Im thüringischen Sonneberg stellt die AfD ihren ersten Landrat. Foto: /Jacob Schröter

Die Wahlerfolge der AfD? Waren nur ein Ausdruck von Protest, sagen viele Politiker. Doch die Extremismusforscherin Pia Lamberty ist sich sicher: Es gibt eine andere Erklärung.

Warum stimmen Leute für die AfD? Seitdem die Partei die Landratswahl im thüringischen Sonneberg gewonnen hat und ihre Umfragewerte steigen, wird darüber viel diskutiert: Ist das Protest oder Überzeugung? Die Extremismusforscherin Pia Lamberty hat darauf eine klare Antwort – und sie hat Lösungsvorschläge.

Frau Lamberty, Sie vertreten die These, dass die Wählerinnen und Wähler der AfD aus rechtsextremer Überzeugung für die Partei stimmen – nicht aus Protest. Warum denken Sie das?

Das weiß man aus Untersuchungen. Bei AfD-Wählerinnen und -Wählern finden sich überdurchschnittlich häufig menschenverachtende Positionen. Es gibt zum Beispiel eine Befragung von der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2021, die zeigt: Zwei Drittel der Leute, die die AfD wählen, sind manifest rassistisch eingestellt. Vergleicht man das mit der Gesamtbevölkerung, sind die Werte mehr als doppelt so hoch. Bei ihnen finden sich besonders oft geschlossene rechtsextreme Weltbilder oder der Hang zu Verschwörungsglauben. Das heißt aber nicht, dass alle AfD-Wählerinnen und -Wähler rechtsextrem sind.

Sondern?

Der Politologe Marcel Lewandowsky hat dafür ein passendes Bild gefunden: eine Zwiebel. Es gibt einen festen rechtsextremen Kern in der AfD-Wählerschaft. Um ihn herum liegen unzählige Schichten und Stufen antidemokratischer Haltungen. Viele dieser Leute sind rassistisch oder sexistisch eingestellt, bei anderen findet sich ein ausgeprägter Verschwörungsglaube. Sie entscheiden sich für die AfD, weil sie ihre Haltungen in der Partei wiederfinden.

Aber ein paar Protestwähler gibt es doch ?

Einzelne gibt es sicher, aber generell kann man sagen: Wer die AfD wählt, sieht jedenfalls kein Problem in ihr. Sonst könnte man sich für andere Parteien entscheiden, um seinen Protest auszudrücken. Die Linke zum Beispiel – oder die Satirepartei Die Partei. Man stimmt nicht zufällig für die AfD. Wer sie wählt, hat mindestens eine Grundsympathie.

Wie schafft es die Partei, Leute für sich zu gewinnen?

Die AfD punktet gerade jetzt mit rassistischen Narrativen, weil viel über Flucht und Migration diskutiert wird. Wer rassistisch eingestellt ist, hat einen konkreten Anlass, der Partei seine Stimme zu geben – denn die AfD sieht in Zuwanderung nur eines: ein Problem. Außerdem hat die AfD gelernt, Wut zu politisieren und zu radikalisieren.

Das müssen Sie erklären.

Sobald es Ärger gibt, entwickelt die AfD daraus ein politisches Thema. Das hat man zum Beispiel im vergangenen Winter gesehen, als viele Leute Angst vor der Energiekrise hatten. Solche Probleme – von denen es in Krisenzeiten viele gibt – schnappt sich die AfD, um sie ins Extreme zu verzerren. Sie muss dabei nicht mal Lösungen anbieten. Ihr reicht das Drama. Es gibt eine Aufnahme vom AfD-Bundestagsabgeordneten Harald Weyel. Da sagt jemand zu ihm, dass die Zustände bestimmt dramatisch werden und er entgegnet: „Wenn’s nicht dramatisch genug wird, dann geht’s so weiter wie immer.“ Die AfD weiß Krisen für sich zu nutzen.

Gerade folgt eine Krise auf die nächste. Wie sollte man in solchen Zeiten mit der AfD umgehen?

Als erstes müssen wir aufhören, die hohen Zustimmungswerte der AfD wegzureden. Nicht, um in Panik zu verfallen – sondern für eine gute Analyse und um dem etwas entgegenzusetzen. Wir sind antidemokratischen Tendenzen nicht ausgeliefert. Dagegen kann man etwas tun.

Was denn?

Wir müssen auf lokaler Ebene ansetzen. In vielen Orten gibt es Initiativen, die sich für Demokratieförderung einsetzen. Das ist gerade in der Jugendarbeit wichtig. Aktuell gibt es meist nur eine Förderung für wenige Jahre. Das muss dringend geändert werden, weil solche Projekte nur langfristig wirken können. Deshalb ärgert es mich, dass das Demokratiefördergesetz noch immer nicht verabschiedet wurde. Wir brauchen aber mehr Lokaljournalismus. Wenn über Probleme vor Ort nicht mehr berichtet wird, wenden sich die Leute von der Presse ab – und von der Demokratie.

Besonders in Ostdeutschland sind viele Menschen bereit, der AfD ihre Stimme zu geben. Wie erklären Sie das?

Das zeigt für mich, dass die Demokratie dort Schwachstellen hat, die nie richtig angegangen wurden. Dort, wo nicht genau hingeschaut wird, können sich antidemokratische Tendenzen leichter verbreiten. Auch hier würde ich sagen: Demokratie passiert vor Ort. Und wenn der Jugendclub vor Ort von Rechten eröffnet wird, dann gehen die Jugendlichen eben dorthin. Genau hier muss man andere Angebote schaffen. Wir müssen diejenigen unterstützen, die sich vor Ort für die Demokratie einsetzen.

Zur Person

Sozialpsychologin Pia Lamberty, Jahrgang 1984, ist Sozialpsychologin. Sie forscht zu Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien.

Thinktank
 Lamberty arbeitet am Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMas), einer gemeinnützigen Organisation, die sie 2021 mitgegründet hat und in dessen Geschäftsführung sie auch sitzt. Es handelt sich um einen Thinktank, der sich unter anderem mit Desinformation und Rechtsextremismus im Internet beschäftigt.