In den Innenstädten der Region belebt sich allmählich der Handel wieder und kommt auf das Niveau der Vor-Corona-Zeit. Was für die Geschäfte aber tödlicher ist als die kleinen Viren, sind immer weiter steigende Mieten. Gibt es einen Ausweg?
Von Corona gebeutelt, vom Strukturwandel bedroht. Der Handel in den Innenstädten hat nach wie vor zu kämpfen. Dass dies nicht nur eine subjektive Einschätzung der Händler ist, belegen Zahlen, die etwa der Hochschule Nürtingen-Geislingen vorliegen. Der Professor für Marketing, Dirk Funck, forscht seit mehreren Dekaden über den Einzelhandel in Deutschland. Seit den 1970er-Jahren sei der Anteil der inhabergeführten Ladengeschäfte von 50 Prozent auf 20 Prozent gesunken, sagt er, und diese Zahl schließe alle Unternehmen ein, die weniger als zehn Filialen hätten.
Ebenso geht die Zahl der Menschen zurück, die in den Innenstädten unterwegs sind. In Sindelfingen hat man sogar eigene Messgeräte aufgestellt, die per Laser die Fußgänger in der Altstadt zählen und hat nun schwarz auf weiß, dass die Frequenz der Fußgänger in Sindelfingen abgenommen hat. „Das klassische ,Ich geh jetzt mal bummeln’, wird abgelöst von Kunden, die einen klaren Kaufwunsch haben“, sagt der City Manager Jan Gaiser. Aber nicht nur der Einzelhandel, sondern auch die Gastronomie in Sindelfingen schwächelt, die Stadt ist hier noch nicht ganz auf dem Niveau vor Corona angekommen.
Esslingen hat das Niveau von 2019 erreicht
Manch andere Stadt ist da weiter. Was den Umsatz der Geschäfte betreffe, habe man inzwischen das Niveau des Jahres 2019 erreicht, sagt Michael Metzler aus Esslingen, der Chef des Stadtmarketings. Aber auch Esslingen spürt das nachlassende Leben in der Innenstadt. Weil der Handel nicht mehr genug Kundenfrequenz erzeugt, will die Stadt die Menschen durch Veranstaltungen in Richtung Freizeit und Kultur in die Stadt holen. Nicht nur das Street-Art-Festival zählt dazu, vor allem der in ganz Deutschland beliebte Mittelaltermarkt. Hier sind die Umsätze zur Zeit hoch, zumal der Markt drei Jahre lang ausfallen musste. „Wir merken: Die Leute wollen sich was gönnen“, sagt Michael Metzler. Der Markt scheint sich auf vielen Ebenen auszuwirken, und so zählt Esslingen zu den wenigen Städten die eine Leerstandsquote von unter zehn Prozent haben.
Wie viele andere Zentren muss sich auch Esslingen mit der schwierigen Lage der Warenhäuser beschäftigen. Dort gibt es eine Karstadt-Filiale in bester Lage in der Bahnhofstraße, die sogar zu einer Einkaufsmeile ausgebaut werden sollte, doch geht es hier wegen Rechtsstreitigkeiten und der unsicheren wirtschaftlichen Lage nicht voran.
Fragt man Professor Dirk Funck, dann haben die reinen Warenhäuser keine Zukunft mehr. Er prognostiziert, dass die meisten in zehn Jahren verschwunden sein werden.
Große Filialisten ziehen sich zurück
Waren die Städte früher eher Handelszentren, scheinen sie sich in diesem Jahrzehnt weiter zu wandeln. „Wir haben sogar gesehen, dass sich große Filialisten, wie etwa Douglas, aus der Münchner Innenstadt zurückgezogen haben“, berichtet Dirk Funck. Der Grund für den Rückzug selbst zahlungskräftiger Unternehmen sieht Funck in den immer weiter und weiter steigenden Mietpreisen. Deswegen gebe es auch mehr und mehr Gastronomie, wo früher Kleider oder Schuhe über die Ladentheke gingen. Viele Gastronomen und vor allem die Imbissbuden arbeiteten quasi rund um die Uhr, und könnten so mehr Rendite erwirtschaften als ein Modegeschäft, das nur tagsüber offen habe. Er beobachtet auch, dass gerade in München die Händler von noch finanzkräftigeren Unternehmen verdrängt würden, wie etwa den Automobilherstellern.
„Jetzt haben wir die Situation, dass in den Innenstädten Showrooms und Autosalons eingerichtet werden. Das wäre bis vor wenigen Jahren undenkbar gewesen“, sagt Funck. Wo früher der Handel saß, werden jetzt als neue Entwicklung in den Innenstädten Gemeinschaftsbüros eingerichtet, Co-Working-Stationen. Auch stellt Funck fest, dass in den Innenstädten kaum noch gewohnt werde. In vielen Häusern gerade in den Altstädten sei meistens nur noch das Ladengeschoss vermietet. Der Mietpreis sei so hoch, dass er das ganze Gebäude wirtschaftlich trage, und die Eigentümer dann kein Interesse mehr hätten, die übrigen Stockwerke auch noch zu vermieten.
Das alles würde dazu führen, dass die so genannten Eins-A-Lagen der Städte für den Handel zwar noch funktionierten, aber in den Eins-B-Lagen das Netz der Läden immer mehr ausgedünnt würde.
Guter Mix aus Digitalisierung und Verkauf
Als künftige Strategie für den Handel plädiert Funck für einen gut verzahnten Mix aus Digitalisierung und Verkauf. Das beste Beispiel für ihn sind die Apple Stores, wie es beispielsweise im Sindelfinger Breuningerland einen gebiet. „Die Apple Stores sind die erfolgreichsten Ladenschäfte der Welt“, berichtet er. Warum? Weil Termine, Beratung und Verkauf digital abgewickelt würden, während man das Produkt im Verkaufsraum anfassen und ausprobieren könne.
Im Grunde sind die Ursachen des Strukturwandels also die immer weiter steigenden Mieten. „So lange daran nichts gesetzlich geändert wird, sind den City-Managern und den Gemeinderäten die Hände gebunden, wenn es darum geht den Handel weiter zu entwickeln. Sie können allenfalls Netzwerkarbeit leisten“, sagt Funck.