Überzeugter Christ: Tobias Merckle Foto: Seehaus Leonberg

Der Gründer des Seehaus-Vereins für straffällig gewordene Jugendliche erzählt aus seinem Leben. Sein Vater war Adolf Merckle, der Pharma-Unternehmer aus Blaubeuren.

Was treibt ihn an, den Gründer des Seehaus-Vereins, der sich seit vielen Jahren für einen anderen, offenen Jugendstrafvollzug einsetzt? Viele Interessierte wollten das von Tobias Merckle selbst hören. Unter den Zuhörern auch junge Strafgefangene und Seehaus-Beschäftigte, den Saal des Glemseck-Hotels. Das Anwesen ist inzwischen eine 100-Prozent-Tochter der Hoffnungsträger-Stiftung, die Tobias Merckle im Jahr 2013 gegründet hat.

„Ich will Menschen helfen und der Glaube, der spielt dabei auch eine große Rolle“, sagt Tobias Merckle ganz ruhig. Der 51-Jährige ist das jüngste von vier Kindern des Pharma-Unternehmers Adolf Merckle aus Blaubeuren. Tobias Merckle erwähnt das nicht, aber natürlich ist seine Herkunft nicht nur in Leonberg bekannt. Trotzdem hat vielleicht genau diese Herkunft den Grundstein für sein späteres Tun gelegt?

Daheim wurde über Themen wie Verantwortung für das Unternehmen, die Gesellschaft und die Mitarbeiter gesprochen. „Das hat mich unheimlich geprägt“, erzählt er. Wichtig sei auch das christliche Elternhaus gewesen, die Mutter habe sich in der Kirche engagiert. Seinem Publikum zeigt er Fotos, wie er selbst in der Jungschar, im Posaunenchor und in kirchlichen Jugendgruppen aktiv war. Prägend für ihn sei ebenfalls ein soziales Jahr in den USA gewesen, wo er Einblicke in den Strafvollzug in den Gefängnissen erhielt. „Ich hab‘ gedacht, das kann es nicht sein, ich möchte etwas ändern, eine Alternative zu dieser Art von Strafvollzug schaffen“, erzählt er. Geprägt habe ihn auch ein „Berufungserlebnis“ beim Studium der Bibel. „Da war mir klar, das ist mein Weg“, so Tobias Merckle.

Schlüsselerlebnis Strafvollzug in den USA

In den USA kam er in Kontakt mit Prison Fellowship International, einer Organisation, die auf der Basis christlicher Werte Gefangenen, Haftentlassenen, Opfern von Kriminalität und ihren Familien hilft. Mit dieser Organisation war er nach dem Studium der Sozialpädagogik in vielen Ländern unterwegs und sah katastrophale Zustände in Gefängnissen, beobachtete aber auch positive Veränderungen durch gezielte Hilfsprogramme. Dies sei eine super Vorbereitung für seine spätere Arbeit gewesen, betont er.

Zunächst herrscht Skepsis bei der Gründung des Seehauses

Das Engagement in Leonberg begann im Jahr 2003, nachdem er 2001 den Verein Seehaus gegründet hatte, dessen geschäftsführender Vorstand er ist. Ziel war von Anfang an ein Jugendstrafvollzug in einer freien Form als Alternative zum herkömmlichen Strafvollzug, für junge Straftäter von 14 bis 23 Jahren. „Unser Start hier war nicht einfach“, erzählt er. Viele Leonberger hätten Angst gehabt und seien gegen eine solche Einrichtung gewesen. Doch der OB und fast der gesamte Gemeinderat hätten das Projekt befürwortet, so Merckle. „Ohne das wäre es nicht gegangen.“ Die Haltung der Bevölkerung habe sich rasch geändert, weil man gesehen habe, dass einmal straffällig nicht immer straffällig bedeuten müsse.

„Wir sind zwar eine Anlage ohne Gitter und hohe Mauern, aber trotzdem eine geschlossene Einrichtung“, erklärt er. „Wir kommen den Jungs mit Vertrauen und Verantwortung entgegen.“ Welch große Bedeutung das hat, erzählt ein 20-Jähriger, der hier seine Haftzeit ableistet. Familiäre Beziehungen kenne er eigentlich nicht, er habe sie erst im Seehaus richtig erlebt, wo er mit einer Familie zusammenlebt und ihm von Anfang an Verantwortung übertragen wurde. „Ich bin unendlich dankbar, dass ich hier Menschen getroffen habe, die mir Vertrauen entgegenbringen“, erzählt er eindrücklich. „Die Chance hier zu sein, wünsche ich jedem Jugendlichen, auch wenn man manchmal an seine Grenzen kommt“, sagt er mit Blick auf den strammen Tagesablauf mit seinen vielen Regeln und dem wohl eher unbeliebten Frühsport morgens um 6 Uhr.

Tobias Merckle hat im Laufe der Jahre weitere Hilfsprojekte ins Leben gerufen. So entstand im Jahr 2011 in Sachsen, heute in Leipzig, ebenfalls ein Seehaus-Projekt. „Weil ich selbst mehr habe, als ich zum Leben brauche, kann ich es auch mit anderen teilen“, sagt er zur Gründung der Hoffnungsträger-Stiftung, die inzwischen 30 „Hoffnungshäuser“, etwa in Calw und Nagold, gebaut hat, in denen Flüchtlinge und Einheimische miteinander wohnen.