Auch Campari hat seinen Sitz in den Niederlanden. Foto: AFP/Miguel Medina

Der Benelux-Staat lockt mit niedrigen Steuern und lockeren Regeln. Rom entgehen hohe Steuereinnahmen.

Die Niederlande sind bekannt für ihre sehr unternehmensfreundliche Politik und gelten vielfach als Steuerparadies, obwohl sie auf keiner der Schwarzen Listen von Steuersünderländern stehen. Vor allem Holdinggesellschaften zahlen nicht nur deutlich weniger Steuern als in Italien, Deutschland oder Frankreich. Auch das liberalere und einfachere Börsenrecht, die Mehrfachstimmrechte, die flexible und schnelle Bürokratie sowie das Vorhandensein vieler fachlich bestens ausgebildeter Experten, eine hervorragende Infrastruktur und niedrige Kosten sind für Unternehmen, insbesondere Holding-Gesellschaften, interessant.

Angesichts der lockereren Regulierungen auf dem Finanzmarkt, großzügiger Mehrfachstimmregeln und attraktiver Steuersätze haben in den letzten Jahren immer mehr italienische Konzerne, vor allem Holdinggesellschaften, ihren rechtlichen Sitz in die Niederlande verlegt. Jüngstes Beispiel ist der Bremsenhersteller Brembo, der den Schritt damit begründete, so die Stimmrechte zugunsten aller Aktionäre zu stärken. Hierbei geht es um die Mehrfachstimmrechte langjähriger Anteilseigner, die damit selbst dann eine Stimmenmehrheit erreichen können, wenn sie nur 20 bis 30 Prozent der Anteile des Unternehmens kontrollieren. Das könnte bei Brembo relevant werden, wenn die Familie Bombassei bei einer großen Übernahme ihre Kapitalmehrheit abgeben sollte.

Auch Campari und Ferrero sind in Holland

Vor Brembo hatten der ProSieben.Sat1-Großaktionär Media for Europe (Mfe) im Jahr 2021, die Ariston Holding (2021), Campari (2020), Cementir Holding (2019), aber auch Luxottica (Brillen) und der Süßwarenkonzern Ferrero diesen Schritt vollzogen. Trendsetter war der damalige Fiat-Konzern 2014, der inzwischen in Stellantis (ebenfalls Niederlande), aufgegangen ist. Die früheren Fiat-Teile CNH Industrial (2013), Ferrari (2016), Iveco (2022) und die Holding Exor, die die Interessen der Familie Agnelli-Elkann, Großaktionär der genannten Unternehmen, bündelt, gingen den gleichen Weg. Allein in den letzten zehn Jahren transferierten 13 börsennotierte italienische Konzerne ihren Sitz in das mitteleuropäische Land. Mit einer Gesamt-Kapitalisierung von 157 Milliarden Euro haben 22 Prozent der in Mailand notierten Unternehmen und 27 Prozent des Leitindex FTSE Mib ihren rechtlichen Sitz in den Niederlanden.

Nach einer Untersuchung des Forschungszentrums der Katholischen Universität (Università Cattolica del Sacro Cuore) in Mailand unter dem Titel „Cosi fan tutte – eine Analyse der italienischen Unternehmen, die ins Ausland gehen“, haben italienische Konzerne vor allem seit 2010 verstärkt ihre Firmensitze nach außerhalb Italiens verlegt. Hauptgrund ist den Autoren der Studie zufolge, dass die Großaktionäre der betroffenen Unternehmen aufgrund großzügiger Mehrfachstimmrechte sich selbst dann eine Mehrheit der Stimmrechte sichern können, wenn sie nur einen Minderheitsanteil von beispielsweise 20 Prozent am Kapital halten. „Belohnt“ wird besonders eine lange Haltedauer der Aktien und zwar in Form von bis zu 20 Stimmrechten je Aktie.

Geringer bürokratischer Aufwand

Andere internationale Konzerne wie Google, Nike, eBay, Uber oder Ikea, die in die Niederlande gegangen sind, nutzen diese Form der Absicherung der Rolle des Großaktionärs der Studie zufolge weitaus weniger. Es gibt auch andere Motive für eine Verlagerung in die Niederlande, die generelle niedrige Besteuerung und die sehr geringe Dividendenbesteuerung. Der Luft- und Raumfahrtkonzern EADS Group (heute: Airbus Group) hat seinen juristischen Konzernsitz bei der Gründung im Jahr 2000 in den Niederlanden, der spanische Bauriese Ferrovial plant dies. Auch der deutsche Medizintechnikhersteller Curevac und Trivago sind dort. Start-ups profitieren außer von einem geringen bürokratischen Aufwand von steuerlichen Vorteilen und der guten Infrastruktur in Deutschlands Nachbarland. Den diversen Regierungen in Den Haag ist es, ähnlich wie Luxemburg oder Irland, bisher stets gelungen, für sie nachteilige Regelungen auf EU-Ebene abzuwehren. Das stößt in anderen Ländern zwar auf Missfallen, schlägt aber in der Regel keine großen Wellen.

Dem Fiskus entgehen Milliardensummen

Dabei entgehen dem italienischen Fiskus durch die Verlagerungen in die Niederlande Schätzungen zufolge bis zu 30 Milliarden Euro Steuereinnahmen jährlich. Deutschland soll durch Verlagerungen ähnlich hohe Summen verlieren.

Sogar italienische Unternehmen, in denen der Staat Anteile hält, wie der Versorger Enel, der Mineralölkonzern Eni oder Saipem, ein Zulieferer der Ölindustrie, haben Gesellschaften in den Niederlanden – wohl nicht nur, weil es dort so schön ist. Rom hätte hier sicher Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Warum das nicht geschieht, ist offen.

Was die Niederlande attraktiv macht

Einsparung
Durch eine Verlagerung in die Niederlande können geschickte Unternehmen, vor allem Holdinggesellschaften, viel Geld sparen. Viele internationale Unternehmen nutzen dabei, rechtlich legal, sogar Regelungen mehrerer Länder, um Steuerzahlungen zu vermeiden bzw zu reduzieren. Eine in der Branche sehr bekannte Konstruktion trägt den bezeichnenden Namen „Double Irish with a Dutch Sandwich“.