In allen Bereichen sparen: Alexander Schmidtke, Klinikchef Foto: Eibner-Pressefoto/Silas Schüller

Seit einem Jahr ist Klinikverbund-Chef Alexander Schmidtke im Amt. Er stellte wichtige Weichen neu, was vor allem in Calw und Herrenberg viel Überzeugungsarbeit bedurfte.

Seit gut einem Jahr ist Alexander Schmidtke als Geschäftsführer des Klinikverbunds Südwest im Dienst. In dieser Zeit hat er viele Veränderungen angestoßen, um das horrende Defizit zu verringern, die Fusion mit Calw voranzutreiben und ein neues Medizinkonzept zu erarbeiten. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Herr Schmidtke, konnten Sie vergangene Woche ruhig schlafen, nach den fulminanten Kreistagssitzungen?

Ich habe sehr gut geschlafen, vielen Dank. Ich war allerdings auch ziemlich erschöpft.

Sie waren auf der Kreistagssitzung in Calw, dort ist es hitzig zugegangen, als es um die vertiefte Fusion und die Veränderung bei den Kliniken ging. Wie haben Sie es erlebt?

Die Sitzung verlief sehr interessiert und sehr engagiert, trotzdem sehr sachlich. Und das, obwohl schätzungsweise um die 150 Personen im Publikum saßen. Das zeigt, dass die Menschen interessiert sind an der medizinischen Versorgung vor Ort.

Woran haben sich die Calwer am meisten gestört?

Bei der Diskussion ging es stark um die Frage, dass Böblingen als großer Landkreis sehr mächtig wirkt und Calw immer die Sorge hat, dominiert zu werden. Das ist ein verständliches Phänomen, das ich auch aus anderen Projekten kenne. Das entzündet sich an unterschiedlichen Themen.

Zum Beispiel?

Im Kern geht es doch darum, das Verständnis dafür zu bekommen, dass wir in der medizinischen Versorgung deutlich mehr Spezialisierung und Konzentration brauchen, um Qualität und Wirtschaftlichkeit zu sichern. Die bestmögliche Versorgung hängt dabei nicht mehr nur vom Standort ab. Es war mir wichtig, das in Calw noch mal zu vermitteln.

Ist die Aufwallung mit der in Herrenberg vergleichbar?

In Herrenberg bestand die berechtigte Sorge, dass der Ort sein Krankenhaus verliert. Natürlich gibt es dort wie anderswo eine hohe Identifikation mit dem Krankenhaus, sowohl bei der Bevölkerung als auch bei den Mitarbeitern. Dass der Status als Krankenhaus verloren geht, war an den anderen Standorten niemals die Frage.

Für Herrenberg hat der Klinikverbund nach einem Dialog die ursprünglichen Pläne nachgebessert oder sollte man eher sagen verwässert?

Überhaupt nicht. Das Profil von Herrenberg ist geschärft. Es sind dort deutliche Alleinstellungsmerkmale entstanden wie die Palliativmedizin und ein modernes ambulantes OP-Zentrum für den gesamten Verbund. Da gibt es eine echte Vision und ein breites Spektrum. Der Fokus liegt auf älteren Patienten, wozu auch die geriatrische Rehabilitation passt, die internistische Basisversorgung oder die medizinnahe Kurzzeitpflege.

Trotzdem verliert Herrenberg den Status als Krankenhaus.

Mit 120 Betten ist Herrenberg ein intersektoraler Gesundheitsversorger. Kein klassisches Krankenhaus, dafür mit ganz unterschiedlichen medizinischen und pflegerischen Angeboten, die das Spektrum des Klinikverbunds gut ergänzen.

Sie sind seit gut einem Jahr im Amt. War die Zeit leichter oder schwieriger als Sie es sich vorgestellt haben?

Es war schon herausfordernd. Das wird deutlich, wenn Sie sehen, was wir alles auf den Weg gebracht haben: Ein Ergebnisverbesserungsprogramm mit einem Volumen von 60 Millionen Euro, wir haben eine Fusion verhandelt und ein neues Medizinkonzept ausgearbeitet. Das alles innerhalb von zwölf Monaten ist schon eine ganze Menge an Themen.

Dazu kommt das Tagesgeschäft, in dem sich das Defizit im laufenden Jahr auf 57 Millionen Euro ausgewachsen hat, im kommenden Jahr sollen es sogar 66 Millionen Euro sein.

Dieses Jahr lag die Prognose bei 70 Millionen, durch erste Erfolge unseres Ergebnisverbesserungsprogramms und die Energiehilfen des Bundes erreichen wir die 57 Millionen Euro. Da wir in 2024 mit den Energiehilfen nicht rechnen können, kommen wir eigentlich von einem höheren Ausgangspunkt. Deswegen müssen wir von einem höheren Kostenniveau unsere Potenziale zur Ergebnisverbesserung heben.

Wo werden Sie einsparen?

In allen Bereichen: Personal, Sachbereich, Infrastruktur. Es geht um betriebliche Prozesse, Strukturanpassungen. Ebenso die deutliche Reduzierung von Leasing- und Honorarkräften die im Jahr 2022 allein 17 Millionen Euro ausgemacht haben. Dieses Jahr konnten wir den Aufwand für Leasingkräfte bereits halbieren, was zeigt, dass wir schon gut vorankommen.

Sie brauchen die Arbeitskräfte doch heute auch?

Wir haben im Verbund eine sehr hohe Personalkostenquote. Die liegt momentan bei annähernd 80 Prozent unseres Umsatzes. Zum Vergleich: Andere Krankenhausgesellschaften in öffentlicher Trägerschaft liegen bei zwischen 63 und 65 Prozent. Da stellt sich die Frage, wie kommt es zu diesem Delta? Ein Punkt sind die vielen eher kleinen, teilweise mehrfach vorhandenen Abteilungen mit hohem Strukturaufwand, aber nicht genug Gegenfinanzierung. Hier setzt die notwendige Konzentration an. Ein anderer Punkt ist, dass wir in unseren Häusern die Strukturen und Prozesse optimieren müssen.

Heißt konkret?

Nehmen wir doch mal eine OP: Der Betrieb beginnt um 7.30 Uhr, die ersten Patienten sollen um 7.45 Uhr eingeschleust werden. Das OP-Personal ist da, die Anästhesie steht bereit. Was aber fehlt, ist der Patient. Auf meine Frage, wo der denn sei, bekam ich die Antwort, es gebe häufig Probleme in der Logistik und der Vorbereitung. Solche Probleme im Ablauf gibt es sehr, sehr viele. Wenn wir die Themen in den Griff bekommen, wird es auch für die Mitarbeiter leichter. Unsere Mitarbeiter machen einen hervorragenden Job und sichern mit großem Einsatz die medizinische Versorgung für über eine halbe Million Menschen, allerdings derzeit unter besonders schwierigen Bedingungen.

Können Sie die Einsparungen beziffern?

Die betriebliche Infrastruktur hat bei uns ein Volumen von 92 Millionen Euro, eine mächtige Größenordnung. Da gehört die Verwaltung ebenso dazu wie die Küche, die zentrale Sterilisation, die Reinigung oder die Logistik und nicht zuletzt Energie. Mein Ziel ist es, quer durch alle Bereiche zehn Prozent an Kosten einzusparen.

Gibt es auch eine Zielgröße, wie viel Personal am Ende eingespart werden soll?

Das kann und will ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten, da wir genauso neue Geschäftsfelder erschließen. Etwa das Zentrum für Altersmedizin, bei dem ich erhebliches Potenzial sehe. Und wenn wir die Erlöse auf der einen Seite erhöhen, haben wir natürlich weniger Druck auf den Kosten.

Bei all dem läuft das Tagesgeschäft ungehindert weiter.

So ist es, und das ist ein sensibler Betrieb, in dem wir es nicht nur mit Mitarbeitern zu tun haben, sondern vor allem mit Menschen. Ich bin hier nicht angetreten als Sanierer. Das ist mir ganz wichtig. Sondern als jemand, der mit einer relativ breiten Erfahrung ein Unternehmen in die Zukunft führt. Das ist ein Spagat: Einerseits die Wirtschaftlichkeit zu verbessern und gleichzeitig die bestmögliche Versorgung zu sichern.

Blicken wir mal ein Jahr in die Zukunft: Was soll Ende 2024 alles umgesetzt sein?

Sie müssen sich den Klinikverbund vorstellen wie einen ICE. Ich versuche jetzt, gemeinsam mit der Führungsmannschaft und der Kommunalpolitik, während der Fahrt die Weichen neu zu stellen. Ich bin ja auf einen fahrenden Zug aufgesprungen. Das ist schon zu unterscheiden von einer Restrukturierung in der freien Wirtschaft, dort geht es um Produkte, hier geht es um Menschen. Dabei ist es mir immer wichtig, meinen ethischen Kompass nicht aus dem Auge zu verlieren. Deswegen möchte ich auch nicht den Stempel des reinen Sanierers haben.

Hat Sie die starke Rolle der Politik überrascht?

Nein, ich war ja fast nur bei kommunalen Trägern tätig und einmal bei einem katholischen Krankenhaus. Öffentliche Träger sehe ich als große Chance, weswegen ich nie in die Privatwirtschaft gehen wollte. Durch das starke Bekenntnis unserer Träger haben wir es trotz der schwierigen Rahmenbedingungen selbst in der Hand, den Klinikverbund als starken medizinischen Versorger und Arbeitgeber zukunftsfähig aufzustellen. Diese Chance wollen und werden wir nutzen.

Sie waren zuvor in Coburg tätig, sind hier ein sogenannter „Neigschmeckter“, wie man sagt. Sind Sie mit der schwäbischen Mentalität schon warm geworden?

Ich bin in Villingen-Schwenningen geboren, genauer: in Schwenningen, also Schwaben. Mein Vater hatte zehn Geschwister, die dort alle verstreut waren bis Rottweil runter. Dort habe ich noch viel Verwandtschaft, der ich jetzt wieder näher bin. Insofern ist mir die schwäbische Mentalität vertraut. Aufgewachsen bin ich allerdings in Bayern und Oberfranken. Aber keine Angst: Ich habe keine Anpassungsprobleme.