Die Journalistin (Deleilah Piasko, l.) und die Bettlerin (Elisabeth Rath) Foto: ZDF/Tomas Mikule

Die 6-teilige ZDF-Serie „Der Schatten“ erzählt packend von einer Journalistin, die keinen Mord begehen will – und es zum Schluss womöglich doch tut.

„Alles hängt mit allem zusammen“: Wäre Norah Richter im Verlauf dieser großartigen Serie noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, würde sie ihre Schlussfolgerungen spätestens jetzt hinterfragen, schließlich ist der Satz das Mantra aller Verschwörungsgläubigen. Doch in diesem Moment steckt die Journalistin bereits rettungslos in einer Abwärtsspirale. Längst ist zur Obsession geworden, was Anfang Juli mit einer Prophezeiung begann.

Am 13. August werde sie im Prater einen Mann namens Arthur Grimm töten, lautete die Weissagung einer Bettlerin: „aus gutem Grund und freien Stücken“. Die Botschaft lässt Norah nicht mehr los, sie beginnt zu recherchieren und findet heraus, dass Grimm offenbar einst der doppelt so alte Freund ihrer Jugendfreundin Valerie war. Das Mädchen hat sich mit 16 Jahren das Leben genommen. Die traumatische Erfahrung begleitet Norah bis heute; und womöglich hat Arthur sie in den Tod getrieben oder gar eigenhändig ermordet.

In Wien will sie ganz von vorn anfangen

Schon allein dieser Teil der Geschichte hätte das Zeug zu einem Klassekrimi, aber die sechsteilige Serie „Der Schatten“ hat noch viel mehr zu bieten. Das auf dem gleichnamigen Roman von Melanie Raabe basierende Drehbuch von Stefanie Veith und Koautor Michael Comtesse bettet die Ereignisse in einen nicht minder faszinierenden Rahmen: Norah (Deleila Pilasko), um die dreißig, hat in Berlin die Machenschaften einer Mobbing-Agentur angeprangert und daraufhin ihren Job verloren. In Wien will sie bei einem neu gegründeten Magazin von vorn anfangen.

Ihr erster Auftrag ist das Porträt des gleichermaßen berühmten wie berüchtigten Künstlers Wolfgang Balder (Andreas Pietschmann). Es stellt sich heraus, dass der Mann unheilbar krank ist und nicht mehr lange zu leben hat; der Artikel soll so etwas wie sein Vermächtnis werden. Ähnlich wie der Krebs im Körper des Künstlers – der Titel bezieht sich sowohl auf Balders Krankheit wie auch auf Norahs Schuldgefühle –, so wuchert im Kopf der Journalistin eine fixe Idee: Sie will Grimm (Christoph Luser) des Mordes an Valerie überführen. Schließlich steigert sie sich derart in ihre Besessenheit hinein, dass selbst einem durchaus wohl gesonnenen Polizisten (Karl Fischer) keine andere Wahl bleibt, als sie in die Psychiatrie einweisen zu lassen.

Wien erlebt hier den heißesten Sommer seit Jahren

Selbst eine stilistisch und handwerklich nicht weiter aus dem Rahmen fallende Umsetzung hätte aus dem vorzüglichen Drehbuch vermutlich eine fesselnde Serie gemacht, aber Nina Vukovics Inszenierung ist mindestens kongenial. Allein die preiswürdige Bildgestaltung ist ein Genuss: Wien erlebt den heißesten Sommer seit Jahren. Kameramann Pascal Schmit hat den Aufnahmen daher einen mediterranen Look gegeben: Die Bilder werden von leicht verblassten Pastelltönen dominiert, als habe die Sonne die Farben verblassen lassen. Je mehr sich Norahs Suche nach der Wahrheit zur Zwangsvorstellung entwickelt, desto stärker macht ihr die Hitze zu schaffen.

Für die Schweizerin Deleila Piasko ist die Hauptrolle dieses auch über viereinhalb Stunden nonstop packenden Psychothrillers eine Herausforderung, von der vermutlich jede Schauspielerin ihres Alters träumt. Die facettenreiche Figur umfasst ein Spektrum, das vom anfänglichen demonstrativen Selbstbewusstsein einer erfolgreichen Journalistin bis zur kompletten psychischen und physischen Demontage reicht.

„Der Schatten“: ZDF Mediathek