Enzo Millot tunnelt den Freiburger Verteidiger Philipp Lienhart und geht auf und davon. Foto: Pressefoto Baumann/Hansjürgen Britsch

Kein Team der Bundesliga verteilt mehr Beinschüsse als der VfB Stuttgart. Was sagt das über die Spielweise, welche Spieler düpieren den Gegner besonders gerne und wie heißt das Kunststück eigentlich auf Französisch?

Enzo Millot bekommt fünf Meter vor dem Strafraum den Ball. Er schaut kurz hoch, sieht den durchstartenden Deniz Undav und schiebt ihm den Ball in den Lauf – durch die Beine des Verteidigers. Nach einer Minute führt der VfB Stuttgart 1:0 in Frankfurt. Die Szene hat in der bisherigen Saison des VfB keinen Seltenheitswert.

Die Stuttgarter sind die Tunnelkönig der Fußball-Bundesliga. Gemeinsam mit den Spielern von Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Heidenheim teilen sie sich den ersten Platz der meisten gespielten Beinschüsse – 21 in der laufenden Saison. Den letzten Platz der besonderen Rangliste belegt Union Berlin mit lediglich sieben Gurkerln – wie es ein Österreicher sagen würde. Die Zahlen stammen vom „Institut für Spielanalyse“.

Französischer Ballzauber

Enzo Millot hat bereits fünfmal in dieser Saison einen Gegner auf diese Art düpiert. Auf einem Banner in Anfield hieß es einmal, Liverpool-Stürmer Luis Suárez könne selbst eine Meerjungfrau tunneln. Womöglich sieht man ein solches Poster bald auch von Millot-Fans. Franzosen sagen zu dem Trick übrigens „petit pont“ (kleine Brücke).

Nur drei Spielern in der Bundesliga gelangen mehr Beinschüsse als Millot: Gladbachs Alassane Plea, Bayerns Leroy Sané (je sieben) und Leverkusen Victor Boniface (sechs). In den Top 20 finden sich weitere VfB-Profis: Undav gelangen vier Tunnel, Chris Führich und Hiroki Ito jeweils drei.

Alles nur Zirkus?

Was von der Statistik jedoch nicht erfasst wird, ist der Erfolg der Tunnel, also ob die Mannschaft danach im Ballbesitz blieb. Und darin liegt die Krux der Beinschüsse. Sie polarisieren: Die einen lieben die Kunstfertigkeit und begleiten sie stets mit bewundernden Rufen, die anderen rümpfen die Nase über die aus ihrer Sicht wirkungslose Zirkuseinlage. Um dies zu beurteilen, muss man einzelne Szenen ansehen.

Etwa die 75. Minute des Spiels gegen den SC Freiburg. Atakan Karazor schickt Millot auf die Reise. Nur noch der Freiburger Verteidiger Philipp Lienhart stellt sich ihm in den Weg. Doch der Franzose beweist seine spielerische Eleganz und spitzelt seinem Gegenspieler den Ball durch die Beine. Auf und davon vollendet er zum 5:0.

Der direkteste Weg führt durch die Beine

Es lohnt auch ein erneuter Blick auf das frühe Tor gegen Frankfurt. Der Eintracht-Verteidiger William Pacho stellt sich zentral vor Millot, um den Passweg in die Tiefe abzudecken. Der französische Offensivspieler des VfB hat weder den Raum, den Ball an Pacho vorbeizupassen, noch die Zeit ihn zu umspielen und dann Undav zu bedienen. Der einzige Weg führt durch die Beine des Gegners – und Millot findet ihn.

Die direkteste Möglichkeit, mit dem Ball einen Gegenspieler zu überwinden, ist durch dessen Hosenträger. Zu Unrecht also ist der Trick bei so manchem Bruddler grundsätzlich als Schönspielerei verschrien. In erfolgreicher Ausführung sind Beinschüsse keineswegs „L´art pour l´art“, Ballkunst um ihrer selbst willen, sondern geradliniger Fußball.

Ein Spielzug für die Staatsgalerie

Die spielerische Anmut des Tunnels lässt sich besonders dann bewundern, wenn sie zu einem Tor führt. Beinahe gelang dies auch gegen Darmstadt 98. Serhou Guirassy lässt mit dem Außenrist auf Führich prallen. Durch die Hosenträger des Verteidigers spielt er wieder auf Guirassy, der schickt ihn in die Gasse – und Führich trifft. Ein kongenialer Spielzug für die Stuttgarter Staatsgalerie. Einziger Schönheitsfehler: Guirassy stand beim ersten Anspiel hauchzart im Abseits.

Die Tunnel-Statistik verdeutlicht nun das Stuttgarter Erfolgsrezept. Der VfB kombiniert fußballerische Leichtigkeit mit einem geradlinigen Weg zum Tor. Die zahlreichen Beinschüsse, Tunnel, Pannas und Nutmegs stehen daher sinnbildlich für die bisherige Saison des VfB: Spielerisch elegant und zugleich effektiv.