Die Frauen im Iran sind mutig. Seit den Protesten im Herbst 2022 legten viele ihr Kopftuch ab (Foto). Dieser Tage feiern sie – unter anderem auch in den Sozialen Medien – den Tod ihres verhassten Präsidenten Ebrahim Raisi. Foto: dpa

Nach dem Tod des iranischen Präsidenten gehen zwar viele Bilder von trauernden Menschen um die Welt. Doch viele Iraner feiern Tod des „Schlächters von Teheran“. Die Ludwigsburgerin Arezoo Shoaleh stammt selbst aus dem Iran und spricht über die Lage dort und die aktuelle Situation.

Die Nacht, in der bekannt wurde, dass der Hubschrauber des iranischen Präsidenten abgestürzt ist, war für viele Iraner eine schlaflose Nacht. Wie so viele Nächte. Denn Hinrichtungen im Iran finden immer früh morgens statt. Für die Angehörigen dramatische Nächte. Diesmal war aber eines anders. Diesmal sind viele Iraner die ganze Nacht wach geblieben und haben gehofft: dass Ebrahim Raisi den Absturz nicht überlebt hat.

So erzählt es Arezoo Shoaleh aus Ludwigsburg, 54 Jahre alt, im Iran geboren und aufgewachsen und seit 25 Jahren in Deutschland. „Dass ein ganzes Volk eine Nacht lang darum gebetet hat, dass es bei einem Absturz keine Überlebenden gibt – ich weiß nicht, ob es so etwas jemals in der Geschichte gegeben hat.“ Die Nachricht vom Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi am Sonntag hat bei Arezoo Shoaleh Freude und Entsetzen zugleich ausgelöst. Freude, weil mit dem Präsidenten des iranischen Regimes jemand starb, der für den Tod so vieler Menschen – junger Menschen – verantwortlich war. „Menschen, die einfach nur frei sein wollten“, sagt Arezoo Shoaleh.

„Er war kein Mensch, er war ein Monster“

Ihr kurzes Entsetzen bezog sich auf sie selbst. „Darf man sich über den Tod eines Menschen freuen?“, fragte sie sich erst. Aber: „Er war kein Mensch, er war ein Monster.“ Arezoo Shoaleh findet es nur bedauerlich, dass Ebrahim Raisi nun nicht mehr für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Wie der Ludwigsburgerin geht es vielen Iranern – im Iran und im Ausland. Sie freuen sich über den Tod des „Schlächters von Teheran“, wie Raisi genannt wird. Er war in seiner früheren Funktion als Staatsanwalt für Tausende Verhaftungen und Hinrichtungen mitverantwortlich. Unter seiner Präsidentschaft wurden die Proteste nach Jina Mahsa Aminis Tod im September 2022 gewaltsam immer wieder niedergeschlagen. Auch hier gab es Verhaftungen, Verstümmelungen, Vergewaltigungen und Hinrichtungen.

Jeder Iraner hat in all den Jahren, seit das Regime 1979 an die Macht kam, nahe stehende, geliebte Menschen verloren. Warum? „Weil sie ihre Menschenrechte eingefordert haben. Und sei es nur das Recht darauf, sich zu kleiden, wie man möchte. Die Bestrafung dafür ist reine Willkür.“ Eine Willkür, die die heute 54-Jährige selbst noch gut vor Augen hat. Als Studentin auf den Straßen und in der Universität Teherans, als Sozialarbeiterin im berüchtigten Evin-Gefängnis.

Sie weiß um die Unterdrückung und die Angst im Iran. Und sie weiß um den Mut der Menschen, vor allem der Frauen dort. Den Mut, im Zuge der Proteste das Kopftuch abzunehmen und damit alles – sogar das eigene Leben – zu riskieren. Oder jetzt, dieser Tage: Den Mut, am Rande der vom Regime aufgezwungenen Staatstrauer um den Präsidenten aus Freude Bonbons zu verteilen und zu tanzen.

„Das ganze Netz ist voll von Freudentränen“

Letzteres sind natürlich nicht die Bilder, die das iranische Staatsfernsehen um die Welt schickt. Dieses zeigt die Bilder „Zehntausender trauernder Iraner“. Unter ihnen sicherlich Regimeanhänger. Aber auch eine Menge Menschen, die der Aufforderung zur Teilnahme, die die Regierung per SMS an alle geschickt hat, nachgekommen sind. Studenten, die Angst haben, ansonsten aus der Uni geworfen zu werden, Ladenbesitzer, die um ihre Existenz fürchten.

Die Freude über den Tod Raisis zeigt das Staatsfernsehen nicht. Die Iraner teilen sie in den Sozialen Medien. „Das ganze Netz ist voll von Freudentränen“, sagt Arezoo Shoaleh. Freudentränen von Müttern, denen Raisi und sein Regime die Kinder genommen haben. Freudentränen von jungen Menschen, denen er ihre Freunde genommen hat.

Am Regime, konstatiert Arezoo Shoaleh, wird aber auch der Tod von Ebrahim Raisi nichts ändern. „Die Menschen im Iran können 50 Tage, bis zur Neuwahl, aufatmen.“ Danach werden sie wieder untertauchen. „Es ist wie einmal Luft holen.“ Ändern, betont die Iranerin aus Ludwigsburg, ändern wird sich an der Situation im Iran von innen heraus nichts. „Solange das Regime von der Welt so gestützt wird.“

Ein Zeichen für diese Unterstützung ist für Shoaleh auch die Kondolenz des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz und vieler anderer westlicher Politiker zum Tod von Raisi. „Das ist ein Schlag ins Gesicht aller freiheitsliebenden Menschen, das ist ein Ja zum Terrorregime.“ Hamas-Führer, Huthi und Wladimir Putin haben kondoliert. „Will sich Scholz da in die Reihe stellen? Warum fällt man den Menschen im Iran so in den Rücken?“

Grün, weiß und rot

Arezoo Shoaleh
kam 1999 aus dem Iran nach Deutschland, studierte soziale Arbeit und arbeitet als Verhandlungs-Dolmetscherin und Leiterin des Ludwigsburger Frauenhauses. Sie sitzt für die Grünen im Gemeinderat.

Die Farben Irans
Grün, weiß und rot – hat Arezoo Shoaleh immer auf ihren linken Ringfingernagel lackiert. Mit diesem kleinen Zeichen, auf das sie immer wieder angesprochen wird, hat sie angefangen, als die Proteste der Frauen im Iran nach dem Tod von Jina Mahsa Amini losgingen. „Ich mache das, bis es hoffentlich irgendwann nicht mehr notwendig ist“, sagt die Ludwigsburgerin.