Vakuumgefäß der Fusionsanlage: Der Joint European Taurus (Jet) in Großbritannien hat einen neuen Weltrekord der Energieerzeugung aufgestellt. Foto: Imago/Abacapress

Europäische Forscher verkünden einen Weltrekord bei der Energiegewinnung mittels Kernfusion. Dennoch wird es noch sehr lange bis zum Einsatz dieser Technik dauern.

Die europäische Kernfusionsanlage Jet hat einen Weltrekord bei der Energieerzeugung aufgestellt. Die Anlage Joint European Torus (Jet) in Großbritannien habe aus 0,2 Milligramm Brennstoff 69 Megajoule Energie gewonnen, hat das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München am Donnerstag (8. Februar) mitgeteilt.

Es handle sich um die größte Energiemenge, die je in einem Fusionsexperiment erreicht wurde, heißt es weiter. „Für die gleiche Energiemenge hätte es etwa zwei Kilogramm Braunkohle gebraucht – also rund zehn Millionen Mal so viel“, schreibt das IPP, das an dem Projekt beteiligt ist.

Fusionsreaktor Jet

Die Fusionspremiere bei JET 1991 lieferte nicht einmal ein Zehntel der Energiemenge, die zur Zündung des Feuers nötig war. Foto: Imago/Abacapress
Aufnahme der Rekordentladung von Jet. Foto: Ukaea/Eurofusion/dpa

Auch bei diesem Rekord sei jedoch keine positive Energiebilanz entstanden. Es sei rund dreimal mehr Energie hineingesteckt worden als herausgekommen sei, sagt die Fusionsforscherin Athina Kappatou vom IPP.

An der Fusionsanlage Jet sind neben Deutschland und Großbritannien zahlreiche weitere europäische Länder beteiligt. Damit sollen grundlegende Erkenntnisse zum Bau von Fusionskraftwerken gewonnen werden.

Fusionsreaktor Iter

Der in Bau befindliche ITER-Kernfusionreaktor im südfranzösischen Cadarache. Foto: Imago/Xinhua

„Tatsächlich ist ein ‚Energiegewinn‘ physikalisch mit Jet und allen anderen derzeitigen Magnetfusionsexperimenten weltweit nicht möglich“, schreibt das IPP. „Denn für eine positive Energiebilanz müssen diese Fusionsanlagen eine bestimmte Größe überschreiten.“ Dies sei erst bei der im Bau befindlichen Anlage Iter (International Thermonuclear Experimental Reactor) in Südfrankreich der Fall. Dabei machen unter anderem China, die EU, Russland und die USA mit.

Der Weltrekord am Jet gelang bereits am 3. Oktober 2023. Damit hat Jet seinen 2021 aufgestellten Rekord von 59 Megajoule übertroffen. Der aktuelle Rekord sei ein Nebenprodukt und nicht geplant gewesen, erläutert Athina Kappatou. Es sei eher darum gegangen, verschiedene Fragen zu beantworten, die für Iter wichtig seien.

Kernfusion noch lange keine Energie-Lösung

Das Rekord-Experiment war nach IPP-Angaben eines der letzten bei Jet. Nach vier Jahrzehnten sei der Betrieb Ende 2023 beendet worden. Auch Iter wird eine Forschungsanlage werden. Für die aktuellen Energieprobleme ist die Kernfusion laut Athina Kappatou noch lange keine Lösung. „Wir wissen jedoch, was die Hürden sind. Sie können gelöst werden. Fusion ist kein unlösbares Problem.“

Die Idee sei, in Jahrzehnten ein Demonstrationskraftwerk zu haben, das zeige, wie man Strom produziert und ins Netz einspeisen kann. „Dieses wird schon nutzbaren Strom produzieren, aber eventuell noch nicht die Leistung, wie sie eine ganze Großstadt braucht.“ Sobald dies funktioniere, sei zu erwarten, dass etwa private Firmen größere Anlagen planen und bauen, „die dann ähnliche Mengen wie heutige Kraftwerke produzieren können“,erläutert die Forscherin.

NiF-Fusionsreaktor

Fusionsrektor der National Ignition Facility in Kalifornien. Foto: Imago/Abacapress

Ende 2022 hatten US-Forscher verkündet, mit Hilfe von Lasern in einer Fusionsanlage Energie gewonnen zu haben: Bei dem Experiment an der National Ignition Facility (Nif) in Kalifornien wurde – wie in der Forschung üblich – nur die Energiebilanz des Plasmas selbst angegeben.

Dabei wird nicht berücksichtigt, wie viel Strom etwa in die Laser geflossen ist. Damaligen Angaben zufolge benötigte die US-Anlage etwa 300 Megajoule Energie, um zwei Megajoule Laserenergie zu liefern, die drei Megajoule Fusionsausbeute erzeugten.

Info: Vor- und Nachteile der Kernfusion

Kernfusion
Bei der Kernfusion werden Atomkerne anders als in Reaktoren von herkömmlichen Atomkraftwerken verschmolzen statt gespalten. Theoretisch ließen sich damit sehr große Energiemengen erzeugen – und das klimaneutral. Sowohl Kernkraft als auch Kernfusion gewinnen Energie aus den Bindungskräften von Atomkernen. Bei der Kernkraft werden jedoch große Atome gespalten. Es entsteht unter anderem radioaktiver Abfall und es drohen schwere Unfälle. Bei der Kernfusion hingegen werden kleine Atomkerne zu größeren verschmolzen – fusioniert –, die Technologie gilt als sauber und sicher. Diese Form der Energiegewinnung ähnelt den Vorgängen in Sternen wie der Sonne.

Fusionsreaktoren
Am 9. November 1991 holten Forscher erstmals das Sonnenfeuer auf die Erde: Für zwei Sekunden brannte die erste kontrollierte Kernfusion der Welt im europäischen Experimentalreaktor JET (Joint European Torus) im britischen Culham bei Oxford. Der internationale Testreaktor ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor), der seit 2007 beim südfranzösischen Kernforschungszentrum Cadarache im Bau ist, soll der Technik künftig den Weg in die Praxis ebnen. Dieser Weg verläuft allerdings noch holprig.

Energie aus der Sonne
Die Kernfusion gewinnt enorme Mengen Energie, indem sie leichte Atomkerne zu schwereren verschmilzt. Unsere Sonne leuchtet vor allem durch die Fusion von Wasserstoff, dem leichtesten chemischen Element, zum nächst schwereren, Helium. Nach diesem Vorbild sollen irdische Fusionsreaktoren die Wasserstoffvarianten Deuterium und Tritium zu Helium verschmelzen. Deuterium, auch als schwerer Wasserstoff bezeichnet, lässt sich aus normalem Wasser gewinnen. Tritium, sogenannter superschwerer Wasserstoff, kann ein Reaktor aus dem Leichtmetall Lithium erbrüten, das sich in Gestein findet – Fusionsbrennstoff ist vergleichsweise billig und im Überfluss vorhanden.

Fusionsprozess
Das Fusionsfeuer zu zünden und vor allem kontrolliert aufrecht zu erhalten, ist jedoch technisch äußerst anspruchsvoll und erfordert wahrhaft höllische Bedingungen: Der Brennstoff muss auf Temperaturen von etwa 100 Millionen Grad Celsius aufgeheizt und das entstehende heiße Plasma von extremen Magnetfeldern berührungsfrei in der Brennkammer eingeschlossen werden. Berührt das Plasma die Reaktorwand, erlischt das Fusionsfeuer sofort.

Radioaktiver Abfall
Fusionsreaktoren erzeugen weniger und vor allem deutlich kurzlebigere Radioaktivität als die Kernspaltung. Ganz ohne Strahlenmüll kommen sie allerdings nicht aus. Für Tausende Jahre sichere Endlager wie für den radioaktiven Abfall der Spaltreaktoren sind jedoch nicht nötig, wie die Befürworter der Technik betonen. Nach 100 Jahren ist demnach die Radioaktivität auf ein Zehntausendstel abgeklungen. Als weiteren wichtigen Vorteil führen Befürworter die Klimafreundlichkeit ins Feld, denn die Kernfusion produziert keine Treibhausgase. Nach ihrer Ansicht könnte die Fusion im Energiemix der Zukunft die Grundlast im Stromnetz übernehmen.