Wo sich Herz auf Schmerz reimt: Wirtschaftswunder spielt im Soundwerk. Foto: Eva Herschmann

Das Publikum erlebt eine musikalische Zeitreise mit dem Sextett Wirtschaftswunder im ausverkauften Soundwerk in Fellbach. Dass manche der Texte aus heutiger Sicht politisch nicht korrekt sind? Egal – die Besucher singen lauthals und gerne mit.

Vielleicht war früher wirklich alles besser. Zumindest taugen die Hits der Stars von gestern – Manuela, Freddy Quinn, Vico Torriani, Gus Backus, Connie Francis, Gitte oder Rex Gildo – noch immer für eine geile Party. Das hat die Band Wirtschaftswunder am Freitag im ausverkauften Soundwerk in Fellbach demonstriert. Nach zwei Stunden mit Schlagern aus der guten alten Zeit gingen alle, nicht nur die zahlreich anwesenden reiferen Damen und Herren, sondern auch die Jüngeren, mit einem Lächeln auf den Lippen nach Hause.

Pünktchenkleid, Schmalztolle und Hornbrille

Schlager machen glücklich. Doch kaum ein Texter – oder eine Texterin – würde es heutzutage wagen, eine Liedzeile zu schreiben, wie „dass dich ein anderer Mann einmal sein Eigen nennt“. Was die Flippers einst ganz selbstverständlich in ihrem Hit „Aber dich gibt’s nur einmal für mich“ in die Welt hinausposaunten, würde mittlerweile sicherlich einen nicht zu überhörenden Aufschrei der Woke-Anhängerschaft hervorrufen, deren wachsamen Ohren keine verbale Diskriminierung entgeht. Doch wenn Frontfrau Helga im Pünktchenkleid und Frontmann Oswald mit Schmalztolle und Hornbrille, Schlagzeuger Dr. Sputnik, Bassist Hans Albern, Jens von Eden am Keyboard und Gitarrist Eddie Schillinger auf der Bühne stehen, singt das Publikum, politisch korrekt oder nicht, lauthals mit. Obschon die Aussage „sein Eigen nennt“ eigentlich alle Gleichstellungsbeauftragten, egal ob weiblich oder männlich, auf den Plan rufen sollte.

Das Konzert von Wirtschaftswunder sei innerhalb kürzester Zeit ausverkauft gewesen, erzählt Gastgeber Markus Sauber, der neben dem Soundland mit Instrumenten und Equipment für Musiker mit dem Soundwerk eine besondere Location für Konzerte geschaffen hat. Dort fand sich am Freitag ein bunt gemischtes Publikum ein, das für ein paar Stunden in eine vergangene, aber nicht vergessene, heile Welt eintauchte. Unter dem alten Leuchtreklameschild der „Bambi Lichtspiele“ nahm das Sextett die Fans mit einem Augenzwinkern auf eine musikalische Zeitreise in die 50er- und 60er-Jahre, in denen sich Herz auf Schmerz gereimt hat. Bei „Schuld war nur der Bossa Nova“ oder „Heißer Sand und ein verlorenes Land“ fühlten sich viele in die Teenagerzeit der bundesdeutschen Republik versetzt, die auch seine oder ihre Jugend gewesen war.

Wirtschaftswunder spielte auch für Dieter Thomas Heck

„Ihr seid so süß“, schrie Sängerin Helga von der Bühne herunter. Diesen Satz würde heute wohl auch kaum noch eine Künstlerin sagen. Mit Ausnahme von Nena vielleicht. Oswald, der Entertainer, verkündete, die Band werde keine Pause machen. Das Schlager-Sextett hielt sein Versprechen und spielte zwei Stunden nonstop. Schließlich haben die Musiker etwas nachzuholen. Die Band aus Nürnberg, die seit Anfang der 90er-Jahre ihre nostalgisch-ironische Musikrevue auf meist großen Bühnen präsentiert und ihren Ritterschlag erhielt, als Dieter Thomas Heck, der Schnellsprecher der legendären „Hitparade“, sie für die Hochzeit seines Sohnes engagierte, hat einige Zeit pausiert. Doch jetzt sind Wirtschaftswunder wieder da, schrill und schillernd wie eh und je.

Angesichts der aktuellen globalen Lage ist die Flucht in die alte Zeit, in der die wunderbare Marina kein Schokolade, sondern einen Cowboy als Mann will und mit dem Itsy Bitsy Teeny Weeny Honolulu Strandbikini von Santo Domingo träumt, gar nicht mal die schlechteste Option. Woke hin oder her. Dem Publikum in Fellbach hat der Ausflug in die Vergangenheit jedenfalls ausnehmend gut gefallen. „Die gehen alle glücklich ins Bett“, sagte Markus Sauber.