Kundgebung beim Apothekerstreik auf dem Stuttgarter Schlossplatz am Mittwoch. Foto: Lichtgut//Leif Piechowski

Lieferprobleme bei Medikamenten, viel Bürokratie, stagnierende Honorare: Die Beschwerdeliste der Apotheker ist lang. Ihren Unmut haben sie nun in Stuttgart auf die Straße gebracht. Ihr Protest findet weitgehend Zustimmung bei den Passanten.

„Wir haben die Nase voll! Rote Karte ans Bundesgesundheitsministerium! Apotheken stärken – jetzt!“, schallt es über den Stuttgarter Schlossplatz. Tausende Apothekerinnen und Apotheker aus Baden-Württemberg und Bayern sind am Mittwochmittag auf die Straße gegangen, um damit erneut auf die ihrer Ansicht nach ausufernde Bürokratie, anhaltende Lieferengpässe bei Medikamenten und seit Jahren stagnierende Honorare aufmerksam zu machen.

Schließung zum dritten Mal in diesem Jahr

Mit lauten Pfeifkonzerten und Parolen wie „Keine Beratung ohne Apotheke“ machten sie ihrem Ärger Luft. Bereits zum dritten Mal in diesem Jahr blieben zahlreiche Apotheken einen Tag lang geschlossen. Ein Notdienst sicherte derweil die Versorgung von Patienten, wie der Landesapothekerverband Baden-Württemberg (LAV) mitteilte.

„Unsere Situation ist mehr als besorgniserregend“, sagte Tatjana Zambo, die Präsidentin des LAV Baden-Württemberg bei der Kundgebung. Dass der Protestbeginn auf 12.05 Uhr gelegt wurde, habe symbolischen Charakter: „Für unseren Berufsstand ist es schon 5 nach 12.“ Die Zahl der Apotheken sei auf den niedrigsten Stand seit 40 Jahren gefallen, „weil das Versorgungssystem kaputtgespart wurde“, kritisierte Zambo weiter. Nach Angaben der Landesapothekerkammer gibt es in Baden-Württemberg 2264 Apotheken. Vor zehn Jahren waren noch 2662.

Dass Apotheken schließen, vor allem auf dem Land, liegt nach Ansicht von Ivanka Stolte (51) unter anderem daran, dass es für junge Leute in der Branche kaum noch Perspektiven gibt. Viele wanderten nach dem Studium in gut bezahlte Jobs in der Industrie mit festen Arbeitszeiten ab: „Wer will sich denn immer öfter mit Regularien beschäftigen, statt für Patientinnen dazusein?“, sagt die Apothekeninhaberin aus Heidelberg. Sie liebe ihren Beruf. „Aber mein Tag dauert oft zwölf, dreizehn Stunden.“

Ähnlich sieht es bei ihrem Calwer Kollegen Thomas Fein (62) aus: „Ich sehe uns als Lotsen im Gesundheitswesen. Als niedrigschwellige Anlaufstelle für Patienten mit den unterschiedlichsten Problemen und Problemchen.“ Dieser Aufgabe könne er aber gar nicht mehr wie gewünscht nachkommen: „Denn zwei bis drei Stunden täglich gehen für Administratives drauf.“

„Mehr Leistung, weniger Bezahlung“

Man höre und lese immer wieder, wie gut Apotheker verdienten, so Fein weiter. Im Schnitt erwirtschafte eine Apotheke 166 000 Euro im Jahr, habe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), gegen den sich am Mittwoch viel Unmut richtete, kürzlich vorgerechnet. „Aber da gehen noch Steuern, Kranken-, Renten- und viele weitere Versicherungen ab. Zudem müssen wir als Selbstständige Rücklagen für wichtige Investitionen bilden, etwa für die Digitalisierung.“ Hauptknackpunkt ist für Fein und seine Kollegen, dass die Honorare seit Jahren stagnieren: „Trotz Inflation und steigender Kosten, etwa für Mieten, Gas, Strom.“ Der Fixbetrag von 8,35 Euro pro Medikament müsse daher auf 12 Euro erhöht werden, fordern die Apothekenverbände. „Schon deshalb, damit wir unseren Angestellten endlich angemessene Löhne zahlen können“, sagt Fein. „Pharmazeutisch-technische Assistenten verdienen im Schnitt 1000 Euro weniger als eine Pflegekraft mit ähnlicher Ausbildung.“

Und wie kommt der Protest bei der Bevölkerung an? Auch wenn ein Herr meint, er könne den Ärger nicht nachvollziehen – „alle Apotheker, die ich kenne, fahren dicke Autos“ –, haben viele Passanten Verständnis. „Es ist eine Schande für unser Gesundheitssystem, dass nun sogar Apotheker und Ärzte streiken müssen“, sagt eine ältere Dame. Eine andere meint: „Apotheken sind wichtig, dieser Notruf somit ebenfalls.“ Eine dritte erzählt, sie habe vor vielen Jahren selbst in einer Apotheke gearbeitet: „Heute muss dort deutlich mehr geleistet werden, bei immer weniger Bezahlung.“

Auch Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) stärkt den Apothekerinnen und Apothekern den Rücken: „Wir sehen die wohnortnahe Arzneimittelversorgung über die Apotheken vor Ort massiv in Gefahr“, warnte er. Es brauche daher „ernsthafte Gespräche“ zwischen Lauterbach und den Ländern, um die Missstände konstruktiv anzugehen.

Bundesweiter Protest

Kritik
 Apothekerinnen und Apotheker in Deutschland ärgern sich über zu viel Bürokratie bei ihrer Arbeit und zu geringe Vergütung. Zudem warnen sie vor weiterem Apothekensterben. Nach Angaben der Landesapothekerkammer gibt es in Baden-Württemberg 2264 Apotheken. Ende 2022 waren es rund 2300. Wege zu Apotheken verlängern sich, vor allem auf dem Land.

Proteste
 Bereits im Juni und September hatte die Branche bundesweit Protesttage veranstaltet. Auch im November gibt es in fast allen Bundesländern Kundgebungen.