Kann der Transformationsprozess in der Region Stuttgart gelingen? Dafür braucht es Gewerbeflächen. Auch am Albrand in Aichelberg hat der Gemeinderat die Entscheidung an die Wähler abgetreten.
Am 21. Mai dürfte sich das Augenmerk der Region Stuttgart auf Aichelberg richten. Denn die kleine Gemeinde im Kreis Göppingen – den meisten Menschen wohl nur aus den Verkehrsnachrichten wegen Staus am Albaufstieg der A 8 in Richtung München bekannt – hat an diesem Tag ihre 1093 wahlberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner zur Abstimmung gerufen. Entschieden wird mit Hilfe eines Bürgerentscheids, ob zwischen Aichelberg und Holzmaden auf der nördlichen Seite der Autobahn ein knapp 15 Hektar großes Gewerbegebiet, der Gewerbepark Aichelberg, entstehen soll.
Seit 2016 laufen die Vorbereitungen. Fünf der sechs Gemeinden des Gemeindeverwaltungsverbunds (GVV) Bad Boll wollen mitmachen. Dass 2020 ausgerechnet Bad Boll als größte Kommune des GVV abgewunken hat, hat kurzzeitig für Diskussionen gesorgt. Doch nun ist der organisatorische Rahmen abgesteckt: Neben Aichelberg stehen auch Dürnau, Gammelshausen, Hattenhofen und Zell unter Aichelberg bereit, um ein interkommunales und nachhaltiges Gewerbegebiet zu entwickeln. 50 Prozent der Kosten übernimmt Aichelberg, die anderen Kommunen beteiligen sich jeweils mit 12,5 Prozent. Da sich die gesamte Fläche des angedachten Gewerbegebiets auf Aichelberger Gemarkung befindet, können aber nur die Aichelberger beim Bürgerentscheid am 21. Mai über den Gewerbepark abstimmen.
Es gibt bisher keinen konkreten Plan
Der Ausgang birgt nicht nur für Aichelberg, sondern für die gesamte Region Stuttgart Spannung. Denn anders als im benachbarten Weilheim (Kreis Esslingen), wo Cellcentric, ein Joint Venture von Daimler Truck und Volvo, auf der Hälfte des neuen, 30 Hektar großen Gewerbegebiets Rosenloh eine Produktionsstätte für die Produktion von Brennstoffzellen errichten will, gibt es für Aichelberg noch keine konkreten oder gar prominente Interessenten, die das Wahlverhalten der Bürger beeinflussen könnte.
Bürgerentscheide mit einer solchen Konstellation haben sich deshalb, weil die Bürger quasi die Katze im Sack kaufen sollen, in der Vergangenheit als schwierig herausgestellt.
Doch nachdem sich sowohl in Weilheim als auch zuletzt in Mundelsheim (Kreis Ludwigsburg) die Bürger für neue Gewerbegebiete ausgesprochen haben, hofft der Chefplaner der Region, Thomas Kiwitt, dass sich die zahlreichen Bürgerbeteiligungsverfahren langsam auszahlen. „Wir bemerken, dass in der Bevölkerung die Erkenntnis und das Verständnis dafür wächst, dass wir große Flächen für den Transformationsprozess benötigen“, sagt Kiwitt.
Großes Informationsangebot für die Wähler
Zwar verzichtet Aichelberg auf Bürgerwerkstätten oder ein Bürgergutachten. „Das würde nicht zu einer so kleinen Gemeinde wie Aichelberg passen“, sagt die Bürgermeisterin Heike Schwarz. „Hier kennen wir uns doch alle sehr gut.“ Dennoch setzen die Bürgermeisterin und ihre vier Mitarbeiterinnen im Aichelberger Rathaus auf ein umfassendes Informationsangebot für die Bürger. Los geht es an diesem Donnerstag, 9. März, mit einer großen Informationsveranstaltung. Es folgen am 1. April eine Begehung des geplanten Geländes und Ende April eine weitere Infoveranstaltung samt Bürgerbeteiligung. Heike Schwarz ist optimistisch, dass sich am 21. Mai eine Mehrheit für das neue Gewerbegebiet aussprechen werde: „Ich habe den Eindruck, dass die Menschen hier verstanden haben, dass wir eine solche Möglichkeit brauchen und dass ein großes interkommunales Gewerbegebiet besser ist, als wenn jede Gemeinde für sich kleine Gewerbegebiete ausweist.“
Wichtig sei aber eine nachhaltige Entwicklung des Gewerbeparks: Der GVV Bad Boll hat Leitplanken für eine nachhaltige Gewerbegebietsentwicklung formuliert. Mit den Leitplanken werden deutliche Qualitätsansprüche an die Planung, Entwicklung und den Betrieb des Gewerbeparks gestellt. Diese Qualitätsanforderungen seien durchaus herausfordernd, sagt Heike Schwarz. Sie böten aber auch große Chancen für Betriebe und Unternehmen, ihr Wirtschaften zukunftssicher zu gestalten.
Auch Logistik soll angesiedelt werden
Nicht im Widerspruch dazu stehe die Absicht, auch Logistikunternehmen Möglichkeiten zur Ansiedlung zu bieten. Die Versorgung mit Waren, Teilprodukten und Lebensmitteln sei für sie Wirtschaftsprozesse sowie für den Alltag von zentraler Bedeutung. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, was passiert, wenn Lieferketten reißen. Logistik und damit die Versorgung mit Waren, Vorprodukten und Lebensmitteln sei auch für die Menschen und Betriebe im GVV Raum Bad Boll, im Landkreis Göppingen und in der Region Stuttgart enorm wichtig. Allerdings werde man auch für Logistikfirmen einen innovativen und nachhaltigen Lösungsansatz suchen – und finden.