Da war die Stimmung noch nicht verdorben. Italiens Premierministerin Meloni berät sich beim EU-Gipfel mit ihren Kollegen Orbán (rechts) aus Ungarn und Morawiecki aus Polen. Foto: dpa/Geert Vanden Wijngaert

Ungarn und Polen blockieren die Asylreform. Bundeskanzler Olaf Scholz glaubt dennoch weiter an die erfolgreiche Umsetzung der mehrheitlich beschlossenen Reformen.

Niemand kann so böse blicken wie Giorgia Meloni. Am Freitagmorgen eilte die italienische Premierministerin mit besonders finsterer Miene durch die Gänge des Ratsgebäudes in Brüssel. Gerade hatte sie sich an ihren Kollegen Mateusz Morawiecki und Victor Orbán die Zähne ausgebissen. In einem Nebenzimmer hatte die Postfaschistin den ungarischen Autokraten und den polnischen Nationalkonservativen in einem Tête-à-tête bearbeitet, doch beide weigerten sich, einen möglichen Kompromiss in der EU-Asylpolitik zu unterstützen. Der Eklat war perfekt: am Ende des zweitägigen Gipfels gab es keine gemeinsame Erklärung der 27 Staats- und Regierungschefs zum Thema Migration.

Ein Scheitern mit hohem Symbolwert

Diplomaten waren danach redlich bemüht zu betonen, dass das keine Auswirkungen auf den laufenden Prozess für eine europäische Asylreform habe, weil hierfür der Beschluss der EU-Innenminister vor knapp drei Wochen ausschlaggebend sei. Aber die Symbolkraft dieses Scheiterns ist nicht zu unterschätzen.

Orbán präsentierte sich seinem Volk als eine Art Schutzpatron für Ungarn. Er habe im Brüsseler Sitzungssaal einen „Freiheitskampf“ geführt, raunte der autokratische Premier am Freitagmorgen bei einem Interview des staatlichen Radios ins Mikrofon. „Man will Ungarn dazu zwingen, Migranten-Ghettos zu errichten“, behauptete Orbán. „Dagegen werde ich mit Händen und Füßen, mit Zähnen und Klauen ankämpfen.“

Fassungslose Regierungschefs in Brüssel

Manche seiner Kollegen ließen solche Sätze ziemlich fassungslos zurück. „Ich habe lieber keine Schlussfolgerungen als schlechte Schlussfolgerungen“, betonte der luxemburgische Premier Xavier Bettel am Freitagmorgen und erinnerte daran, dass sich die Innenminister der Länder bereits gemeinsam auf einen Asylkompromiss geeinigt hatten. „Wenn hier in den Schlussfolgerungen drinsteht, dass Polen und Ungarn die Möglichkeit haben, die Mehrheitsabstimmung in Frage zu stellen und das auch in Zukunft, das mache ich nicht mit“, sagte Bettel. „Wir haben Regeln und wir sollten uns auch an die Regeln halten, sonst brauchen wir auch überhaupt nicht mehr herkommen.“

Die Regierungen in Warschau und Budapest lehnten bei dem Gipfel die Übereinkunft der EU-Innenminister von Anfang Juni ab. Danach sollen beide Staaten 20.000 Euro für jeden Geflüchteten zahlen, den sie nicht von Ankunftsländern wie Italien oder Griechenland übernehmen. Polen beharrte nach den Worten von Regierungschef Morawiecki auf einer Klarstellung durch den EU-Gipfel, „dass das Verfahren (der Umverteilung der Flüchtlinge) freiwillig bleibt“. Die Pläne sehen jedoch vor, dass die Aufnahme von Flüchtlingen künftig verpflichtend sein soll.

Ein kleiner Seitenhieb gegen den Kollegen

Morawiecki nutze die Gelegenheit für einen Seitenhieb gegen den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Er betonte, seine Regierung wolle keine Verhältnisse wie in den Pariser Vorstädten. „Jeder kann sehen, welche Risiken es gibt, wenn eine Welle illegaler Migranten nach der anderen in ein Land kommt“, sagte der nationalkonservative Politiker unter Anspielung auf die jüngsten Ausschreitungen in Frankreich. Das war allerdings vor allem eine Botschaft an seine polnischen Landsleute, die politische Entschlossenheit signalisieren sollte. In Warschau wird im Herbst ein neues Parlament gewählt, die regierende nationalkonservative PiS-Partei ist unter starkem Druck der Opposition. Macron selbst bekam die verbale Ohrfeige Morawiecki allerdings nicht mehr mit, denn der Staatschef befand sich schon auf dem Weg nach Hause, wo er wegen der Straßenschlachten an einer dringenden Krisensitzung teilnahm.

Scholz hofft auf einen Erfolg der Reform

Bundeskanzler Olaf Scholz betonte am Ende des Gipfels, dass die Europäische Union eine gemeinsame und für alle verbindliche Migrationspolitik beschließen werde. Aus seiner Sicht müssten irreguläre Migration begrenzt und zugleich reguläre Migrationsangebote gemacht werden. Dass dies nicht alle Mitgliedsstaaten so sähen wie die große Mehrheit in der Gemeinschaft, sei klar, sagte Scholz. Das müsse auch diskutiert werden. Wichtig sei, dass die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament nun zügig abgeschlossen würden. Er gehe davon aus, betonte der Kanzler, dass dies anschließend auch von allen Ländern umgesetzt werde.