Der Verein Frauen für Frauen will in Ludwigsburg erweitern und wartet seit einem halben Jahr vergebens auf eine Antwort darauf, ob er dafür Geld aus einem Bundesprogramm zum Ausbau von Frauenhäusern bekommt. Die Zeit drängt.
Die Momente, in denen die Mitarbeiterinnen von Frauen für Frauen in Ludwigsburg schier verzweifeln könnten, kommen in regelmäßigen Abständen. Arezoo Shoaleh, pädagogische Leiterin des Vereins, erzählt von Frauen in höchster Not. Frauen, die in extremen Gewaltsituationen leben. Die für ein Telefonat mit dem Frauenhaus – wenn sie es geschafft haben, Mut für einen Anruf zu fassen – Augenblicke abpassen müssen, in denen der Partner gerade mal kurz weg ist. Die vereinbarte Beratungstermine absagen, weil sie sich nicht aus der Wohnung trauen.
Shoaleh erzählt auch von einer Frau, die in so großer Angst lebt, dass sie das Angebot, die Polizei zu ihrer Wohnung zu schicken, mit der Begründung ablehnte, wenn ihr Mann zufällig das Polizeiauto heranfahren sehe, bevor die Beamten an der Wohnung seien, werde er sie umbringen.
Die Dramen finden mitten unter uns statt
Diese Dramen finden mitten unter uns statt. Doch im Frauenhaus, das Frauen für Frauen an einem aus Sicherheitsgründen anonymen Ort unterhält, gibt es nur zehn Plätze – viel zu wenige für einen 500 000-Einwohner-Landkreis, wie der Verein anprangert. Über das Jahr 2021 verteilt lebten 29 Frauen mit 35 Kindern in den Frauenhaus-Zimmern, die Altersspanne reichte von 20 bis 60 Jahren. Für 2022 liegen die Zahlen noch nicht vor, sie ähnelten aber denen vom Vorjahr, so Shoaleh. Auch ausreichend Schutzräume für behinderte, psychisch kranke oder suchtabhängige Frauen, die besonders von Gewalt betroffen sind und eine engmaschige Betreuung brauchen, fehlen.
Dazu kommt, dass der Verein bei der Unterbringung immer wieder auf Kosten sitzen bleibt, denn Frauen, die keine Sozialleistungen beziehen oder aus einem anderen Landkreis kommen, haben es äußerst schwer, einen Aufenthalt im Frauenhaus finanziert zu bekommen. „Das ist für uns natürlich kein Kriterium für eine Aufnahme“, betont Shoaleh. „Für jede Frau, die einen Platz im Frauenhaus braucht, versuchen wir einen zu finden, notfalls auch in anderen Landkreisen, auch wenn es oft sehr hart ist, wenn dann auch das ganze Lebensumfeld wegbricht. Erst recht, wenn Kinder dabei sind.“ Dennoch: „Wir haben am Tag fünf Anfragen, die wir abweisen müssen. Gestern habe ich einen Platz für eine alleinstehende Frau gesucht. Ich habe in ganz Baden-Württemberg keinen gefunden.“
Das aufreibende Geld-Auftreiben für den Frauenhaus-Aufenthalt
Die Unterbringung geht oft einher mit dem mühsamen Geschäft, eine Refinanzierung hinzubekommen, was mitunter nur mit Gerichtsverfahren klappt. „Das ist neben unserer Kernarbeit sehr aufreibend“, sagt die Sozialarbeiterin. Dass die Finanzierung jedes Einzelfalles anders gelagert sei, verkompliziere die Arbeit ungemein. Der Verein ist angesichts dieser Situation daher ziemlich frustriert darüber, dass die Landesregierung auf eine bundesweite Rahmenregelung für eine einheitliche Finanzierung warten will – die die Berliner Ampel erst bis zum Jahr 2025 in Aussicht stellt. Die SPD-Landtagsfraktion hatte im Januar gefordert, dass die Kosten nicht mehr Einzelfall bezogen berechnet werden sollen, sondern dass das Land in die Grundfinanzierung einsteigt.
Zum Weltfrauentag am 8. März fordern der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg und die Frauenhäuser Land und Kommunen dazu auf, ein solides Finanzierungskonzept und eine bedarfsgerechte Sozialplanung zuwege zu bringen. „Es darf keine Ausnahmen oder Einschränkungen geben oder der Aufenthalt an der Finanzierung scheitern“, sagt Katrin Lehmann, Referentin für Frauen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, „wir brauchen ein System, das die Finanzierungsprobleme von Frauenhausaufenthalten beseitigt.“ Auch müsse eine bedarfsgerechte Anpassung des Personalschlüssels her. Nachdem eine bundeseinheitliche Regelung so bald nicht zu erwarten ist, fordern der Wohlfahrtsverband und die Frauenhäuser im Land, dass ein Ausfallfonds eingerichtet wird, über den der Frauenhausplatz für alle Frauen und Kinder bezahlt wird, deren Aufenthalt nicht durch Sozialleistungen finanziert wird , weil sie nicht leistungsberechtigt sind oder ihre Herkunftsgemeinde der Kostenübernahme durch freiwillige Leistungen nicht nachkommt.
Shoaleh: „Es würde perfekt passen“
Frauen für Frauen in Ludwigsburg treibt gerade auch noch ein anderes Finanzierungsproblem um: Der Verein will ein zweites Frauenhaus eröffnen, das der Platznot Rechnung trägt und mit Einzelapartments etwas mehr Privatsphäre ermöglicht. Er hat auch ein Gebäude in Aussicht, das „perfekt passen würde“, so Arezoo Shoaleh. Der Umbau und die Möblierung würden drei Millionen Euro kosten. Seit einem halben Jahr liegt ein Antrag beim Bund, doch wenn nicht bald ein Signal kommt, befürchtet Frauen für Frauen, dass der Eigentümer der Immobilie sie anderweitig vergibt. „Er wartet seit einem halben Jahr auf uns“, sagt Arezoo Shoaleh, „und verliert jeden Monat Kapital.“
Gewalt gegen Frauen im Fokus
Tödliche Gewalt
2021 starben in Deutschland laut Polizeistatistik 113 Frauen durch ihre (Ex)-Partner. Im Polizeipräsidium Ludwigsburg gibt es, wie landesweit, seit 2021 eine Koordinierungsstelle Häusliche Gewalt. Die Polizei klärt seither auch mit einem speziellen Risikoprognoseinstrument bei Ermittlungen Risikofaktoren ab, die auf eine statistisch wahrscheinliche Gewalteskalation hinweisen.
Lesung zu Femiziden
Für Donnerstag, 9. März, lädt Frauen für Frauen zu einer moderierten Lesung mit der Autorin Julia Cruschwitz ein. Sie liest Passagen aus ihrem Buch „Femizide – Frauenmorde in Deutschland“, zwischen denen es Gesprächsabschnitte gibt, bei denen das Publikum Fragen stellen kann. Die Moderation übernimmt Karin Götz, Leiterin Gemeinschaftsredaktion Kreis Ludwigsburg, Stuttgarter Zeitung / Stuttgarter Nachrichten / Marbacher Zeitung / Kornwestheimer Zeitung. Start ist um 18.30 Uhr, Abelstraße 11.