Bei starkem Brechreiz denkt man nicht mehr ans Essen, sondern nur noch an den Vomitus. Sprich: Man muss „spucken“. Foto: Imago/Yay Images

Kennen Sie das auch? Ihnen ist schlecht, so richtig speiübel. Der Kreislauf sackt ab. Das flaue Gefühl in der Magengegend und der Brechreiz werden wird immer unsäglicher. An Essen ist nicht mehr zu denken. Warum das so ist, haben Forscher jetzt herausgefunden. Achtung: Dieser Artikel ist nichts für schwache Mägen!

Häufig beginnt es mit Müdigkeit, Gähnen und Unkonzentriertheit. Dann treten Bläse, kalter Schweiß und Übelkeit auf. Kinetose nennen das Mediziner. Ob im Auto, Flugzeug oder an Bord eines Schiffs: Die Reise- oder Bewegungskrankheit bei Kindern ist der Schrecken eines jeden Familienurlaubs, wie Eltern wissen. Aber auch Ekelgefühle oder Krankheiten können Brechreiz und Übelkeit – medizinisch Nausea (vom Griechischen „nausía“ – Seekrankheit“) – auslösen.

Retrograde Peristaltik und Vomitus

Wenn’s einem übel ist, vergeht einem der Appetit. Im schlimmsten Fall kommt es zum Vomitus (von lateinisch „vomitio“), wie der medizinische Fachbegriff für Erbrechen heißt – also der schwallartigen Entleerung des Magen- oder Speiseröhren-Inhalts (medizinisch: Chymus). Und zwar retroperistaltisch, dass heißt entgegen der natürlichen Richtung durch die Speiseröhre und den Mund (sogenannte retrograde Peristaltik).

Doch was passiert bei dieser äußerst unangenehmen Befindlichkeitsstörung im Gehirn? Das haben Neurobiologen um Wenyu Ding vom Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz in Martinsried im oberbayerischen Landkreis München und ihre Kollegen jetzt entschlüsselt. Ihre Studie ist im Fachmagazin „Cell Reports“ veröffentlicht.

Amygdala sendet appetithemmende Signale ans Gehirn

Bei Übelkeit sind spezielle Zellen in der Amygdala involviert und senden appetithemmende Signale an Areale im gesamten Gehirn.

In der Amygdala sind bestimmte Nervenzellen beheimatet, welche die Sättigung steuern und Übelkeit hervorrufen. Foto: Imago/Pond5 Images

Die Amygdala ist ein paariges Kerngebiet des Gehirns. Sie wird wegen ihrer Form in der Anatomie auch Mandelkern genannt. Die Amygdala ist für Emotionen und Gefühle wie Furcht und Angst, aber auch für die emotionale Bewertung und Wiedererkennung von Situationen sowie der Analyse und Konditionierung möglicher Gefahren zuständig. In der Amygdala sind zudem bestimmte Neuronen (ein anderes Wort für Nervenzellen) beheimatet, welche die Sättigung steuern.

Die Faktoren, die Nausea auslösen können, sind vielfältig: Stress, eine Infektion, Reiseübelkeit, der Anblick von etwas Ekligem etc.. Essen ist in einem solchem Moment absolut nicht drin, selbst man hungrig ist. Das hat einen guten Grund: Der Körper braucht Zeit und Ressourcen, um sich auf drängendere Probleme zu konzentrieren.

Auch Mäusen kann schlecht werden

Kein Hunger trotz reichlich Futter: Wenn Mäusen ebeso wie Menschen übel ist, hemmt das ihren Appetit. Foto: © MPI für biologische Intelligenz/Julia Kuhl

Welche Prozesse bei Nausea im Gehirn ablaufen, haben die Wissenschaftler in Mäuse-Experimenten genauer untersucht. Sie lösten bei den Nagern mithilfe einer Chemikalie künstlich Übelkeit aus und beobachten dann unter anderem mithilfe von Fluoreszenzmarkern und Elektroden, wie verschiedene Neuronengruppen in der zentralen Amygdala darauf reagierten.

Zusätzlich testeten sie das Verhalten der Tiere. Fraßen sie bei Übelkeit weniger, obwohl sie zuvor nicht zu fressen bekommen hatten? Wie beeinflusst die Übelkeit ihr Verhalten?

Dlk1-Neuronen sind bei Übelkeit aktiv

Es zeigte sich, dass neben Sättigungs-Neuronen in der Amygdala noch weitere Hirnzellen aktiv wurden – die sogenannten Dlk1-Neuronen. Dlk1 ist ein Protein, das beim Menschen durch das DLK1-Gen kodiert wird. Diese agieren nicht bei Sättigung, sondern bei Übelkeit.

„Wir haben herausgefunden, dass diese Neuronen durch übelkeitsauslösende Mittel, Bitter-Aromen und durch Verstimmungen des Magen-Darmtrakts aktiviert werden“, schreiben die Forscher. Zuvor erhalten die Dlk1-Nervenzellen Signale von anderen Hirnregionen, darunter auch denjenigen, die für Ekel und unangenehme Gerüche zuständig sind.

Spezieller Appetitblocker-Schaltkreis im Gehirn

Da wird's einem schon vom Zuschauen schlecht: Der retroperistaltische Augenblick ist gekommen. Gleich kommt es zum Vomitus.  Foto: Imago/Pond5 Images

Wenn diese Hirnzellen in Aktion treten, blockieren ihre Signale sogar starkes Hungergefühl, wie sich bei den fastenden Mäusen herausstellte. Sie hörten auf zu fressen und sogar zu trinken, nachdem die Dlk1-Nervenzellen in ihrem Gehirn künstlich angeregt wurden. Sobald diese Neuronen in der Amygdala ausgeschaltet waren, fraßen sie wieder, obwohl ihnen weiterhin übel war.

Den Forschern zufolge zeigt dies, dass es im Gehirn von Mäusen und Menschen einen speziellen Schaltkreis sowie eigene Hirnzellen für den Appetitverlust durch Übelkeit gibt.

Bei Übelkeit ist die Toilette der beste Freund

Wenn's einem schlecht ist, will man nur noch seine Ruhe haben. Foto: Imago/Pond5 Images

Wie jeder weiß, will man bei Übelkeit nur noch seine Ruhe haben. Das galt auch für die Mäuse im Experiment. War den Nagern schlecht, suchten sie seltener  Kontakt zu ihren Artgenossen als sonst. „Diese Effekte gehen aber nicht auf Ängstlichkeit oder veränderte Bewegung zurück“, erklärt Wenyu Ding.

Den Forschern zufolge hilft die Entdeckung dieses speziellen Appetitblocker-Schaltkreises im Gehirn dabei, die Effekte besser zu verstehen, welche Übelkeit im Gehirn auslösen und welche neuronalen Zellen und Schaltkreise daran beteiligt sind.