Ursula von der Leyen Foto: AFP/FREDERICK FLORIN

Neun Monate vor der Europawahl hat EU-Kommissionspräsidentin vor dem EU-Parlament eine Bilanz ihrer vierjährigen Amtszeit gezogen und einen Blick in die Zukunft gegeben.

Amtsmüdigkeit kann Ursula von der Leyen nach diesem Auftritt mit Sicherheit niemand vorwerfen. Gewohnt energiegeladen stand die EU-Kommissionspräsidentin knapp über eine Stunde am Rednerpult im weiten Rund des Straßburger Europaparlaments und skizzierte aus ihrer Sicht die Lage der EU.

Es ist inzwischen ein wichtiges Ritual, dass die Chefin des Brüsseler Behördenapparates im Herbst jeden Jahres ihre „State of the European Union“-Rede hält. Kopiert ist die große Pose von den US-amerikanischen Präsidenten, die sich gerne mit gewichtigem Pathos an ihre Landsleute richten. Doch während in den USA bei diesen Auftritten Millionen Menschen gespannt vor den TV-Geräten sitzen, findet die Rede der „europäischen Regierungschefin“ praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das sei aber kein Symbol für die Brüsseler Bürgerferne, sind die Kommissionsmitarbeiter jedes Mal bemüht zu betonen.

Rechtspopulisten glänzen durch Abwesenheit

Ähnlich desinteressiert zeigten sich am Mittwoch in Straßburg allerdings auch die Vertreter der extremen rechten Parteien im Parlament, deren Reihen stark gelichtet waren. Der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund twitterte ein Foto der gähnenden Leere auf der rechten Seite des Plenums. „Sie kümmern sich einfach nicht um die EU-Bürger. Sie kümmern sich einfach nicht um Europa“, lautete sein bissiger Kommentar in Richtung der Populisten.

Ursula von der Leyen nutzte ihren Auftritt vor dem Parlament derweil für eine regelrechte Leistungsschau ihrer EU-Kommission. Dieses Eigenlob war erwartbar und dennoch spitzten die Parlamentarier über eine Stunde permanent die Ohren. Die Frage war: Lässt die Deutsche womöglich in einem Nebensatz durchblicken, dass sie erneut für den Posten der Kommissionschefin kandidiert? Im kommenden Jahr sind Europawahlen und danach werden auch in der Brüsseler Behörde die Karten neu gemischt. Im Grunde gehen nicht nur EU-Insider davon aus, dass Ursula von der Leyen bereit ist für eine zweite Amtszeit, doch lässt sie alle Fragen zu diesem Thema unbeantwortet. Allein ihr starker Appell am Mittwoch, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, könnte von ihren Anhängern im weitesten Sinne als Bewerbung für den begehrten Posten gewertet werden. Spekuliert wird angesichts ihres Schweigens aber auch, dass vor allem die US-Regierung sie gerne als Nachfolgerin von Jens Stoltenberg als Nato-Generalsekretär sehen würde und die Deutsche sich diese Möglichkeit noch offenhalten will.

Harte Gangart der EU gegen China

Allerdings ließ Ursula von der Leyen keine Zweifel aufkommen, dass sie sich in den rund 300 Tagen bis zum Ende der Amtszeit mit ganzer Kraft auf ihre Arbeit konzentrieren wird. Dazu gehört auch, dass sie die Union auf eine härte wirtschaftspolitische Gangart gegenüber China einschwören will. In diesem Fall redete sie nicht lange um den heißen Brei, sondern kündigte unter anderem eine Wettbewerbsuntersuchung wegen Marktverzerrungen durch chinesische Subventionen für Elektroautos an. Sie warf Peking vor, die Weltmärkte mit künstlich verbilligten Fahrzeugen zu „überschwemmen“. Die EU habe nicht vergessen, „wie sich Chinas unfaire Handelspraktiken auf unsere Solarindustrie ausgewirkt haben“, betonte von der Leyen. Vor einigen Jahren seien viele Unternehmen von stark subventionierten chinesischen Konkurrenten vom Markt gedrängt worden. Ähnliches drohe nun bei der Elektromobilität: China „verzerrt unseren Markt“.

Die meisten EU-Parlamentarier nickten an dieser Stelle zufrieden, wurden dann allerdings plötzlich von einer gewissen Hektik ergriffen. Ursula von der Leyen hatte in ihrer Rede unvermittelt vom Englischen ins Deutsche gewechselt und nicht jeder hatte den Kopfhörer für die Übersetzung bereitliegen. Sie redete jetzt über die Zukunft der Landwirtschaft in Europa und wollte nicht nur die Landwirte in ihrer deutschen Heimat ungefiltert erreichen. Diese Botschaft ging direkt an Manfred Weber, der nur wenige Meter vor ihr in der ersten Reihe des Parlamentes saß. Der CSU-Politiker und Chef der EVP-Fraktion hatte in den vergangenen Monaten eine Art Palastrevolution gegen die Kommissionschefin orchestriert. Den Konservativen gehen die Vorgaben für die Bauern im Rahmen des von Ursula von der Leyen vorangetriebenen Green Deal viel zu weit. Sie hatten aus diesem Grund einige Abstimmungen blockiert. Die Kommissionschefin sagte am Mittwoch noch einmal ausdrücklich, dass am ökologischen Umbau der Landwirtschaft kein Weg vorbeiführe und betonte: „Wir brauchen mehr Dialog und weniger Polarisierung.“ Manfred Weber nickte.

Die vielen Projekte der Kommissionschefin

Ursula von der Leyen machte während ihrer Rede sehr deutlich, dass Politik zu gestalten in diesen Zeiten der multiplen Krisen das Bohren von sehr dicken Brettern bedeutet und nicht immer sofort Lösungen angeboten werden können. Auf dem Weg durch die Probleme verlor sich die Kommissionschefin dann allerdings in einer langen Liste von Ankündigungen. So will sie ein internationalen Expertengremium zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) einrichten. Dann schlug sie eine neue Afrika-Strategie vor, die in einer neuen Art der Partnerschaft münden soll. Zudem plant sie angesichts des Migrationsströme ein Internationale Konferenz gegen Menschenhandel. Und um den Ausbau der alternativen Energien voranzutreiben, soll ein neues „Paket für die Windkraft in Europa“ ausgearbeitet werden. Das brachte ihr nach der Rede den Spott des SPD-Abgeordneten Jens Geier ein. „Wenn du nicht mehr weiterweißt, gründe einen Arbeitskreis“, dürfe nicht zum Motto der EU-Kommission werden, warnte der Sozialdemokrat.