Taylor Fritz, Frances Tiafoe und Tommy Paul (v.l.n.r.) sind in Stuttgart zu Gast. Foto: IMAGO/Philippe Ruiz

Nach Jahren der Krise hat die stolze Tennisnation den Weg in die Weltspitze zurückgefunden. Die drei verbliebenen US-Starter auf dem Weissenhof garantieren Topsport – und Unterhaltung.

Auf der Anlage des TC Weissenhof herrscht während der Turnierwoche ein buntes Sprachengemisch. Waren in der Vergangenheit oft Spanisch oder slawische Sprachen vorherrschend, dominiert in diesen Tagen Englisch. Genauer: das amerikanische Englisch. Mit insgesamt fünf Vertretern stellten die USA die größte Fraktion bei den diesjährigen Boss Open. Das ist kein Zufall. Mit zwölf Spielern in den Top 100 sind die USA in der Breite aktuell der größte und erfolgreichste Verband der Welt. Nach langen Jahren der Krise ist die stolze und traditionsreiche Tennisnation mit Macht auf die Weltkarte des Tennis zurückgekehrt.

Rückblick: Nach der Agassi-Sampras-Courier-Ära kam lange nichts. Der letzte Triumph bei einem Grand Slam liegt 20 Jahre zurück: Andy Roddick bei den US Open 2003. Spitzentennis made in USA, dafür standen in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Williams-Schwestern. Bei den Herren herrschte die große Depression.

Tiafoe liebt und lebt das Spiel mit jeder Faser seines Körpers

Doch zuletzt hat ein bemerkenswerter Aufschwung eingesetzt, der sich auch in Stuttgart bemerkbar macht. In Frances Tiafoe (25), Taylor Fritz (25) und Tommy Paul (26) sind gleich drei Vertreter der neuen amerikanischen Welle aus den Top 20 vertreten. „Eine ganz neue Generation, bei der wir uns natürlich freuen, dass sie sich für Stuttgart entschieden hat“, sagt Turnierdirektor Edwin Weindorfer.

Vorhang auf für die US-Boys!

Da wäre als Erster Frances Tiafoe. Der wohl bekannteste und auffälligste des Trios. Was allein an seinen Klamotten liegt. Seine bunten Outfits ähneln mehr einem Badeanzug als einem Tennisdress. Dabei sind sie nur Ausdruck seines emotionalen Wesens, mit dem der 25-Jährige aus Maryland seine Fans verzückt. Tiafoe lebt und liebt das Spiel mit jeder Faser seines Körpers. Keiner kann Punkte so schön feiern wie er, niemand leidet so mit sich selbst, wenn es mal nicht läuft wie jüngst in der dritten Runde der French Open. Dort war für Tiafoe gegen Alexander Zverev Endstation. In Stuttgart trifft der an Nummer drei Gesetzte an diesem Mittwoch auf den Tschechen Jiri Lehecka. Wer behauptet, im Tennis gebe es keine Typen mehr, dem sei ein Match mit Tiafoe ans Herz gelegt.

Alles andere als langweilig

Auch Taylor Fritz geht nicht als Langweiler durch. Als er jüngst in der zweiten Runde von Paris den Franzosen Arthur Rinderknech besiegte, lieferte sich die Nummer eins der Amerikaner hinterher ein bizarres Schauspiel mit dem Publikum. Mit Gesten der Genugtuung hatte Fritz nach seinem verwandelten Matchball die französischen Fans derart provoziert, dass der Amerikaner beim folgenden Siegerinterview so lange niedergepfiffen wurde, bis das Interview schließlich abgebrochen werden musste. Fritz’ Reaktion: „Ich liebe euch alle!“

Der 25-Jährige scheut sich vor nichts und wirbt generell für mehr Action in dem oftmals uniformen Sport. So plädierte er dafür, das Zertrümmern von Schlägern nicht mehr unter Strafe zu stellen, solange niemand verletzt werde. „Ich denke, im Tennis bestrafen wir Dinge, die die Fans mögen. Als Sport müssen wir ein jüngeres Publikum anziehen.“ Ach ja, einen heißen Ball spielt der Mann aus San Diego auch noch: Mittlerweile hat sich Fritz bis auf Platz acht der Weltrangliste vorgespielt.

Die Gründe für den US-Aufschwung

Bliebe noch Tommy Paul, der in der ersten Runde am Dienstagabend Benjamin Bonzi gegenübertrat. Paul sieht immer noch aus wie ein Sonnyboy, hat aber die Wandlung zum seriösen Profisportler erfolgreich vollzogen. „Ich hatte Freunde, studierte an der Uni, ging auf Partys und blieb bis spät in die Nacht“, skizziert er seinen Lebensstil bis vor wenigen Jahren. „Ich habe den Sport gehasst, weil er mir alles genommen hat. Aber je mehr Zeit vergeht, desto mehr merke ich, dass es noch viel mehr Dinge gibt, die ich liebe. Ich bin ein Glückspilz.“ Die Halbfinalteilnahme bei den Australian Open belohnte Paul für viele Entbehrungen.

Was seinen Spielstil mit einer aggressiven Vorhand angeht, steht der 26-Jährige am ehesten in der Tradition amerikanischer Haudraufs à la John Isner, die vor allem durch ihre Brachialgewalt glänzten. Viele andere aus der Riege der aufstrebenden US-Stars spielen vielseitiger. Dazu zählt auch der 22-jährige Sebastian Korda. Der Sohn des früheren Grand-Slam-Siegers Petr Korda gilt als hoffnungsvollstes US-Talent. In Stuttgart ist Korda aber nicht am Start.

Was nichts an der amerikanischen Dominanz ändert. „Die Spieler pushen sich gegenseitig. Taylor Fritz an der Spitze zieht die anderen mit“, sagte der Erfolgscoach Brad Gilbert gegenüber dem „Tennis Magazin“. Für ihn ist es nur eine Frage der Zeit, bis einer der US-Boys auch bei den Grand Slams reüssiert. Das wäre der nächste Schritt.

Gilbert nennt das College-Wesen und die vielen kleinen Turniere auf dem US-Markt als Hauptgrund für den jüngsten Aufschwung. Und natürlich hat der durch den Grand-Slam-Standort New York finanzstarke US-Verband zuletzt auch viel in die Ausbildung investiert. Was sich nun auszahlt.