Kanzler Olaf Scholz muss sich in Brüssel wegen der deutschen Alleingänge viel Kritik anhören. Doch der Regierungschef ist sich keiner Schuld bewusst. Foto: AFP/KENZO TRIBOUILLARD

Kanzler Scholz sorgt für großen Ärger in der EU, dabei müsste er in der Krise integrieren und führen, kommentiert unser Brüssel-Korrespondent Knut Krohn.

Kanzler Olaf Scholz fühlt sich unverstanden in Europa. Wieso bloß erkennen die Partner nicht, dass sein Handeln völlig logisch und auch zutiefst europäisch ist? Der „Doppelwumms“ muss sein, weil er mit dem 200-Milliarden-Paket in der Krise die deutschen Bürger und Unternehmen entlastet. Den europaweiten Gaspreisdeckel muss er blockieren, weil sonst kein Gas mehr nach Europa fließen würde. Neue europäische Schulden zur Bewältigung der Energiekrise sind aus seiner Sicht völlig unnötig, denn für die bedürftigeren EU-Mitglieder gibt es genug Geld aus anderen Brüsseler Fördertöpfen.

Alles nur zum Wohle Europas

Stoisch versichert Scholz, dass er bei seinem Tun vor allem das Wohle Europas im Blick habe, das wird aber wohl nur im Berliner Kanzleramt so gesehen. Die meisten EU-Partner interpretieren die deutsche Politik eher als egoistische Alleingänge. Die Kritik daran wird längst nicht mehr hinter vorgehaltener Hand geäußert. Doch der Regierungschef wischt jegliche Zweifel mit seiner trocken-hanseatischen Art vom Tisch. Deutschland habe alles richtiggemacht, ließ er seine Kollegen jüngst bei einem Treffen in Prag wissen. Damit war klar, dass Olaf Scholz seinen Weg weitergehen wird, im Zweifel auch ohne engere Abstimmung mit den Partnern.

Es verwundert nicht, dass nun ausgerechnet Emmanuel Macron zu einer Art verbaler Notbremse griff. Auch der französische Präsident verfolgt gerne nationale Ziele und predigt europäische Interessen. Es sei nicht gut für Deutschland und auch für Europa, wenn sich Deutschland weiter isoliere, mahnte der Staatschef. In der aktuellen Situation gelte es, Einigkeit zu bewahren.

Das deutsch-französische Verhältnis leidet

Das ist ein deutlicher Warnschuss, auch weil das deutsch-französische Verhältnis im Moment überraschend tiefe Risse aufweist. Am Tag vor dem EU-Gipfel wurde sogar ein lange geplanter gemeinsamer Ministerrat abgesagt. Dabei gaben beide Seiten überraschend offen zu, dass dies auch mit inhaltlichen Differenzen zu tun habe.

In ruhigen Zeiten wäre eine solche Nachricht allenfalls eine Randnotiz. Der deutsch-französische Motor ist schon oft totgesagt worden und hat dann doch immer wieder funktioniert. Europa durchlebt im Moment aber die schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges. In diesem Moment wäre der Ausfall des europäischen Zuggespanns eine ziemlich große Katastrophe.

Die Krise spielt Putin in die Hände

Die Gefahr ist erschreckend reale, dass die Kalkulation von Wladimir Putin doch noch aufgeht. Der russische Präsident hat den Überfall auf die Ukraine auch deshalb gestartet, weil er die Europäische Union für einen Haufen egoistischer und dekadenter Weichlinge hält. Anfangs schien er damit aber falsch zu liegen, denn die EU reagierte mit einer Geschlossenheit und Entschiedenheit, von der sie wohl selbst am meisten erstaunt war. Doch je länger der Krieg dauert, je näher der Winter rückt und je teurer das Leben wegen der Krise wird, desto mehr bröckelt der Zusammenhalt in der EU. Verstärkt wird das Auseinanderdriften von Putins Propaganda-Heeren, die in der Gesellschaft des Westen Zweifel säen. Die fallen auf fruchtbaren Boden, denn die Krise trifft auf eine nervöse Gesellschaft, deren Solidarität in den vergangenen Jahren bereits durch Flüchtlingszustrom und Corona-Chaos schwer auf die Probe gestellt wurde.

Die Gefahr, dass Europa doch noch auseinanderbricht, sieht natürlich auch Olaf Scholz. Aus diesem Grund forderte der Kanzler in Brüssel zurecht die Solidarität aller Staaten Europas ein. Doch das allein reicht nicht. Deutschland müsste in dieser Krise vorangehen, integrierend wirken und auch Führung beweisen. Dazu scheint Berlin aber nicht gewillt oder in der Lage. Alles was der Kanzler bisher abliefert, sind Alleingänge.