Am Sonntag startet die Formel 1 mit dem Großen Preis von Bahrain in die Saison 2023. Vor allem Ferrari und Mercedes wollen in der Wüste die Jagd auf den Red-Bull-Piloten Max Verstappen eröffnen. Doch der 25-jährige Doppelweltmeister ist gewappnet – die zehn Kilogramm, die der zwischenzeitlich zugelegt hatte, sind wieder abgespeckt.
Die Wüsteninsel Bahrain hat schon am Dienstag einen klimatischen Vorgeschmack auf den Start der neuen Formel-1-Saison bekommen: Mit 127,8 km/h stellte der Sturm über dem Arabischen Golf eine Rekordmarke auf. Auch die Rennställe haben reichlich Tempo aufgenommen, neun von zehn Teams waren bei den Testfahrten schon deutlich schneller als im letzten Jahr, Titelverteidiger Red Bull Racing um fast anderthalb Sekunden auf die eigene Bestzeit. Wenn sich das beim Großen Preis von Bahrain am Sonntag (16 Uhr) bestätigt, dann könnte es erneut zu einem Alleingang von Max Verstappen kommen.
Auf Augenhöhe
Der siegende Holländer selbst aber hätte viel lieber einen Dreikampf mit Ferrari und Mercedes. Das hat weniger mit drohender Langeweile zu tun, für ihn war auch die Rekordsiegesserie von 15 Einzelerfolgen im letzten Rennjahr spannend genug. Vielmehr geht es dem Weltmeister darum, dass er mit einem auf Augenhöhe erzielten Hattrick die letzten Zweifel aus dem Weg räumen kann, ein sportlich unumstrittener Champion zu sein. Wir erinnern uns: den ersten WM-Sieg schaffte er beim Skandalfinale von Abu Dhabi, und sein souveräner Vorjahreserfolg wurde von der Affäre um das Brechen des Budgetdeckels durch sein Team überschattet. Auch wenn er sich äußerlich gelassen gibt, die Kontroversen sitzen vielleicht doch tiefer als gedacht. Er braucht einen Triumph nach den britischen Regeln, fair und ehrlich.
Die Jagdsaison ist eröffnet, aber der Titelverteidiger hat schon in den ersten sechs Wochen des Jahres sein persönliches Ziel erreicht. Die zehn Kilo Gewicht, die er zwischen Saisonende und Weihnachten zugelegt hat, sind wieder runter. Kummerspeck kann das nicht gewesen sein, eher Zeichen für den großen Genuss. Als die Marketingleute der Formel 1 alle Rennfahrer wie Kinder bei der Einschulung mit einer Schiefertafel porträtiert haben, hatte Verstappen sein Lieblingsessen drauf gekritzelt: Tomatensuppe und Carpaccio, dazu den Wunsch: „Dieses Jahr werde ich mehr gesunde Dinge essen.“ Aber erst mal muss der Siegeshunger gestillt werden. Was das angeht, bleibt der 25-Jährige unersättlich.
So wirklich kommt es bei der Nummer eins auch nicht darauf an, was die Waage zeigt. Der im Vorjahr übergewichtige Red-Bull-Rennwagen wurde schon im Lauf der Saison auf Idealgewicht getrimmt, und alles, was das Dauersiegerauto an guten Genen hat, konnten die Konstrukteursweltmeister mit ins zweite Jahr des neuen Reglements nehmen. Außerdem wurde alles tiefgelegt, mit Ausnahme der Hoffnungen. Bei den Testfahrten vergangene Woche spielte Verstappen mit den Gegnern, schenkte sich Zeitfahrten mit leeren Tanks und superweichen Reifen und nahm am Finale der Probefahrten gar nicht mehr teil. Dank seiner mittlerweile kontrollierten Aggressivität und seinen Fähigkeiten als Gummiflüsterer fährt er an besonders guten Tagen längst wie Erzrivale Lewis Hamilton: wie vom anderen Stern.
Der Niederländer wirkt entspannt, fast gelassen – und in dieser Ruhe liegt seine Superkraft. Drei ist eine magische Zahl, was die WM-Titel angeht, dass wäre der endgültige Sprung in die richtige Champions League, den Kreis der Sennas, Stewarts, Laudas, Brabhams und Piquets. Überhaupt hat es nur vier Piloten gegeben, die dreimal in Folge Weltmeister wurden, und von denen haben alle insgesamt noch mindestens einmal mehr abgeräumt: Alain Prost, Sebastian Vettel und Lewis Hamilton (vier WM-Siege hinter einander) und Michael Schumacher (fünf). Es gilt das Gesetz der Seriensieger. Bei den Rennställen ist es kaum anders, Red Bull will Mercedes dauerhaft ablösen und an die Vettel-Ära anschließen.
Lob und Tadel blendet Verstappen aus, auch in seiner neunten Saison in der Königsklasse bleibt er ein gelernter Tunnelblicker. Seine Auftritte in der Netflix-Erfolgsserie „Drive to survive“ blieben daher eher nichtssagend, und seinen Persönlichkeitswandel weiß er geschickt zu verstecken. Tatsächlich ist nach seinem ersten Titel 2021 seine Grundeinstellung eine andere geworden. Aller Druck auf ihn ist weg, er projiziert ihn umso mehr auf die anderen. Alles, was nach dem ersten Titel für ihn noch kommen sollte, sei doch nur ein Bonus. Aber da ist er ganz CEO seines eigenen Imperiums: Es geht doch immer weiter um Wachstum und damit um Wertsteigerung. 454 WM-Punkte zuletzt, auch das ein Rekord. „Manchmal ist es einfach schön, ein dominantes Auto zu haben“, bemerkt er mit einem Lächeln, „die Emotionen beim zweiten Titel waren andere.“ Gefolgt von einer Drohung: „Wir haben Fortschritte in allen Bereichen gemacht.“
Auf der Jagd nach dem Titelhattrick will der Gejagte den Seelenfrieden (nicht die Kilos!) aus der Winterpause mitnehmen: „Ich bleibe dabei, dass wir uns lieber auf uns selbst konzentrieren, als links und rechts zu schauen, was die Gegner machen. Das hat sich für mich bewährt.“ Und noch eins: „Es ist wichtig, entspannt zu bleiben und nicht so viel an den Motorsport zu denken.“ Mit einer Eins auf dem Auto ist das natürlich am einfachsten.