotos des LGL bezahlen müssen, nur noch reicher, fragte Redakteur Jan Georg Plavec, der das Projekt „BW von oben“ leitet – oder ergeben sich daraus große Chancen für Start-ups und Bürger?

Jedes Jahr wird ein Drittel des Südwestens neu beflogen

Laut LGL-Präsident Robert Jakob ist der volkswirtschaftliche Mehrwert dieser Opendata viel größer, wenn die Quellen kostenlos zur Verfügung gestellt würden. Zudem würden diese Daten ja mit Steuergeldern erhoben und seien damit quasi schon bezahlt. Allerdings betonte er, dass dem LGL damit Gebühren in Millionenhöhe wegbrechen würden: „Wir brauchen dann einen Ausgleich aus dem Landeshaushalt.“ Auch Gerald Maier begrüßt die Entwicklung: Für die Forschung sei die freie Nutzung von Quellen immens wichtig.

Diese Verfügbarkeit gilt künftig auch für die Luftbilder, die aus aktuellen Befliegungen des LGL hervorgehen. Derzeit wird jedes Jahr ein Drittel Baden-Württembergs neu fotografiert, sagte der LGL-Referatsleiter Michael Spohrer – von jedem Ort des Landes existiere also ein höchstens drei Jahre altes Luftbild. Künftig könnte der Takt noch kürzer werden, weil sich zum Beispiel die Forstwirtschaft jüngere Fotos wünscht. Sie kann etwa anhand der Bilder den Borkenkäferbefall in manchen Wäldern klären. Satellitenfotos, sagte Spohrer übrigens, seien noch lange nicht so genau wie Fotos von Befliegungen.

Viele Fragen zu den Luftbildern von 1968 sind noch offen

Mehr Forschung – das wünschten sich die Teilnehmer der Auftaktveranstaltung auch für die Luftbilder von Baden-Württemberg aus dem Jahr 1968. So seien damals etwa manche Orte auf den Negativen mit viel Aufwand geschwärzt wurden, sagte Andreas Neuburger – warum, das „gehört zu den Rätseln des Projekts“. Denn es seien eben nicht nur, wie man zuerst vermutet habe, militärische Flächen, sondern oft ganz harmlose Orte, während Truppenübungsplätze frei einsehbar seien. Ehrenamtliche oder professionelle Forscher also vor.

Die Auftaktveranstaltung können Sie sich bei Youtube unter diesem Link anschauen: https://bit.ly/youtubestzn.