Das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill sollte auf die EU-Sanktionsliste. Ungarns Premier Orban hat das mit einem Veto verhindert. Foto: dpa/Vadim Ghirda

Wegen des Widerstands des ungarischen Premiers wird es keine Sanktionen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill geben. Viele Europaparlamentarier sind empört und verlangen nun Konsequenzen aus der Blockadepolitik.

Viktor Orban kann sich als großer Sieger fühlen. Die EU verzichtet wegen des Widerstands von Ungarn vorerst auf Sanktionen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill. Das sechste EU-Sanktionspaket, in dem auch ein weitgehendes Öl-Embargo enthalten ist, wurde am Donnerstag von Vertretern der EU-Staaten ohne die eigentlich geplante Strafmaßnahme gegen Kirill gebilligt. Der sollte nach dem Willen der anderen EU-Staaten wegen seiner Unterstützung für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auf die Sanktionsliste der EU kommen.

Wieder hat Orban die Union vor den Kopf gestoßen. Hatte er sich zuerst gegen das Öl-Embargo gestemmt, forderte er plötzlich, auf die geplanten Strafmaßnahmen gegen den Patriarchen zu verzichten. Die Staats- und Regierungschefs hatten sich nach wochenlangem Streit Anfang dieser Woche auf das sechste Sanktionspaket gegen Russland geeinigt. Das war allerdings nur möglich, weil Ungarn überaus großzügige Ausnahmen bei der Öl-Versorgung des Landes zugestanden wurden und Orban sein Veto daraufhin zurückzog. Er hatte erreicht, dass die Lieferungen über Pipelines vorerst von dem Einfuhrstopp ausgenommen werden.

Der russische Patriarch steht hinter Putins Kriegskurs

Patriarch Kirill war wegen seiner großen Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin ins Visier der EU geraten. Auch nach dem Überfall auf die Ukraine rückte er von seiner Position nicht ab. Unbeeindruckt stellte sich der 75-Jährige in seinen Predigten immer wieder hinter den Kriegskurs und behauptete zuletzt sogar, dass Russland noch nie ein anderes Land angegriffen habe. Konkret würden Sanktionen gegen Kirill bedeuten, dass der Geistliche nicht mehr in die EU einreisen darf. Zudem müssten möglicherweise von ihm in der EU vorhandene Vermögenswerte eingefroren werden. Für seine Ergebenheit gegenüber dem Kreml riskiert der Patriarch sogar die Spaltung der orthodoxen Kirche. Jüngst hat die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats ihre „völlige Selbstständigkeit und Unabhängigkeit“ von Moskau verkündet.

Im Europaparlament wird das Verhalten des Premiers inzwischen mit völligem Unverständnis quittiert. Es sei „unglaublich“, dass Orban nach dem schwierigen Kompromiss zum Öl-Embargo nun noch einmal nachgelegt hat, kommentiert Grünen-Politiker Daniel Freund. Er vermutet, dass der Premier verärgert ist, dass er trotz der Veto-Drohung nicht das erhoffte Geld aus Brüssel erhalten hat. Orbans Verhalten zeige aber deutlich, erklärt Daniel Freund: „Es geht ihm nicht um Europäische Solidarität, sondern darum Sand ins Europäische Getriebe zu streuen.“

Katarina Barley will Ungarn das Stimmrecht in der EU entziehen

Auch Markus Ferber kann seinen Ärger nur schwerlich bremsen. „Es ist nicht akzeptabel, wie sich Orban hier als Nimmersatt geriert“, schimpft der Europaparlamentarier von der CSU. „Von den anderen 26 Mitgliedstaaten braucht es nun endlich ein Zeichen, dass man sich die Obstruktionspolitik von Orban nicht mehr lange gefallen lässt.“ Beide Politiker sind sich einig, dass die Entscheidungsprozeduren in der EU grundsätzlich überdacht werden sollten und etwa die Einstimmigkeit auf den Prüfstand gehöre.

Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, fordert sogar, Ungarn das Stimmrecht in der EU zu entziehen. Das Land missbrauche das Einstimmigkeitsprinzip in der EU als Erpressungsmittel, sagte die SPD-Politikerin „MDR Aktuell“. Das Stimmrecht eines Landes könne wegen Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit ausgesetzt werden, erläutert Barley. „Gerade in Ungarn kann man von demokratischen und rechtsstaatlichen Verhältnissen nicht mehr sprechen.“ Ministerpräsident Orban habe das Land „Stück für Stück komplett in seine Hände gebracht“.

In Brüssel wird gerätselt, was den Premier motiviert, die Sanktionen gegen den russischen Patriarchen abzulehnen – außer mehr Geld für das eigene Land herausschlagen zu wollen. Nach Angaben der EU leben in Ungarn kaum Anhänger der russisch-orthodoxen Kirche. Die große Mehrheit der Gläubigen ist katholisch. Die ungarische Regierung schwingt sich in diesem Fall allerdings zur Verteidigerin der Religionsfreiheit insgesamt auf. Tristan Azbej, der Staatssekretär für die Unterstützung verfolgter Christen, erklärte auf dem Internetportal „Ungarn heute“ schon vor einigen Tagen, dass er „kontraproduktive, unsinnige Sanktionen als schädlich ansieht“. Er fügte dann hinzu, dass der „verrückte“ Vorschlag der EU, dem Patriarchen die Einreise in die EU zu verbieten, die Gläubigen von ihrem geistlichen Anführer isolieren würde.