Ein Mysterium: Warum verschmähen so viele Rennradler diesen Radweg zwischen Aidlingen und Grafenau. Foto:  

Ein paar abseitige Betrachtungen zum Thema Radfahren und Religion – und zum frischgeteerten und doch verschmähten Radweg zwischen Aidlingen und Grafenau

Radfahren und Religion haben mehr gemeinsam, als man so denkt. In beiden Fällen spielen Glauben und Überzeugungen eine große Rolle. Und in beiden Fällen kann es schon mal vorkommen, dass diese Überzeugungen im Widerspruch zu so diesseitigen Dingen wie Realität, Wissenschaft oder Vernunft stehen. So lässt sich beispielsweise die Schöpfungsgeschichte über zwei textilfreie Gartenbewohner, die sich von einer sprechenden Schlange dazu überreden lassen, potenziell psychotrope Früchte zu essen, nicht ohne Weiteres mit den Erkenntnissen der Evolutionstheorie in Einklang bringen.

Aufseiten der zweiradfahrenden Anhängerschaft des Heiligen St. Veloziped finden sich da manchmal ganz ähnliche Widersprüche. Zum Beispiel mit Blick aufs Böblinger Verkehrskonzept. Hier fallen genervte Autofahrer regelmäßig vom Glauben ab, wenn sie beim Im-Stau-Stehen in der Innenstadt auf weitgehend ungenutzte Radwege starren.

Wie bei der Religion gibt es auch unter Radfahrern Glaubensgemeinschaften, die technische Innovationen ablehnen, obwohl sie einem das Leben deutlich leichter machen. Wer schon einmal einen Amish-Farmer in Pennsylvania dabei beobachtet hat, wie er mühsam mit dem Pferdegespann sein Feld bestellt, während der Nachbar auf dem Feld gegenüber gemütlich auf seinem Trecker sitzt, weiß, was hier gemeint ist.

Unter Radfahrern gibt es eine Gruppe, die den Amish in dieser Hinsicht gar nicht so unähnlich ist: die Rennradfahrer. Den Radweg neben der Hauptstraße lassen sie links liegen und ziehen stattdessen in scheinbarer Seelenruhe eine ganz Schar schimpfender Auspuffrohrspatzen hinter sich her. Oft gibt es natürlich gute Gründe, warum unsere radlerhosentragenden Brüder und Schwestern vom eigens für sie gemachten Weg abkommen – miese Bodenbeläge oder ein zerstückeltes Radwegenetz, zum Beispiel.

Mit der Tour de Frust könnte es vorbei sein

Ein bisschen anders verhält sich die Sache allerdings zwischen Grafenau und Aidlingen. Hier verbindet neuerdings ein für viel Geld asphaltierter und mit weißen Reflektorrandstreifen ausgestatteter, wunderhübscher Waldradweg die beiden Heckengäugemeinden. Mit der Tour de Frust für Rad- und Autofahrer auf der viel zu schmalen und dadurch sehr gefährlichen Kreisstraße könnte es jetzt endlich vorbei sein. Ist es aber nicht. Viele Strampelmänner- und frauen ziehen weiterhin die Straße dem Radweg vor. Warum? Man weiß es nicht. Die Wege des Herrn sind eben unergründlich – und für Rennradfahrer gilt vermutlich dasselbe.

Ein Beitrag aus den „Bonbons“, der Humorkolumne dieser Zeitung.