Nina Chuba ist dieses Jahr auf dem „Hurricane“- und dem „Southside“-Festival zu sehen. Foto: IMAGO/xcitepress/IMAGO/xcitepress

Ob Marteria, die Ärzte oder Peter Fox: Auf Musikevents wie „Hurricane“ und „Southside“ treten deutlich mehr Männer als Frauen auf. Aber es gibt Veränderungen in der Szene.

Wenn am Freitag die Schwester-Festivals „Hurricane“ in Scheeßel (Niedersachsen) und „Southside“ in Neuhausen ob Eck (Baden-Württemberg) beginnen, stehen vor allem Männer auf der Bühne. Als Headliner sind sogar nur Künstler wie Marteria, Peter Fox oder die Ärzte gebucht. Das gleiche gilt für das „Deichband“-Festival im Juli in Cuxhaven, das unter anderem auf K.I.Z. oder SDP als Hauptacts setzt.

Zuletzt gab es viel Kritik an der männlichen Dominanz, die Branche hat reagiert. Sängerinnen wie Nina Chuba, Lilly Palmer oder Badmómzjay zeugen auf dem „Hurricane“ und dem „Southside“ davon. „Tatsächlich sind all unsere Festival-Line-ups über die Jahre diverser geworden“, sagt Jonas Rohde vom Veranstalter FKP Scorpio. In der Vergangenheit habe der Anteil von Bands mit mindestens einer weiblichen Person zwischen 15 und 25 Prozent gelegen. Auf dem „Hurricane“ und dem „Southside“ liege er in diesem Jahr bei rund 31 Prozent.

Mit dieser Zählart - bereits eine Frau in einer fünfköpfigen Band erhöht die Quote - hält sich Rohde an die Vorgabe der Bewegung Keychance, die langfristig eine Gleichstellung der Geschlechter in der Musikindustrie erreichen will. Wer aber alle Interpreten und Bandmitglieder, die dieses Jahr in Scheeßel und Neuhausen ob Eck auf der Bühne stehen, durchzählt, kommt auf einen reinen Frauenanteil von rund 15 Prozent.

Carolin Kebekus organisierte 2022 rein weibliches Festival

Aus Protest gegen die Männerdominanz bei Rockspektakeln hatte die Komikerin Carolin Kebekus im vorigen Jahr ein rein weibliches Festival in Köln organisiert - nur einen Tag nach „Rock am Ring“ und „Rock im Park“. Tausende Zuschauerinnen und Zuschauer waren gekommen.

Jonas Rohde sagt, den Frauenanteil zu erhöhen, sei „nicht ohne Weiteres umsetzbar, solange es nicht genug relevante Namen in den für uns interessanten Genres gibt“. Insbesondere der Pool an Künstlerinnen, die als Headliner funktionierten, sei noch zu klein. Auch Lena Zielinski vom „Deichbrand“ sagt, dass die großen internationalen Frauen nicht bezahlbar und andere nicht groß genug seien, um als Headliner auftreten zu können. Auch würden viele weibliche Acts aktuell weniger Tickets verkaufen als bekannte nationale männlichen Acts. „Das muss und darf sich sehr gerne ändern“, betont Zielinski. Dafür seien viele Maßnahmen der gesamten Musikbranche erforderlich.

Anika Jankowski vom Netzwerk „Music S Women“ kennt die Argumente. Zwar gebe es tatsächlich im Bereich Rock prozentual weniger Musikerinnen als Musiker. „Aber wenn man will, kann man sie finden, auch als Headliner“, betont sie. Ihre Initiative bietet eine bundesweite Datenbank mit Musikerinnen an, um diese sichtbarer zu machen.

Änderung nicht „von jetzt auf gleich“

Aber sie weiß auch, dass sich nicht „von jetzt auf gleich“ etwas ändert. Für die Zukunft sei sie trotzdem „vorsichtig optimistisch“, sagt Jankowski. Als ein positives Beispiel nennt sie das „appletree garden“-Festival, das am ersten August-Wochenende 6500 Fans nach Diepholz in Niedersachsen lockt. „Das Line-up ist noch nicht komplett, aber am Ende werden die männlichen und weiblichen Acts ausgeglichen sein - und die gemischten kommen noch „on top““, sagt Veranstalterin Lisa Canehl. Sie räumt ein: „Das bedeutet auch ein bisschen mehr Arbeit, als wenn wir einfach drauflosbuchen würde.“ Besucherinnen und Besucher kleinerer Festivals würden es zudem eher akzeptieren, dass sie auch unbekanntere Künstlerinnen zu sehen bekommen. „Man muss sich auch trauen.“

Dass es weniger weibliche Musikgrößen gebe als männliche, liege auch daran, dass Frauen weniger gefördert würden. „Wenn man das nicht aufbaut, was man sucht, dann gibt es das auch nicht“, sagt Lisa Canehl. Das „appletree garden“-Festival habe Kate Tempest oder Aurora gebucht, als diese noch kaum jemand gekannt habe. „Und sie sind wiedergekommen als Headliner.“

Wettbewerb „Gamechanger“ sichert Gewinnerin einen Platz

Der Veranstalter FKP Scorpio hat das erkannt und erstmals den Wettbewerb „Gamechanger“ ins Leben gerufen, bei dem an die Gewinnerin ein Platz im Programm vom „Hurricane“ und vom „Southside“ vergeben wird. Mit dem Contest könnten nicht nur weibliche Newcomer gefördert werden, es werde auch Aufmerksamkeit für das Thema erzeugt, sagt Jonas Rohde. Gewonnen hat die Leipziger Songwriterin Karo Lynn.

Beim „Deichbrand“ wurde die „New Port“-Bühne aus der Taufe gehoben, knapp 70 Prozent der dort auftretenden Newcomer sind Frauen. So könnten die Musikerinnen neue Fans generieren, sagt Lisa Zielinski. „Je öfter Menschen gute Songs hören und live erleben, desto mehr steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie in den nächsten Jahren eine größere Fanbase anziehen, Tickets verkaufen - und irgendwann ein Festival auch headlinen können“, betont sie.