Triboltingen im Kanton Thurgau im August 2022: Ausfahrten auf den Untersee waren unmöglich. Foto: /Andreas Haas

Bayern lässt den Bau einer gewaltigen Wasserfernleitung prüfen, die sich aus dem Bodensee speist. Die Reaktionen darauf fallen reserviert aus. Auch, weil übers Jahr gemittelte Zahlen im Hochsommer manchmal nicht viel helfen.

Auf der Suche nach dem Trinkwasser von übermorgen hat der Freistaat Bayern den Bodensee entdeckt. Im Herbst vergangenen Jahres hat das Augsburger Landesamt für Umwelt erstmals Fachstellen über das Programm „Wassersicherheit 2050“ informiert, diesen Sommer wurden die Pläne zum „Trockenheits- und Dürremanagement“ dann breiter öffentlich. Eine erste „Grobanalyse“ zweier Ingenieurbüros liegt vor, darin wird eine mögliche „unbegrenzte Entnahme aus dem Bodensee“ postuliert. Machbar, so die Planer, wäre der Bau einer eigenen Pumpanlage am bayerischen Seeufer oder „ein Anschluss an den Bodensee über Baden-Württemberg“.

Von Sipplingen im Bodenseekreis aus versorgt die Bodensee-Wasserversorgung täglich 320 Städte und Gemeinden bis in den Raum Stuttgart mit Trinkwasser aus dem See – im Jahresdurchschnitt kommen rund 135 Millionen Kubikmeter zusammen. Der Zweckverband sieht sich aus dem Vollen schöpfend. Es gebe „Wasser im Überfluss“, so eine Sprecherin. Über den Alpenrhein flössen jährlich rund 11,5 Milliarden Kubikmeter Wasser in den Bodensee, „hundertmal mehr, als die Bodensee-Wasserversorgung entnimmt“. Aufgrund des geltenden Staatsvertrags zwischen den Bodensee-Anrainerländern darf Baden-Württemberg täglich 670 000 Kubikmeter Wasser entnehmen. Die höchste bisher gemessene Tagesabgabe beziffert die Wasserversorgung mit 531 000 Kubikmeter, erreicht am 8. August 2003.

Niedrigwasser stoppte schon Schiffe

Die Zahlen legen nahe, dass also auch Bayern sich, gemittelt übers Jahr, problemlos aus dem Schwäbischen Meer bedienen könnte. 25 Millionen Kubikmeter Wasser jährlich werden angepeilt. Allerdings klingen die Pläne für viele Seebewohner aktuell befremdlich. Noch bis Mitte Oktober gilt beispielsweise für die Landkreise Ravensburg und Bodenseekreis aufgrund herrschender Dürre ein strafbewehrtes Entnahmeverbot für Flüsse, Bäche und Weiher. Erst Ende Juli vergangenen Jahres mussten deutsche und schweizerische Fährschiffe wegen des niedrigen Pegels für längere Zeit den Verkehr einstellen, weil sie an diversen Anlegestellen auf Grund gelaufen wären.

Könnte also Bayern auch im Hochsommer unbegrenzt Wasser pumpen, wenn der Bodensee und seine Flachwasserzonen selber in kritischer Lage sind? Ein Sprecher des Umweltministeriums Baden-Württemberg teilt mit, der „Spitzenverbrauch in Hochbedarfsphasen“ sei durchaus Gegenstand der Aufmerksamkeit. „Wie groß dieser ist, steht noch nicht fest und damit auch nicht die Höhe einer möglichen Entnahme aus dem Bodensee“, heißt es. Man gehe davon aus, dass die bayerische Seite alle detaillierten Daten, auch zu den „Auswirkungen auf das Ökosystem Bodensee“, noch liefere, so der Sprecher. „Vorher ist eine Bewertung unsererseits nicht möglich.“

Der Staatsvertrag müsste geändert werden

Auch die internationale Abstimmung dürfte nicht ganz einfach werden. Vertreter Bayerns, Baden-Württembergs, Vorarlbergs sowie der Kantone Thurgau, St. Gallen und Graubünden bilden gemeinsam die Internationale Gewässerschutzkommission Bodensee (IGKB). Den Vorsitz hat aktuell Vorarlberg inne. Man warte auf weitere Daten, sagt ein Sprecher der Landesregierung in Bregenz. Dazu der kühle Hinweis: „In formaler Hinsicht sind Wasserentnahmen aus dem Bodensee gemäß dem Staatsvertrag aus 1967 zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz über die Regelung von Wasserentnahmen abzustimmen.“ Vorarlberg selber plane „mittelfristig“ nicht, auf Bodenseewasser für die Trinkwasserversorgung zuzugreifen. Österreich verfügt über kein Pumpwerk am Bodensee.

Zentrale Wasserleitungen /STZN/Yann Lange

Allerdings der Kanton St. Gallen. Dessen Wasserwerk in Rorschach ist mit durchschnittlich rund 9,5 Millionen Kubikmetern entnommenen Wassers pro Jahr erheblich kleiner als das baden-württembergische. Eine Sprecherin der Kantonsregierung äußert sich schmallippig zu den bayerischen Plänen: „Der Kanton St. Gallen wird sich in der IGKB zu einer solchen Frage einbringen und sich nach entsprechender Diskussion einer Antwort der IGKB anschließen.“ Eigene Pläne zur Erhöhung der Pumpmenge gebe es derzeit nicht.

Mehrere Bedenken von Umweltschützern

Deutliche Kritik am Vorhaben einer neuen Wasserfernleitung kommt von Naturschützern. Isolde Miller vom Bund Naturschutz in Bayern mit Sitz in Lindau etwa fordert, es sei „unbedingt angesagt, dass man zuerst versucht, die Versorgungsprobleme vor Ort zu lösen, bevor man das Wasser von weit her holt“. Ein „Verhaltenskodex im Umgang mit dem nun wirklich kostbar gewordenen Gut Wasser“ müsse außerdem her. Namensvetter Ulfried Miller, Geschäftsführer des BUND-Regionalverbands Oberschwaben mit Sitz in Ravensburg, verweist auf den „enormen Stromverbrauch‘“ einer Pumpstation und die erheblichen baulichen Eingriffe in die Uferregion. Eine vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung sei zwingend.

Möglich, dass das Pipelineprojekt aber schon in Haushaltsdebatten stecken bleibt. Laut bayerischem Grobgutachten könnte der Bau von rund 900 Kilometer Rohrleitungen durch Bayern zwischen 2,9 und 4,6 Milliarden Euro kosten – netto und ohne Einrechnung künftiger kostensteigernder Faktoren. Dazu kämen Aufwendungen, um in Monaten schwächerer Abnahme eine Verkeimung zu vermeiden. Sicherheitshalber prüft Bayern noch andere Varianten zum Trinkwasserbezug bis 2050. Im Fokus: das Lechmündungsgebiet im schwäbischen Oberndorf und der Bau einer dritten Trinkwassertalsperre. Wohl in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres will man ein Stück schlauer sein.

Kritische Prognosen

Grundwassermangel
Das Land Bayern hat berechnet, dass bis in 25 Jahren rund 26 Millionen Kubikmeter Trinkwasser jährlich fehlen könnten. Das Land Baden-Württemberg sagt für den Südwesten voraus, dass bis 2050 in manchen Regionen 20 Prozent weniger Grundwasser gebildet werden. Zusammen mit den Landkreisen wird an einem „Masterplan Wasserversorgung“ gearbeitet.

Anfänge
Die Bodensee-Wasserversorgung ist 1958 gegründet worden, erster Vorsitzender des Zweckverbands war der Stuttgarter Oberbürgermeister Arnulf Klett. Stufenweise über die Jahrzehnte wurde in internationaler Abstimmung das Entnahmerecht für den See erweitert – bis zu den aktuell geltenden 670 000 Kubikmetern täglich. rub