Der neue Amnesty-Bericht über weltweite Hinrichtungen zeigt: Wertebasierte Außenpolitik ist eine gute Idee. Aber nicht einfach umzusetzen.
Fast sah es aus, als wollten die Gastgeber die Hände von Annalena Baerbock nicht mehr loslassen. Am Montag war die Grüne Bundesaußenministerin zu Besuch in Saudi-Arabien, zur Begrüßung gab es einen langen Händedruck. Es war ein herzlicher Empfang von einem Staat, der im vergangenen Jahr 157 Menschen enthaupten ließ.
Diese Zahl geht aus einem Bericht hervor, den die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am Dienstag veröffentlicht hat. Darin sind die Todesurteile und Hinrichtungen im Jahr 2022 dokumentiert, die gesichert erfasst werden konnten. Mit mindestens 831 Hinrichtungen zählte die Organisation so viele Fälle wie seit 2017 nicht mehr. Die Dunkelziffer liegt zudem sicher deutlich höher.
Umstrittene Reisen
Unter den Ländern, die die Statistik anführen, sind mit Saudi-Arabien und China gleich zwei Staaten vertreten, die Baerbock erst kürzlich besuchte – und die für die deutsche Wirtschaft von unbestreitbarer Bedeutung sind. Vor diesem Hintergrund liest sich der Bericht von Amnesty International wie eine Erinnerung an das Vorhaben, das sich die Bundesaußenministerin mit ihrer wertebasierten Außenpolitik selbst gesetzt hat. Dazu gehört, sich für Menschenrechte einzusetzen. Und wie es um die bestellt ist, lässt sich an den Zahlen von Hinrichtungen oft gut ablesen.
Geht das also – sich für Menschenrechte einsetzen, während man gleichzeitig die Hände schüttelt, die diese verletzen? Die sehr unschöne, aber wohl unvermeidbare Antwort lautet: Es muss – aber es darf nicht beim Händeschütteln bleiben. Baerbock nutzte ihre Reisen für deutliche Kritik – und betonte immer wieder, dass sich die Beziehung der Staaten nur vertiefen könne, wenn diese sich an gemeinsame Regeln hielten. Trotzdem bleibt diese Form der Diplomatie ein Drahtseilakt. Ob sie funktioniert, wird man unter anderem sehen, wenn im kommenden Jahr der nächste Amnesty-Bericht erscheint.