Neben der Tagesstätte „Lichtblick“ macht auch das benachbarte Paul-Binder-Haus viele Angebote für psychisch erkrankte Menschen, zum Beispiel Bewegungskurse. Foto: Florian Thierer

Der Sozialverein Fortis betreibt auch die Herrenberger Tagesstätte „Lichtblick“. Sie bietet ein niederschwelliges Begegnungsangebot für Menschen mit psychischer Erkrankung. Doch inzwischen fehlen ehrenamtliche Mitarbeiter.

Die Tagesstätte „Lichtblick“ will – wie ihr Name verspricht – eine angenehme Atmosphäre bieten und den Besuchern möglichst den Tag erhellen. In dem offenen Treffpunkt für Erwachsene mit psychischer Erkrankung können sie reden, essen, trinken und überhaupt Zeit mit anderen verbringen. Am Montag ist zum Beispiel ein gemeinsames Frühstück, dienstags und freitags wird Mittagessen gekocht, am Mittwoch und am Donnerstag stehen Kreativangebote auf dem Plan. Auch Bewegung und Entspannung stehen auf dem Programm. Die Besucher entscheiden selbst, wann sie kommen und wie lange sie bleiben. Die Angebote sind kostenlos, Getränke und Mahlzeiten gibt es zum Selbstkostenpreis.

Jeder kennt jeden

Wesentlich mit aufgebaut hat das für den Trägerverein Fortis im Jahr 2003 die Sozialpädagogin Andrea von Jan, die die Tagesstätte bis heute leitet. „Wir sind kein anonymes Café, wir kennen uns alle“, sagt von Jan. Zu kreativen Angeboten, Sport und Ausflügen kommen unterschiedlich viele Leute, zum Kaffeeangebot nachmittags regelmäßig ein Dutzend. Auch die Gruppen am Abend sind gut besucht. Die Besucher wohnen alleine, mit Partnern und Familie oder in Einrichtungen.

„Seit Corona fehlen uns ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, sagt von Jan. Diese sind Ansprechpartner für die Gäste, machen Spiele, Sport- und Bewegungsangebote und unterstützen zum Beispiel beim Thekendienst. Bisher waren meistens zwei als Team anwesend, nun ist es manchmal nur noch eine Person. „Es ist immer schwieriger, Freiwillige zu finden, obwohl ich sogar schon auf dem Wochenmarkt werbe. Viele haben sich neu orientiert und sehen nicht mehr, wie schön und sinnstiftend eine solche Aufgabe sein kann“, sagt von Jan. Deshalb ist die normalerweise unter der Woche täglich geöffnete Tagesstätte vorübergehend am Dienstagnachmittag geschlossen.

Halt an schlechten Tage

„Ich gehöre zum harten Kern“, sagt Kerstin Lauer (42). Sie besucht die Tagesstätte seit 15 Jahren regelmäßig und lebt gegenüber in einer kleinen Wohnung, wo sie von Fortis betreut wird. „In die Stadt gehe ich nicht. Von meiner Haustür aus sind es nur 200 Meter zur Tagesstätte, aber an schlechten Tagen schaffe ich auch diesen Weg nicht“, sagt Lauer. „Ich habe Angst rauszugehen.“ Deshalb kommt ihr manchmal jemand entgegen, dann ist es leichter. In der Tagesstätte kennt sie jeden Winkel, ist bei allen beliebt und die gute Seele. Lauer kümmert sich um die allgemeine Wäsche und kocht zweimal pro Woche. Dadurch kann sie sich 1,50 Euro pro Stunde dazu verdienen und bekommt das Essen etwas günstiger. „Aber spülen und abtrocknen müssen die anderen“, sagt Lauer lachend. Tagesstätten-Leiterin von Jan achtet beim Einkauf auf saisonale, regionale und Bio-Produkte – soweit es das Budget zulässt.

Doris Müller sagt: „Hier darf ich sein.“ Die 48-Jährige gelernte Krankenschwester heißt in Wirklichkeit anders, möchte aber anonym bleiben. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann in einem kleinen Ort in der Umgebung und leidet unter einer traumabedingten Persönlichkeitsstörung. „Ich habe bestimmt fünf Jahre meines Lebens in Psychiatrien verbracht“, sagt Müller. Seit sie die Tagesstätte zweimal wöchentlich besuche, habe sie keine akuten Phasen mehr. „Die Besuche tun mir gut. Im Lichtblick kann ich einfach sein, wie ich bin“, sagt Müller. Sie dürfe kommen und helfen, wie sie könne, und eben auch absagen. Anfangs hatte Müller große Minderwertigkeitsgefühle, allmählich wächst das Selbstvertrauen und sie backt für die Gruppe. „Aber wenn es mir schlecht geht, kann ich auch mal mit einem Kuscheltier auf dem Sofa sitzen und weinen“, erzählt sie. „Meine Krisen kommen aus dem Nichts.“ In der Tagesstätte werde man nicht schief angesehen und beurteilt. „Frau von Jan ist für mich eine feste und verlässliche Ansprechpartnerin.“

Lichtblick im Zentrum

Eingebunden ist die Tagesstätte Lichtblick in das Gemeindepsychiatrische Zentrum Herrenberg. Für Menschen zwischen 18 und 32 Jahren in Krisen gibt es als jüngstes Angebot eine Gesprächsgruppe alle zwei Wochen, wie Teamleiter Oliver Schuh berichtet. Er ist für die gesamte Region Herrenberg und 25 Mitarbeiter zuständig. „Wir sprechen bewusst nicht von psychischer Erkrankung, da keine Diagnose vorhanden sein muss“, sagt Schuh. Der Bedarf sei gegeben.

Angeschoben von einer Spendenaktion ist es inzwischen ein festes Angebot. Zwischen der Tagesstätte und dem ebenfalls von Fortis betriebenen Paul-Binder-Haus bestehen alleine räumlich enge Verbindungen. In der Einrichtung leben 17 Menschen mit psychischer Erkrankung und höherem Hilfebedarf dauerhaft. In der Region Herrenberg hat Fortis zudem 18 ambulant betreute Plätze für Menschen mit psychischer Erkrankung in Wohngemeinschaften, davon acht in einer Wohngemeinschaft mit Einzelapartments. Schuh sagt: „Die Angebote profitieren gegenseitig voneinander.“

50 Jahre Fortis

Jubiläum
Gegründet 1972, feiert die diakonische Organisation Fortis in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag. 110 Mitarbeiter sind im Landkreis Böblingen für den Verein von Standorten in Herrenberg,Sindelfingen, Böblingen und Leonberg aus tätig.

Betreuung
Jährlich werden über 1000 Menschen mit psychischer Erkrankung, Abhängigkeitserkrankung und Messie-Symptomatik ebenso wie Straffällige und Wohnungslose betreut und unterstützt. In einer losen Artikel-Serie geben wir Einblick in diese zugleich kaum bekannte wie gesellschaftlich bedeutsame Arbeit.