Beigefarbener Backstein bei einem Wohnhaus in Stuttgart, geplant von Fischer Rüdenauer Architekten. Foto: www.steinprinz.de/Sigurd Steinprinz/Callwey Verlag

Rot, grau, gelb, schwarz: Backstein ist schön, pflegeleicht und – falls es doch nicht mehr gefällt – wieder verwendbar. Ein Bildband zeigt die gelungensten und preisgekrönte Einfamilienhäuser in Stuttgart und anderswo.

Etwas Charles-Dickens-Mäßiges haftet dem Material schon an. Irgendwie düster, auch industriell wirkt es. Fabrikschlote, englische Arbeitersiedlungen aus Backsteinhäusern und nackten Hinterhöfen und Straßen ohne viel Grün kommen einem in den Sinn, wenn das Wort Backstein fällt. Fotografen wie Peter Bialobrzeski und Martin Parr haben solche Viertel kunstvoll festgehalten. Tatsächlich wurde im Zuge der Industrialisierung, als schnell viel gebaut werden musste, häufig Backstein verwendet, auch in Stuttgart finden sich Siedlungen mit Backsteinfassaden.

Längst aber gehören zumindest die Häuschen, mit üppig begrünten Gärten, im Stuttgarter Osten zu begehrten Wohnobjekten, von ehemaligen Fabriken und Mehrfamilienhäusern aus der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu schweigen – auch bei Architekten übrigens.

Baumaterial mit Tradition

Das Material Backstein, das die Menschheit seit Jahrtausenden begleitet, erlebt vielerorts ein Revival, denn es ist unempfindlich gegen Witterung, fast wartungsfrei, wenn man eine gewisse Patina zu schätzen weiß. Im Wohnungsbau allerdings werden heute oft nur Riemchen-Ziegel für die Fassade verwendet, weil sie deutlich günstiger sind als echte Ziegel, aber eben auch gestalterisch zumindest optisch ein wenig an den Bestand aus dem 19. Jahrhundert in der Umgebung anknüpfen.

Daran erinnern die Autoren des Buches „Die besten Einfamilienhäuser aus Backstein“, Jens Kallfelz und Katharina Ricklefs: dem Baustoff ist eine „ästhetische Nachhaltigkeit“ inne. „Ein Haus steht selten ganz für sich allein, und mit seiner Fassade beeinflusst es für lange Zeit seine Umgebung.“ Und ein Gebäude, das man liebt, reißt man nicht ab.

Die möglichst lange Lebenszeit eines Gebäudes wiederum ist ein zentrales Anliegen all jener, die sich für CO2-freundlicheren Weiter- und Umbau statt Abriss und Neubau einsetzen. Zudem ist das Material wiederverwertbar und also auch unter diesen ökologisch nachhaltigen Aspekten interessant. „Da in der zweischaligen Wand Hintermauerwerk, Dämmschicht und Vormauer nicht miteinander verklebt sind, könne sie sauber voneinander getrennt und aufbereitet werden“, erläutern die Autoren. Manche Bauherren etwa ordern sogar solche alten Ziegel von abgebrochenen Häusern für Fassaden ihrer neuen Häuser.

Auch deshalb werden weiterhin Einfamilienhäuser als Kategorie beim Erich-Mendelsohn-Preis für Backstein-Architektur geführt, wenngleich die wegen der Versiegelung von viel Fläche für wenige Menschen (im Vergleich zu Mehrfamilienhäusern) mancherorts in Misskredit geraten sind. Die Auszeichnung prämiert alle drei Jahre gelungene Bauten aus Backstein.

Klinkersteine in Stuttgart

Wie farblich vielfältig das Material ist und wie Regionen rund um den Globus eine eigene Backstein-Tradition entwickelt haben – und diese innovativ weiterentwickeln, das zeigt das informative und bilderreiche Buch, das auch einige Gewinner des Preises vorstellt. Die Färbung der Steine hängt von der Erde ab, kalkhaltiger Lehm wird zu gelben Steinen gebrannt, Lehm mit hohem Eisenanteil tendiert zu rötlich-brauner Farbe.

Hellbeige, langformatige Klinkersteine kamen in Stuttgart bei einer Villa zum Einsatz, die von Fischer Rüdenauer Architekten geplant worden ist. Bei Häusern in Norddeutschland, England und Belgien sind es eher rötliche oder dunkelbraune, fast schwarze Klinker.

Die wurden auch schon in den 1920ern gern verwendet – so wie von Mies van der Rohe bei seiner ersten Villa, die er nach Bauhaus-Prinzipien entworfen hat. Und wie bei dem markanten Chilehaus in Hamburg, gebaut von Fritz Höger (1877-1949). Nach dem Namen des Architekten war der Backstein-Architektur-Preis benannt, doch als 2022 Högers NS-Vergangenheit bekannt wurde, hat die Initiative „Bauen mit Backstein“ dem Preis einen neuen Namen gegeben. Pate ist nun Erich Mendelsohn (1887-1953), der in Stuttgart das leider nach 1945 abgerissene Kaufhaus Schocken entworfen hat sowie einige Gebäude aus Backstein, darunter die Hutfabrik in Luckenwalde und den Woga-Komplex in Berlin.

Dunkle Backstein kommt auch bei dem Gewinner des Mendelsohn-Preises „Gold“ 2023 zum Einsatz, einem ehemaligen Gasthaus im Londoner Viertel Hackney, das lange Zeit als das Armenhaus der britischen Metropole galt, aber längst als hip gilt. Das Architekturbüro Erbar Mattes hat das heute als Wohnhaus genutzte Gebäude sensibel umgebaut.

In Köln wiederum haben Bauherren ein altes kleines Fischerhaus abgetragen, die 10 000 roten Feldbrandsteine erhalten, gesäubert und für die Fassade ihres neuen, vom Architekten Till Robin Kurz geplanten Hauses verwendet.

Herrlich hellrot leuchtet Backstein unter südlicher Sonne (und schützt auch gegen Hitze); das zeigt ein Beispiel aus Spanien, das den Bronze-Sieg bei Erich-Mendelsohn-Preis errang. Das Haus wurde von Hugo Mompó vom deutsch-spanischen Architekturbüro Quadra Studio zudem so klug geplant, dass wegen natürlicher Querlüftung keine Klimaanlage nötig ist.

Schutz vor Hitze und Blicken

Als zweite Gebäudehülle mit Lochmauerwerk (das kennt man hierzulande von alten Scheunen) schützt Backstein außerdem ein lichtdurchflutetes Haus in Hanoi, Vietnam, vor Hitze, Lärm und neugierigen Blicken.

Detail des Architektenhauses von Thomas Kröger in Ostfriesland. Foto: Jan Seenblock

Wie unterschiedlich die Formen sind und welche Muster möglich sind, je nachdem, wie die Ziegel aufeinandergesetzt werden – das ist erstaunlich. Und wenn man schmale Ziegel wie Fischgrätparkett anordnet, dann wird die Fassade zum Kunstwerk, das zeigt der Berliner Architekt Thomas Kröger mit einem Haus in Ostfriesland. Solche architektonischen Arbeiten erfreuen dann nicht nur vermögende Bauherren, sondern alle in dem Dorf, in der Stadt, die daran vorbeispazieren.

Info

Buch
Jens Kallfelz, Katharina Ricklefs: Die besten Einfamilienhäuser aus Backstein. Callwey Verlag, 160 Seiten, 59,95 Euro. www.callwey.de

Preis
Auf die Ausschreibung des seit 2008 alle drei Jahre vergebenen Erich-Mendelsohn-Preises 2023 folgten 584 Projekteinreichungen aus über 30 Ländern. Die international renommierte Jury wählte unter allen Einreichungen die besten Arbeiten aus. 76 Projekte schafften es in den Hauptkategorien auf die Shortlist, zehn in der Kategorie Newcomer. Aus dieser Vorauswahl wurden wiederum die Sieger ermittelt. Den Grand-Prix erhielten Harquitectes für die Clos Pachem Winery, ein Sanierungsprojekt.