Die Jobcenter wollen künftig mehr auf die Wünsche der Hilfesuchenden eingehen, um sie in Arbeit zu bringen. Foto: picture alliance / dpa/Julian Stratenschulte

Zum 1. Juli tritt die zweite Stufe der Bürgergeldreform in Kraft. Die Qualifizierung zur nachhaltigen Integration auf dem Arbeitsmarkt erhält künftig den Vorrang vor der Verpflichtung, ein Arbeitsangebot anzunehmen.

An diesem Samstag wird die zweite Stufe der Bürgergeldreform gezündet – mit verbesserten Weiterbildungsmöglichkeiten und intensiverer Kooperation der Jobcenter mit den Leistungsempfängern. Schon zum 1. Januar sind im ersten Teil die erhöhten Regelsätze (502 Euro für eine alleinstehende Person ohne Partner und Kinder) ausgezahlt worden. Dies habe problemlos geklappt, so die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit (BA). Ein Überblick.

Was ändert sich für die Jobcenter? Intensiv haben sich die Jobcenter-Mitarbeiter in diversen Schulungsformaten auf die neuen Vorgaben beim Bürgergeld vorbereitet. „Wir haben auch erste Ansätze zur Veränderung der Beratungsmethodik, sodass ich auch zuversichtlich bin, dass diese zweite Stufe jetzt handwerklich gut starten kann“, schilder BA-Regionalchef Christian Rauch.

Es handele sich nicht um einen radikalen Richtungswechsel, sondern um eine Weiterentwicklung. „Wir betrachten das nicht als abgeschlossen, sondern als Prozess, der bis ins Jahr 2024 hineingeht.“ Da werde immer wieder überprüft, ob man an der einen oder anderen Ecke etwas Anderes ausprobieren muss. „Das wird ein kontinuierlicher Lernprozess in den nächsten Monaten.“

Braucht es eine veränderte Einstellung der Jobcenter-Berater? Es sei gut, wenn der Gesetzgeber nun klarstellt, dass die Betonung auf dem Fördern liegen solle, sagt Rauch. „Das praktische Handeln war aber vielfach vorher schon so geprägt, sodass das nicht den großen Sprung nach vorne bringen wird.“ Seine Leute hätten die Leitidee des individuellen Kümmerns schon vorher verinnerlicht. „Wir haben viele Mitarbeiter, die einen sozialen Blick darauf haben und dem Einzelnen helfen wollen.“ Zwar stünde das Bild des Forderns seit den Anfangszeiten der Grundsicherung im Vordergrund der öffentlichen Debatte. Doch betrage die Sanktionsquote weniger als drei Prozent – weshalb das Bild „völlig falsch“ sei.

Allerdings dürfe die helfende Hand dann nicht ausgeschlagen werden, was auch zu erleben sei. Und die Zahl der Menschen, denen geholfen werden soll, dürfe die Möglichkeiten der Jobcentermitarbeiter nicht überschreiten, sei es mit Blick auf den zeitlichen Aufwand oder das finanzielle Volumen.

Auf welche Änderungen müssen sich die Leistungsempfänger einstellen? Vor allem bei zwei Punkten spüren die Hilfsbedürftigen die Änderungen möglicherweise sofort: Bisher mussten sie eine Eingliederungsvereinbarung unterschreiben, die bei Nichteinhaltung mit Sanktionen belegt werden konnte. Nun wird ein sogenannter Kooperationsplan vereinbart – mit konkreten Schritten und Bedarfen auf dem Weg zu einer neuen Arbeit, jedoch ohne unmittelbare Konsequenz durch Sanktionen.

Zudem kann dann der Bürgergeldbezieher dem Fallmanager widersprechen und andere Vorstellungen über die weiteren Integrationsmaßnahmen äußern. Kommt es nicht zu einem Konsens, kann ein Schlichtungsverfahren in Gang gesetzt werden. Dann macht ein unabhängiger Schlichter nach Anhörung beider Seiten einen Vorschlag. Dabei kann es sich um kommunale Vertreter oder Ombudsleute, aber auch um Mitarbeiter anderer Jobcenter handeln – da lässt der Gesetzgeber viel Spielraum. Es darf aber kein Mitarbeiter des betroffenen Jobcenters sein. Wenn dann noch immer keine Verständigung möglich ist, kann das Jobcenter wie gehabt vorgeben, was zu tun ist – mit der möglichen Folge von Sanktionen.

Ihm sei zuletzt auch von kommunalen Verantwortungsträgern oft entgegengehalten worden, dass es keine Sanktionen mehr gebe, schildert der BA-Regionalchef. „Das ist falsch.“ Allenfalls die Hürden für Sanktionen seien etwas angehoben werden. „Diese sind nicht mehr ganz so einschneidend, aber wir haben kein bedingungsloses Grundeinkommen“, betont der BA-Regionalchef.

Der Vermittlungsvorrang entfällt – was bedeutet das? Der Vermittlungsvorrang ist das Gegenstück zur Weiterbildung. Bisher wurde ein Arbeitsangebot einer Weiterbildung systematisch vorgezogen. Infolge der Reform kann dem Betroffenen eine Qualifizierung offeriert werden, selbst wenn ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorhanden ist. Dies soll mehr Nachhaltigkeit bewirken, damit der Kunde nicht binnen Monaten wieder joblos dasteht und erneut Bürgergeld beantragt.

Wo sind die Hürden für die Jobcenter? „Das Gesetz bietet gute Möglichkeiten im Bereich der Weiterbildung“, sagt Rauch. „Doch selbst wenn wir jetzt deutlich mehr Kunden und Kundinnen dazu motivieren, werden uns die finanziellen Möglichkeiten schnell Grenzen setzen.“ Die Finanzausstattung gerade der kleineren Jobcenter lasse in diesem Jahr keine großen Sprünge zu. Auch Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) mahnt die Bundesregierung, „dass sie unsere Jobcenter nicht im Regen stehen lässt, sondern mehr Mittel freigibt“.

Zu Beginn des Jahres waren der Bundesagentur für Arbeit in Baden-Württemberg 14,5 Millionen Euro gegenüber 2022 gekürzt worden. Dies wurde durch Nachverhandlungen zwar annähernd ausgeglichen – es bleibt aber bei dem Dilemma, dass die Jobcenter auch durch die Eingliederung der Ukraine-Flüchtlinge 20 Prozent mehr Kunden haben. Die Unsicherheit im Bundeshaushalt führt dann etwa dazu, dass die Jobcenter für die im Regelfall längerfristigen Weiterbildungsmaßnahmen von bis zu zwei Jahren keine Planungssicherheit haben. Der Geschäftsführer vor Ort muss genau im Blick haben, wie viele Mittel er für das Folgejahr bindet.

Kleinere Jobcenter gibt es gerade im süddeutschen Raum. Dort sind die Personalkostenanteile relativ höher als in großen Einheiten. So seien sie „überdurchschnittlich unterfinanziert“, wie Rauch meint. „Wir haben Jobcenter, die faktisch keine Qualifizierung mehr bewilligen können.“ Ähnliches gelte für Maßnahmen zur sozialen Teilhabe – ein weiterer Auftrag der Jobcenter. Somit muss immer häufiger überlegt werden, ob man einen Betroffenen in eine Weiterbildung schickt oder einem anderen Leistungsempfänger Zuschüsse für die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben bewilligt.