Es ist keine „Beziehungstragödie“ und kein „Familiendrama“: Wenn Männer Frauen töten, weil sie Frauen sind, das ein Femizid. Ein eindringlicher Abend in Ludwigsburg mit der Autorin Julia Cruschwitz gibt Einblicke.
Eng besetzt ist der kleine Saal im Obergeschoss bei Frauen für Frauen in der Abelstraße, es werden noch Stühle gebracht. Frauen von der Schülerin bis zur Ruheständlerin sitzen da, und ein einziger Mann – darauf wird noch zurückzukommen sein. „Es ist wunderbar, dass Sie alle da sind“, sagt Karin Götz, „eigentlich müssten heute aber auch Bundestagsabgeordnete, Landtagsabgeordnete, der Polizeipräsident, Richter und andere Multiplikatoren hier sitzen.“
Götz, Leiterin der Gemeinschaftsredaktion Kreis Ludwigsburg von Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten, Marbacher Zeitung und Kornwestheimer Zeitung, hat als Moderatorin des Abends Julia Cruschwitz neben sich auf der Couch sitzen – und das Thema des Buches, das die Autorin und Journalistin zusammen mit ihrer Kollegin Carolin Haentjes geschrieben hat, steht im krassen Kontrast zu der kuschelig-behüteten Atmosphäre im Raum. Es geht um Femizide in Deutschland – Morde an Frauen, denen ihre Partner oder Ex-Partner das Lebensrecht absprechen. 139 im Jahr, 200 Tötungsversuche, dazu kommt eine hohe Dunkelziffer: Es ist eine erschreckende Zahl, die Cruschwitz nennt. Und sie sind nur die bestürzende Spitze des Eisbergs, denn auch wenn es nicht zum Schlimmsten kommt: Das Bundeskriminalamt erfasste vergangenes Jahr mehr als 143 000 Fälle von Gewalt in der Partnerschaft, BKA-Chef Holger Münch geht auch hier von einem „erheblichen Dunkelfeld“ aus. 80 Prozent der Täter sind Männer.
Femizide ziehen sich durch alle Milieus
Auslöser dafür, dass Julia Cruschwitz Femizide zu ihrem Thema machte, war eine Tat, die sich wenige hundert Meter von ihrer Wohnung abspielte. Im Leipziger Auwald, wo Cruschwitz selbst oft Rad fährt oder joggt, wurde im April 2020 die 37-jährige Sozialarbeiterin Myriam Z. von ihrem langjährigen Lebensgefährten mit Hammerschlägen auf den Kopf und den Oberkörper attackiert. Ihr sechs Wochen altes Baby hatte sie in einem Tragetuch an ihrem Körper, es blieb unverletzt. Myriam Z. starb zwei Tage später an den Folgen der Gewalttat. Sie kam nicht aus heiterem Himmel: Seit der Trennung hatte der Mann seine Ex-Freundin immer wieder beleidigt und bedroht. Sie hatte im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens ein Annäherungsverbot erreicht.
Cruschwitz stellt klar: Femizide ziehen sich durch alle Milieus, „keine Schicht oder ethnische Herkunft sticht besonders hervor“, das sei wissenschaftlich belegt. Auch die Recherche, für die das Autorinnen-Duo Überlebende, Angehörige und Experten wie Juristinnen, Sozialarbeiter oder Soziologinnen befragte, zeigte: Bei den Tätern sei „vom Dachdeckermeister bis zum Hochschulprofessor alles vertreten“. Und: „Meist sind es keine Affekttaten, sondern sie werden über einen längeren Zeitraum akribisch geplant.“
Oft passierten sie in „langen, etablierten Beziehungen“, in denen die Fassade nach außen hin stimme; in vielen Fällen gehe dem ein schleichender Prozess der Kontrolle und der Isolierung der Frau durch den Partner voraus. Ringe eine Frau sich dann durch, den Mann zu verlassen, und realisiere dieser, dass er sie nicht mehr zurückgewinnen könne, könne das Auslöser für einen absoluten Vernichtungswillen sein, so Cruschwitz.
Behörden-Fehler, nicht richtig eingeschätzte Vorboten der Tat oder widersprüchliche Rechtssprechungen zuungunsten der Frau: Das Buch zeigt, wie erschreckend allein manche Frauen sind, die aus der Gewaltspirale herauskommen wollen. Etwa in dem Kapitel, in dem ein Familienrichter einer Mutter – Polizistin von Beruf – empfiehlt, eine Anzeige wegen häuslicher Gewalt gegen ihren Ex-Partner – ebenfalls Polizist – zurückzuziehen. Sie tut es aus Angst, das Sorgerecht zu verlieren. Absurd anmutende Fälle dieser Art hat das Buch etliche parat. „Viele Entscheider in Institutionen haben keine Ahnung von den Dynamiken in Gewaltbeziehungen“, sagt Julia Cruschwitz.
Landtags-Entscheidung zu Frauenhäusern: „Ein Schlag ins Gesicht“
Das Buch zeigt aber auch, welche Präventionsmöglichkeiten es gibt – etwa ein Hochrisikomanagement, bei dem Polizei und andere Behörden kooperieren, um Gefährdungsfaktoren rechtzeitig zu erkennen. Mit dem Publikum, das eigene Erfahrungen oder solche aus seinem Umfeld einbrachte, entspann sich noch eine lebhafte Diskussion. „Warum sind bei einem solchen Abend nicht viel mehr Männer dabei?“, beklagte eine Zuhörerin. Dass die baden-württembergischen Regierungsfraktionen ausgerechnet am Weltfrauentag einen Gesetzentwurf der SPD für eine bessere Finanzierung von Frauenhäusern abblitzen ließ, nannte Chris Scheuing-Bartelmess vom Verein Frauen für Frauen angesichts der für viele dramatischen Lage einen „Schlag ins Gesicht“.