Die Mailänder Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Chiara Ferragni. Foto: IMAGO/ABACAPRESS/IMAGO/IPA/ABACA

Gegen die Influencerin Chiara Ferragni wird ermittelt. Ein Verdacht, der nicht nur die wirtschaftliche Kraft der jungen Frau zerstören könnte.

Vor Weihnachten war Chiara Ferragnis Leben noch in traumhaft schöner Ordnung. Wer ihr folgte, konnte sich davon überzeugen. Bis dahin nämlich teilte die italienische Influencerin auf ihrem Instagram-Kanal nahezu täglich Fotos und Videos aus ihrem Leben. So tanzte am 14. Dezember die zweijährige Tochter Vittoria mit grünem T-Shirt und rot-weiß gestreifter Hose und Zipfelmütze als Weihnachts-Elf durch den Schrank der Mutter. Der übrigens einer Abteilung in einem Luxuskaufhaus ähnelt. 29,5 Millionen Follower hatten teil an der niedlichen Vorweihnachtsszene. In der Kommentarspalte hagelt es Herzchen. Chiara verkörpert für viele das Idealbild der modernen Frau.

Kein Kuchen für Kinder

Doch kurz vor Heiligabend fällt ein Schatten auf das Idyll. Am 18. Dezember wird bekannt, die Staatsanwaltschaft Mailand ermittelt gegen Chiara Ferragni. Der Verdacht: schwerer Betrug. Ferragni und die Firma Balocco werden beschuldigt, Kommerz und Wohltätigkeit irreführend miteinander verwoben zu haben. Und das ist noch vorsichtig formuliert. 2022 hat Ferragni einen Weihnachtskuchen der Firma beworben. Der „Pandoro Pink Christmas“ war mit neun Euro etwa dreimal so teuer wie ein Gebäck dieser Art ohne Chiara-Ferragni-Etikett. In der Kampagne war von einer Spende die Rede, die krebskranken Kindern im Hospital Regina Margherita in Turin zugutekommen solle. Die Käufer mussten in Anbetracht des überteuerten Preises davon ausgehen, dass sie mit ihrem Kauf etwas Gutes tun. Ferragni soll mit der Kampagne etwa eine Million Euro verdient haben. An die krebskranken Kinder spendete sie davon genau nichts. Das Krankenhaus bekam zwar 50 000 Euro – allerdings vom Hersteller des Kuchens, und zwar unabhängig von den Verkaufszahlen des „Pandoro Pink Christmas“.

Am selben Tag erscheint der bislang letzte bleibende Beitrag auf Ferragnis Instagram-Profil. Sie zeigt darin nicht ihr bislang beneidenswert idyllisches Leben her. In einem grauen Kashmirpullover sitzt die Unternehmerin vor einer beigen Wand – und entschuldigt sich. Sie spricht von „Kommunikationsfehlern“ und „Missverständnissen“. Da will sie noch einfangen, was sich möglicherweise noch einfangen lässt.

Mutmaßlich hat es Ferragni seither mit erheblichen Verdienstausfällen zu tun. 60 000 bis 100 000 Euro soll sie von Firmen für einen einzigen Beitrag in den sozialen Medien kassiert haben. Allein im Dezember waren auf ihren Fotos und in den Videos Produkte der Marken Falconeri, Pantene, Alpro, Ghd, Prada oder Calzedonia zu sehen und verlinkt. Auch für Dior machte Ferragni des Öfteren Werbung oder wurde zumindest von Luxusmarken wie dieser ausgestattet – so ganz klar ist das oft nicht.

Sie lässt die Welt an ihrem Privatleben teilhaben

Große Kampagnen, die auch außerhalb der sozialen Medien platziert werden, machte die Unternehmerin etwa mit Nespresso und BMW. Bei der römischen Schuh-Luxusmarke Tod’s sitzt sie auch im Vorstand. In den vergangenen 15 Jahren hat die heute 36-Jährige ein regelrechtes Influencer-Imperium aufgebaut. 2009 hat sie neben ihrem Jura-Studium an der Mailänder Elite-Universität Bocconi den Modeblog „The Blonde Salad“ gestartet. 2011 hatte Ferragni bereits ihre erste eigene Schuhkollektion, 2015 erschien sie auf dem Cover der spanischen „Vogue“ – als erste Bloggerin in der Geschichte des einflussreichen Magazins. Als sie 2017 ihren ersten Laden mit Produkten ihrer eigenen Kollektion und sonstigem Merchandising in Mailand eröffnete, feierte die Chiara-Barbie von Mattel bereits zum ersten Mal Geburtstag.

Seit 2018 ist Ferragni mit dem italienischen Rapper Fedez verheiratet. Zusammen hat das Paar auf Instagram eine Reichweite von 44 Millionen Followern. Und die dürfen, vergleichbar mit den Kardashians in den USA, an nahezu jedem Aspekt des Lebens der „Ferragnez“ teilhaben. So gibt es beispielsweise eine Reality-Serie, die ebendiesen Mixnamen trägt.

In Italien ist Chiara eigentlich immer Thema: Ist sie schwanger? Oder ist sie wieder einmal zu dünn? Isst sie überhaupt etwas? Ist sie noch mit Fedez zusammen? Sobald bei den Ferrangnez etwas im Argen ist, ist quasi das halbe Land in einer Beziehungskrise. Seit 2022 bekannt wurde, dass bei Fedez ein Tumor in der Bauchspeicheldrüse diagnostiziert wurde, ist die Sorge um ihn groß. Erst im Herbst musste der 34-Jährige wieder operiert werden – auch dieses Schicksal wird mit der Welt geteilt, wie auch die Fortschritte der Paartherapie.

Bei den Ferrangez verschwimmen also nicht nur Kommerz und Wohltätigkeit. Auch Privates wird monetarisiert, da es Reichweite bringt, was bedeutet, dass es bares Geld einspielt. Neu ist, dass sich das Paar seit einiger Zeit auch immer wieder in gesellschaftspolitische Debatten einmischt. So präsentiert Ferragni sich zwar als Model, Werbefigur und Unternehmerin, aber auch als liebende Mutter. Der fünfjährige Leone und die zweijährige Vittoria scheinen der Mittelpunkt ihrer perfekten Welt zu sein und sind bereits Teil der Unternehmensstrategie. Zudem wandelte sich Ferragni in den vergangenen Jahren zur Feministin.

Fotos von ihr in freizügiger Designermode ziehen daher stets Hasskommentare von irgendeiner Seite an, beispielsweise: „Du solltest dich schämen, dich als Mutter so zu zeigen.“ Ferragni heizt das selbst an. Als sie im Februar 2023 das Musikfestival von Sanremo moderierte, nutzte sie das über fünf Abende dauernde TV-Superereignis für politische Statements. In einem hautengen Kleid von Dior, auf dem ihr nackter Körper abgebildet war, hielt sie einen feministischen Monolog, über den das Land wochenlang diskutieren sollte.

Auch jetzt ist Chiara Ferragni wieder einmal das Topthema in Italien. Allerdings nicht zum Nutzen der Influencer-Ikone oder des Bildes der modernen Frau. In ihrem Büßer-Video, das sie kurz vor Weihnachten veröffentlichte, kündigte sie an, eine Million Euro an das besagte Krankenhaus in Turin spenden zu wollen. Kurz zuvor war sie von der italienischen Wettbewerbsbehörde bereits mit einer Geldbuße in gleicher Höhe wegen der irreführenden Verbindung von Kommerz und Wohltätigkeit abgestraft worden. Die Firma Balocco, die den Weihnachtskuchen auf den Markt gebracht hatte, soll 440 000 Euro Strafe zahlen.

Glaubwürdigkeit verspielt

Damit ist die Sache aber noch lange nicht vom Tisch, wie nun die Anklage der Staatsanwaltschaft Mailand zeigt. Italienische Medien spekulieren bereits darüber, dass die Ermittlungen gegen Ferragni ausgeweitet werden könnten: Denn mit Ostersüßigkeiten gab es ähnliche Verknüpfungen zu Wohltätigkeitsaktionen. Außerdem könnte sich der Skandal noch ausweiten. Eine Kette mit einem Anhänger in Regenbogenfarben und die Puppe „Trudi“, die im Kampf gegen Mobbing helfen sollte, stehen gleichsam auf dem Prüfstand.

Die Unternehmen von Chiara Ferragni dürften dadurch herbe Verluste einfahren. Denn Glaubwürdigkeit ist schließlich die höchste Währung im Influencer-Geschäft. Coca-Cola hat bereits ein Video mit Ferragni zurückgezogen. Es hätte während des kommenden Sanremo-Festivals ausgestrahlt werden sollen, also quasi während Italiens Superbowl-Halbzeit.

Auf ihrem Instragram-Account wurde seit dem 18. Dezember nichts mehr gepostet, das sichtbar blieb. Seit einigen Tagen aber ist Chiara Ferrgani zumindest in Storys wieder präsent. Mit Fotos und Videos ihrer Kinder oder von sich, sanft lächelnd, mit einem Blumenstrauß in der Hand. Diese Storys verschwinden aber kommentarlos nach 24 Stunden wieder von der Bildfläche. Ein Schicksal, das nun auch dem Unternehmen Chiara Ferragni drohen könnte.