„Gherkin“, also „Gewürzgurke“, nennen die Londoner das von Norman Foster für Swiss Re entworfene Bürohochhaus im Finanzdistrikt der britischen Hauptstadt. Foto: Imago/Addictive Stock/David Munoz

Die Reichstagskuppel in Berlin, die Millennium Bridge in London, der Apple-Sitz in Kalifornien: Norman Foster ist einer der erfolgreichsten Architekten der Gegenwart. Eine neue Monografie blickt auf seine Werke, bleibt dabei aber zu unkritisch.

Natürlich war die Ausstellung im Centre Pompidou eine Nummer größer als üblich. Zeichnungen, Modelle und Inspirationsquellen bedeutender Architekten waren auch zuvor in Paris’ Zentrum für zeitgenössische Kunst zu sehen. Nie aber in der größten Halle des Museums, der Galerie 1 – bis zu dieser Retrospektive zum Briten Norman Foster von Mai bis August 2023.

Die Übergröße passt. Nicht nur, weil die Liste an Werken Fosters - der Architekt ist inzwischen 88 Jahre alt – lang ist. Die Reichstagskuppel in Berlin, das Wembley-Stadion und Millenium Bridge in London, ein Terminal des internationalen Flughafens in Peking oder die Apple-Zentrale in Kalifornien – zu finden sind sie weltweit.

Knapp 1800 Mitarbeiter soll das Architekturunternehmen Foster + Partners haben (von einem Büro ist bei 16 Standorten kaum noch zu sprechen). 2016 stand Foster mit einem Vermögen von 170 Millionen britische Pfund, etwa 196 Millionen Euro, als einziger Architekt auf einer Liste der 1000 reichsten Menschen Großbritanniens.

Foster ist Liebling der Projektentwickler und der Kritiker

Aber nein, es ist mehr als der kommerzielle Erfolg, der den Namen Norman Foster überlebensgroß macht. Anders als die meisten globalen Player mit ihren uniformen Bauten, steht die Marke Foster seit Jahrzehnten für einen der bedeutendsten Architekten der Gegenwart.

Norman Foster gehört zu den bedeutendsten Architekten der Gegenwart. Foto: Imago/imago stock&people

Es war Foster, der großflächige Glas-Fassaden, leichte Strukturen, natürliches Licht und systemisches Denken in den 60ern in der britischen Architektur voranbrachte. Foster, der als glühender Technologie-Gläubiger den High-Tech-Stil mitprägte. Foster, der 1999 den Pritzker gewann, den bedeutendsten Preis der Architektur.

Foster, der von Queen Elisabeth II. zum Ritter geschlagen wurde, zum Lord ernannt. Wenn es einen Superhelden der Architektur gäbe, dann komme Norman Foster dem am nächsten, druckte einmal die britische Zeitung Guardian.

Begleitend zur Ausstellung in Paris ist in diesem Jahr eine Monografie über das Phänomen Foster erschienen, herausgegeben von Frédéric Migayrou im ACC Art Books-Verlag. Wer die hochwertig bebilderte Rückschau durchblättert, versteht wie Foster so groß werden konnte – und bleibt mit Fragezeichen zurück, wenn es um dessen Zukunftsvision geht.

Mit Talent und Disziplin vom Schulabbrecher zum Stararchitekten

Den Weg des talentierten und ehrgeizigen Schulabbrecher Foster aus einem Vorort Manchesters zum in der Schweiz residierenden Stararchitekten zeichnet der Architekturjournalist Philip Jodidio in dem Buch nach. Als Sohn einer Kellnerin und eines Fabrikarbeiters habe Foster keine Architekten gekannt, sagt er einmal: „Ich musste erst die Möglichkeit entdecken, dass ich Architekt werden könnte.“

Mit Büchern der Architekten Le Corbusier und Frank Lloyd Wright aus der örtlichen Bibliothek träumte er sich in andere Welten, stieß auf die südamerikanische Landschaften Roberto Burle Marx‘ und die warme Architektur Skandinaviens.

Beeindruckt von seinen Zeichnungen ließ ihn die Universität Manchesters zum Architekturstudium zu. Foster hielt sich mit Nebenjobs über Wasser. Es folgte ein Stipendium für Yale, wo er Richard Rogers kennenlernte – der für einige Jahre zu seinem Partner im eigenen Architekturbüro Team 4 wurde und später eben jenes Centre Pompidou entwerfen sollte.

Foster fliegt sich gerne selbst mit dem Helikopter zu Meetings

Das Erstaunliche an Fosters Biografie aber ist, wie ihn bereits als Junge fasziniert, was ihn als Architekt inspiriert. Das Kind Foster beobachtet die Lokomotiven, die hinter dem Haus vorbeidampfen, es liebt Autos und Flugmaschinen.

Norman Foster ist fasziniert vom Fliegen. Foto: Imago/First Run Features/Courtesy Everett Collection

Der Mann Foster – der seinen Militärdienst bei der Royal Air Force ableistete – fliegt sich gerne mal selbst mit dem Helikopter zu Meetings, ist Pilot für Jets und Segelflieger und hat den Voisin Luminieuse C7 Corbusiers in seiner Sammlung – Spleens, für die Foster berüchtigt ist, die er auf seinem Instagram-Profil ausgiebig zelebriert und die im Buch anders als in der Ausstellung leider kaum Platz finden.

So gleichen auch die besten Werke des Architekten Fosters Flugmaschinen: Gebäude wie der Flughafen London-Stansted verstecken ihre Komplexität hinter den Kulissen, den Menschen, die sich darin bewegen, vermittelt Foster ein Gefühl der Leichtigkeit, der klaren Formen. Flughäfen wirkten vor Foster klinisch in ihrem kalten Licht.

Er aber packte in Stansted Belüftung und sonstige Technologie von der Decke unter den Boden – und schuf damit Platz für Deckenfenster und natürliches Licht. Wer über das Viadukt von Millau fährt, die höchste Brücke Frankreichs, fühlt sich wie in den Wolken, die die eleganten Pylone der Brücke durchstechen.

Die besten Bauten Fosters gleichen Maschinen

Wie in einer Maschine hat in diesen besten Bauten jedes Element, jede eingesetzte Technologie eine Funktion, die über Optik hinausgeht: „Mit weniger mehr“ ist Fosters Leitgedanke. Und wie bei einer Maschine denkt Foster die Gebäude in Systemen, deren funktionale Teile mehr als ihre Summe ergeben und die sich neu denken und anordnen lassen – wenn er etwa seinen Durchbruch-Bau von 1986, das HSBC-Hochhaus Hongkong, modular errichtete und das tragende Element vom bisher üblichen Betonkern in der Mitte des Büroturms auf die Stahlkonstruktion der Wände verlagerte. So schuf Foster im Zentrum eine Freifläche für den Menschen.

Das Gebäude, das den Durchbruch für Foster bedeutete: Der Verwaltungssitz der Hongkong and Shanghai Bank. Foto: Imago/Stefan M. Prager

Technologie ist für Foster kein Antagonist zur Natur, der Mensch keiner zur Maschine. Trotz Stahl und Glas, obgleich der Technologie-Verehrung – er selbst sehe sich nicht als Vertreter des High-Tech-Stils, sagt er in einem Interview im Buch, weil er Technologie nicht als Selbstzweck, sondern für soziale Zwecke nutze. Natürliches Licht fällt schon in die frühen Bauten Fosters, der ringförmige und futuristisch anmutende Apple-Hauptsitz schließt sich um einen Park für die Angestellten.

Dieses Interesse für den Menschen spiegeln auch seine Stadtprojekte und öffentlichen Gebäude wider. Den Londoner Trafalgar Square, einst von Autos überfahren, schenkte er den Fußgängern.

Die Übergröße kratzt an der Genialität

Fesseln im Bildband können viele der abgebildeten Projekte der 60er bis in die frühen 2000er und die ihnen zugrunde liegenden Ideen und Innovationen - von Migayrou, Jodidio oder Foster selbst geschildert. Mit jedem Jahrzehnt aber, in dem die Architekturmaschine Fosters + Partners wuchs und Projekt um Projekt ausspuckte, wurden auch jene darunter mehr, denen obgleich glänzend und verglast die puristische Brillanz und Innovation fehlt. Vielleicht war es auch deshalb ein Anliegen, den Skizzen und Zeichnungen Fosters ein Kapitel einzuräumen – immerhin lebt die Marke auch vom Macher-Image des Architekten.

Die Übergröße der Marke Foster kratzt an der Genialität der Architektur – und an der Glaubwürdigkeit. In einem Interview der New York Times wurde Foster vor einigen Monaten gefragt, warum er sich nach der Ermordung des Journalisten und Regimekritikers Jamal Khashoggi in Saudi-Arabien als Berater für das Megastadt-Projekt Neom des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman zurückzog, aber Foster + Partners weiterhin ein Flughafen-Projekt im Land plant.

Der saudische Journalist und Regimekritiker Jamal Khashoggi wurde 2018 ermordet. Foto: Imago//xHansmusax

Foster sagte, in einem partnergeführten Unternehmen mit so vielen Standorten sei man sich nicht immer einig. Man müsste Konsens finden. Es gäbe größere Verantwortlichkeiten. Auch jüngere Projekte des Unternehmens in China, Kasachstan oder Katar wurden angesichts der autoritären Regierungen der Länder kritisiert.

Passen Jachten und Kampf gegen den Klimawandel zusammen?

Solche kritischen Überlegungen des Star-Architektentums finden sich nicht im Buch. Eben so wenig wird jener Widerspruch aufgearbeitet, der für einen medialen Schlagabtausch zwischen Foster und Klimaschützern führte und der Lesern der Monografie im Kapitel zur „Ökologistik“ auffallen dürfte.

Hier wird Foster eingeführt als Architekt im Bemühen um mehr Nachhaltigkeit – seit Jahrzehnten arbeitete er daran, mit technischen Lösungen die Emissionen seiner Gebäude zu reduzieren, später sie thermische und elektrische Energie produzieren zu lassen. Auch die Ausstellung in Paris lief unter dem Untertitel „Sustainable Futures“, also „Nachhaltige Zukunftsentwürfe“.

2019 veröffentliche das Unternehmen ein Manifest, wie CO2-Emissionen über die Lebenszeit eines Gebäudes gemessen werden können. In eben diesem Kapitel allerdings präsentiert der Band auch die Infrastrukturbauten und Mobilitätsprojekte Fosters, dessen Interesse vom Gebäude als einzelnes System zum Gebäude als eingebettetes System wanderte – darunter Motorjachten und etliche Flughäfen.

Das von Foster entworfene Terminal machte den Pekinger Airport zum größten Flughafen-Komplex der Welt. Foto: Imago/Markus Mainka

Es war einer dieser Flughäfen, ein privates Terminal am Roten Meer in Saudi-Arabien, der vor zwei Jahren Architekten der Klimaaktivistengruppe Architects Climate Action Network ärgerte. Foster + Partners solle sich aus dem Projekt zurückziehen, schrieben sie in einem Brief, oder den Klimaschutzverbund Architects Declare verlassen. Prompt trat Foster aus dem Bund aus. Mobilität und Fliegen würden nicht verschwinden, konterte er, noch dazu sei der ökologische Fußabdruck des Fliegens vergleichsweise klein. Es gehe darum, verantwortungsvoll zu entwerfen.

Foster hält nichts von Verzicht im Sinne der Nachhaltigkeit

Von Reduktion scheint Foster wenig zu halten – immerhin seien Gesellschaften mit einem hohen Energieverbrauch gesünder, langlebiger, sicherer. Stattdessen setzt er auf saubere Energie. Sein Favorit: Atomkraft. Im Buch findet sich auch der Entwurf eines Mikro-Nuklear-Reaktors. In Interviews spricht er davon, aus Meerwasser Treibstoff für Jets zu gewinnen.

Jets und Jachten im Kampf gegen den Klimawandel? Für viele mag das ein Widerspruch sein, einige lässt es an der Bedeutung der Zukunftsvisionen Fosters zweifeln. Nicht aber Norman Foster selbst. Der nennt die Zukunft weiterhin stur „aufregend“ und „besser“ als die Gegenwart. Und setzt auch bei der Nachhaltigkeit auf das Mittel, das ihn als Jungen faszinierte, als Mann begeistert und als Architekt überlebensgroß werden ließ: Kluge Technologie.

Monografie „Norman Foster“

Buch
Kurator Frédéric Migayrou hat begleitend zu einer Schau über Norman Fosters Arbeit im Centre Pompidou in Paris eine Retrospektive im ACC Art Books Verlag herausgegeben. Auf 264 Seiten werden ausgesuchte Bauten Fosters in Zeichnungen, Modellen, Fotos und Text präsentiert, zudem dessen Biografie und eine Einführung in Schaffen und zentrale Konzepte. Auch Foster selbst kommt zu Wort – in einem Interview mit dem Herausgeber sowie in ausgewählten Schriften, etwa zur Atomkraft oder zum Technologieeinsatz in der Architektur.