Das Sindelfinger Sinfonieorchester bei seinem Jubiläumskonzert zum 60. Geburtstag im Oktober 2020. Foto: Eibner/Jürgen Biniasch

Mit Mozart, Márquez und Rimsky-Korsakov verabschiedet sich am Sonntag der Dirigent Christian Ruetz. Im Interview spricht er über seinen Weg nach Sindelfingen, die Arbeit mit dem Sinfonieorchester und die Herausforderungen beim Dirigieren.

Das Konzert des Sinfonieorchesters Sindelfingen am kommenden Sonntag in der Stadthalle ist das letzte des Dirigenten Christian Ruetz, der sich nach vier Jahren verabschiedet. Der scheidende Orchesterleiter über seine schönsten Erinnerungen und die ständige Herausforderung, Nähe zum Publikum herzustellen.

Herr Ruetz, Kinder oder junge Menschen wollen in der Regel nicht Dirigent werden. Was hat bei Ihnen dazu geführt, dass Sie heute als Dirigent arbeiten?

Auch bei mir stand dieser Berufswunsch nicht an erster Stelle. Eher war für mich der spielerische Umgang mit Musik im Vordergrund. Diese Herangehensweise prägt mich bis heute. Erst im Laufe meines Studiums der Jazz- und Popularmusik an der Musikhochschule Stuttgart kristallisierte sich der Wunsch heraus, mehr über das Dirigentenhandwerk zu lernen und eigene musikalische Ideen mit einem Ensemble umsetzen zu können. Das war der Ausgangspunkt für eine vertiefte Beschäftigung mit dieser Materie.

Gerade nach der Corona-Durststrecke stehen auch etliche Musiker vor ernsten, existenziellen Problemen. Sind Sie da eine Ausnahme?

Anders als viele freischaffende Kolleginnen und Kollegen hatte ich das Glück, eine halbe Stelle als Gymnasiallehrer zu haben, sodass mich existenzielle Sorgen in dieser Zeit nicht beschäftigten. Vielmehr stand als verantwortlicher Ensembleleiter immer die Frage im Raum, wie sich ein Kontakt, auch auf musikalischer Ebene, mit den Musikerinnen und Musikern aufrecht erhalten lässt, um als Ensemble über diese Zeit zu bestehen. Hier Lösungen zu finden, empfand ich als sehr herausfordernd und als horizonterweiternd.

Wie viele Ensembles haben Sie schon geleitet, was hatte sie ausgerechnet nach Sindelfingen geführt?

Schon zu Schulzeiten habe ich kleine Ensembles geleitet. Zu Beginn meines Studiums leitete ich zunächst Blasorchester, später sammelte ich dann viele Erfahrungen bei unterschiedlichsten Ensembles im süddeutschen Raum. Die Stelle beim Sinfonieorchester Sindelfingen reizte mich vor allem deshalb, da es als junger Dirigent nicht so viele Möglichkeiten gibt, regelmäßig mit einem so leistungsstarken Orchester zu proben und dabei unglaublich viel lernen zu können. Darüber hinaus arbeite ich meist projektbezogen mit Ensembles zusammen.

Was haben Sie vor, wenn Sie das Sindelfinger Orchester verlassen haben? Streben sie eine Vollzeitanstellung an?

Zunächst werde ich, da sich meine Partnerin wieder stärker beruflich engagieren wird, mehr für meine Familie da sein. Was sich nach dieser Zeit ergibt, habe ich nicht geplant. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass sich neue Türen im dirigentischen Bereich öffnen werden.

Was war das schönste Erlebnis hier?

In Erinnerung bleiben wird mir, neben vielen anderen tollen gemeinsamen Erlebnissen, das Ende unserer Aufführung von Tschaikowskis 5. Sinfonie. Hier generierten wir einen sehr dichten und fokussierten Orchesterklang. Nach dem Schlussakkord blieb eine spannungsvolle Stille, in der die Verbindung von Publikum und Orchester förmlich greifbar wurde. Der anschließende volle und warme Applaus war ein Genuss.

Was ist die wichtigste Charaktereigenschaft für einen Dirigenten? Gibt es da Unterschiede zwischen Chören und Orchestern?

Das ist eine schwierige Frage. Sicherlich steht der Wille zur Gestaltung im Vordergrund. Für mich persönlich ist es dann wichtig, auf dem Weg zu einer Interpretation das gesamte Ensemble einzubinden und als Gemeinschaft zu formen. Nur so kann in meinen Augen ein ausgewogener, aus der Vielzahl seiner Teile gebildeter einheitlicher Klang entstehen. Dieser Prozess ist für mich bei Chören wie bei Orchestern eigentlich derselbe. Nur das Handwerk, also die spezifischen Anforderungen bei Chor oder Orchester, unterscheidet sich dabei.

Es gibt immer weniger Publikum für klassische Musik. Sehen Sie als Dirigent Erneuerungsmöglichkeiten der Konzertform? Sie wenden dem Publikum ja immer den Rücken zu . . .

Das ist und bleibt eine große Aufgabe. In vielen Sälen weltweit sind die Bühnen ja inzwischen mittig angeordnet, um ein Gefühl von Nähe zwischen Publikum und Ensemble zu generieren. Die Barriere „Bühne“ muss also immer wieder neu betrachtet und durchaus kritisch hinterfragt werden. Ansonsten ist mir wie auch dem Sinfonieorchester Sindelfingen die Zusammenarbeit mit jungen Musikerinnen und Musikern wichtig, um Verbindungen zu knüpfen, sich zu vernetzen und an Schule und Musikschule anschließende Musiziermöglichkeiten aufzuzeigen. Im Konzert an diesem Sonntag werden wir ein Stück zusammen mit vielen Jugendlichen aus dem Symphonieorchester des Böblinger Albert-Einstein-Gymnasiums spielen. Es ist ein fantastisches Gefühl, wenn sich zwei Klangkörper musikalisch verbinden.

Mozart, Rimsky-Korsakov und Marquez

Programm
Das Sinfonieorchester Sindelfingen präsentiert „1000 & 1 Nacht“ am Sonntag, 23. Oktober, um 19 Uhr in der Stadthalle Sindelfingen. Neben der Ouvertüre zu Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ steht auch sinfonische Dichtung „Scheherazade“ von Rimsky-Korsakov auf dem Programm. Eingebettet zwischen den beiden Werken wird im Rahmen des Projekts „Neustart Amateurmusik“ der Danzon No. 2 von Arturo Marquez erklingen.

Neustart Amateurmusik
Bei diesem Projekt wirken Schüler der Musikschulen im Landkreis Böblingen sowie Mitglieder des Albert-Einstein-Gymnasiums Böblingen mit. Zunächst erarbeiten Lehrer mit ihren Schülern das Werk, proben dann zusammen mit dem Sindelfinger Sinfonieorchester und führen es gemeinsam auf.

Einführung
Eine Konzerteinführung gibt es um 18 Uhr, das Konzert selbst beginnt um 19 Uhr. Die Leitung hat Christian Ruetz. Der Dirigent hat sich entschieden, die Orchesterleitung nach diesem Konzert abzugeben.

Kartenvorverkauf
beim i-Punkt in Sindelfingen, Telefon 0 70 31 / 94-325, E-Mail: i-punkt@sindelfingen.de, und bei Reservix. Eintrittspreise 20/17/12 Euro, für Schüler und Studenten 8 Euro.