Postkarte des Kosmos-Verlags: Bahnhofstraße 1938 mit der Weberei JC Leibfried auf der linken Seite – eines der Ausweichquartiere von Daimler Foto: Stadtarchiv Sindelfingen

Das Projekt „Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“ stellt monatlich wechselnd ein entsprechendes Thema im Stadtmuseum in den Mittelpunkt. Aktuell geht es darum, wie die Daimler-Benz AG auf die wachsende Gefahr von Luftangriffen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs reagierte.

Im Gemeinderatsprotokoll vom 18. Mai 1944 lesen wir von der Anfrage der Daimler-Benz AG, die Festwiese westlich der Eichholzturnalle zu pachten „zur Auslagerung bestimmter Produktionsteile“. Weiter heißt es: „Die Bewachung der abgestellten Teile erfolgt durch das Daimlerwerk…“

Warum Teile aus dem zu dieser Zeit noch völlig intakten und auf Hochtouren produzierenden Werk irgendwo im Freien abgestellt werden sollten, mutet zunächst seltsam an. Allerdings gab es erste Auslagerungen aus dem Sindelfinger Werk bereits Anfang 1944. Dies war die Konsequenz aus der immer größer werdenden Gefahr durch Luftangriffe gerade auf Rüstungsbetriebe. Zunächst hatte man noch versucht, durch eine Tarnung der Gebäude mit Netzen und Farbe, einer Vernebelungsanlage und Fliegerabwehrstellungen rund um das Werk für Schutz zu sorgen. Doch spätestens seit 1943 wurde die Luftüberlegenheit der Alliierten erdrückend. Nüchtern betrachtet konnte es also nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch das Sindelfinger Daimler-Benz-Werk Ziel vernichtender Luftschläge werden würde.

Weberei als Ausweichquartier

Unter diesem Eindruck versuchte man in der gesamten kriegswichtigen Industrie die Produktion zu dezentralisieren und teilweise auch aus den Ballungsgebieten hinaus in weniger gefährdete ländliche Gebiete zu verlagern. Für das Sindelfinger Werk sind acht Verlagerungsstätten nachzuweisen, in die seit Anfang 1944 Produktionsteile und Verwaltungseinheiten verbracht wurden. Unter Decknamen wie „Kranich“, „Jaspis“ oder „Tell“ wurden stillgelegte Fabrikgebäude und Steinbrüche oder Eisenbahntunnel im Elsass, im Schwarzwald oder bei Rottenburg und Maulbronn, aber auch in unmittelbarer Nähe in Holzgerlingen genutzt.

In Sindelfingen selbst wurden die Räume der stillgelegten Weberei Leibfried als Ausweichquartier in Anspruch genommen. Viele der Verlagerungsstätten wurden bis Kriegsende gar nicht mehr fertiggestellt, und natürlich litt die Effektivität unter der zerstreuten, provisorischen Unterbringung und zunehmend schlechten Verkehrssituation.

Weitsichtiger Werkleiter

Während bei den Verlagerungen für die militärische Führung die Aufrechterhaltung der Rüstungsproduktion im Vordergrund stand, verfolgten die auslagernden Unternehmen und eben auch Daimler-Benz, wie das anfangs beschriebene Beispiel aus Sindelfingen zeigt, noch andere Interessen. Denn mit den auf der städtischen Festwiese ausgelagerten Produktionsteilen konnte ja nichts mehr produziert werden. Vielmehr ging es darum, diese wie auch weitere Produktionsmittel sowie wichtige technische und betriebliche Unterlagen in die Nachkriegszeit zu retten.

Schon früh hatte der Daimler-Benz-Vorstandsvorsitzende und ehemalige Sindelfinger Werkleiter Wilhelm Haspel erkannt, dass der Krieg unweigerlich verloren gehen würde und ein erfolgreicher Neubeginn in hohem Maße von Maschinen und Knowhow abhing, die die Kriegszeit unbeschadet überstanden. So ist es kein Zufall, dass in Sindelfingen trotz weitestgehender Zerstörung des Werks im September 1944 ein schneller Neubeginn nach Kriegsende möglich war.