Ein Erpresserbrief unter dem Mikroskop Foto: Imago/Jochen Tack

Bei polizeilichen Ermittlungen oder der Suche nach geeigneten Mitarbeitern können handgeschriebene Dokumente hilfreich sein. Davon gibt es aber immer weniger. Das bedauern auch Hirnforscher: Wer tippt, denkt weniger nach und merkt sich weniger.

„Schreiben ist leicht. Man muss nur die falschen Wörter weglassen“, sagte einst Mark Twain, aber ganz so einfach ist es dann leider doch nicht. Sonst wären nicht 6,2 Millionen Menschen allein in Deutschland Analphabeten. Weltweit sind es gar 781 Millionen.

Die Spracherkennung im Handy macht es Leuten, die nicht lesen, geschweige denn schreiben können, leicht. Aber was, wenn Technik oder Strom mal ausfallen? Was, wenn man nicht einmal mehr „Hilfe“ auf ein Pappschild schreiben könnte?

Schreiben lernen kann also überlebenswichtig werden, ist außerdem Zeichen von Zivilisation und Ausdruck von Persönlichkeit, denn kein Mensch schreibt wie ein anderer. Versucht er es doch einmal, vielleicht sogar mit böser Absicht, dann können Experten dem auf die Schliche kommen.

Stammt das Testament wirklich vom Erblasser?

„Manche denken, das Fälschen einer Schrift sei leicht, aber es gibt eine ganze Reihe von Schriftmerkmalen, die ein Laie gar nicht kennt“, erklärt Angelika Seibt, Schriftsachverständige, Schriftpsychologin und Autorin des Buches „Sprache der Handschrift“. Seibt erklärt: „Zum Beispiel achtet ein Fälscher bei Pausfälschungen nicht auf den Druckverlauf, oder er setzt den Stift an Stellen ab, an denen der Verfasser ihn nicht absetzen würde.“

So kann Seibt beispielsweise im Nachhinein erkennen, ob ein Testament tatsächlich vom Erblasser verfasst wurde oder ob ein anderer Hand angelegt hat.

Handschrift ist fast wie ein Fingerabdruck

Mithilfe von Stereomikroskopen oder Oberflächenmessgeräten kann sie außerdem erfassen, ob Daten nachträglich geändert oder ein paar Nullen an einen Geldbetrag angehängt wurden. So mancher Erbonkel würde sich im Grabe umdrehen, wüsste er, wie Hinterbliebene tricksen, um ans Vermögen zu kommen. Aber auch die Polizei bedient sich der Schriftkunde, wenn es beispielsweise gilt, ein anonymes Schreiben oder einen Erpresserbrief zu identifizieren.

Jede Handschrift ist einzigartig, ähnlich unserem Fingerabdruck. Die Persönlichkeit lebt in den Details. Doch ist nicht jedem Schreibenden eine schöne Handschrift gegeben. Mit Grauen denkt so mancher an seine Schriftnote zu Schulzeiten zurück. Hat er sich doch solche Mühe gegeben, und heraus kam doch nur Gekritzel und eine Vier.

Unleserlich? Intelligent!

Das war damals ärgerlich, aber heute kann man sich mit der Erkenntnis trösten, dass eine unleserliche Handschrift oftmals für etwas Beneidenswertes steht: Intelligenz. Beispielsweise zu sehen an der Sauklaue eines Mediziners. Das Gehirn arbeitet vermutlich so flott, dass die Hand mit dem Schönschreiben kaum hinterherkommt.

„Ein chaotisch wirkendes Schriftbild lässt außerdem überdurchschnittliche Kreativität vermuten, denn Kreativität bedeutet Unkonventionalität“, sagt Seibt. „Wenn jemand demgegenüber sehr schön schreibt, weist dies auf ein ästhetisches Bewusstsein hin.“

Zwar schreiben wir mit der Hand, aber das Gehirn ist dabei Dreh- und Angelpunkt, denn unsere Motorik wird vom Hirn im Zusammenspiel mit Rückenmark und Muskeln gesteuert. Nervenzellen leiten Informationen weiter, sodass Geschriebenes überhaupt erst begriffen werden kann. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen Handschrift und Getipptem im Computer.

Länder wie Finnland verzichten bereits auf das Erlernen von Schreibschrift in der Schule und konzentrieren sich auf das Bedienen von Tastaturen. In Deutschland wird nach wie vor die lateinische oder die vereinfachte Ausgangsschrift in den Grundschulen gelehrt, aber auch hierzulande löst das Digitale mehr und mehr das Manuelle ab.

Die Folgen sind verheerend, findet Professor Manfred Spitzer, Neurowissenschaftler, Psychiater und Autor von „Digitale Demenz“. Spitzer weiß: „Wer sich etwas mit der Hand aufschreibt, der merkt es sich besser, als wenn er es tippt. Das Training der Feinmotorik beim Schreiben hat einen Einfluss auf die genaue Wahrnehmung von Mustern. Das Tippen führt zu weniger Nachdenken über die Inhalte, wohingegen das handschriftliche Erstellen von Notizen das Nachdenken und damit die Tiefe der Verarbeitung der Inhalte steigert.“

Den Bildschirm generell zu verteufeln, wäre falsch. Mit Googeln lässt sich Wissen hervorragend erweitern, doch: Nur wer schon etwas weiß, kann auch eine passende Frage im Suchfeld formulieren. Hinzu kommt, laut Spitzer, dass Informationen aus dem Internet – im Vergleich zu denen aus Buch, Zeitung oder Zeitschrift – am wenigsten im Gedächtnis bleiben.

Krankheit kann das Schriftbild verändern

So man denn nun das Schreiben beherrscht, behält eine Handschrift ein Leben lang ihre charakteristischen Merkmale. Allerdings kann sich das Schriftbild durch Lebensumstände verändern.

Nicht nur Alkohol- und Drogenrausch lassen eine Schrift verkümmern, oftmals deuten unleserliches Gekrakel, kleiner werdende Buchstaben oder ein zittriges Schriftbild auf Erkrankungen des Nervensystems wie Demenz oder Parkinson hin.

Auch bei der Personalsuche bedient man sich der Handschriftenanalyse. Sucht ein Chef beispielsweise eine angepasste, nicht zu aufmüpfige Assistentin, dann kann eine Schriftprobe helfen, die passende Bewerberin zu finden.

Dominante Schrift, dominante Persönlichkeit

Sperrige, unregelmäßige und dominante Schriften deuten auf ebensolche Persönlichkeiten hin. Da könnten im Büro schnell mal die Fetzen fliegen. Eine ausgewogene und rhythmische Schrift würde dagegen, rät die Schriftsachverständige Seibt, einem solchen Chef besser gefallen.

Mal von allem Praktischen abgesehen, ist ein Liebesbrief nur halb so schön, wenn er nicht handschriftlich verfasst wurde, und eine E-Mail aus dem Urlaub ersetzt keineswegs eine Postkarte. Handgeschriebenes schafft Emotionen.

Nun muss man nur noch darauf achten, nicht allzu viele Orthografie- und Grammatikfehler zu machen, denn die automatische Rechtschreibprüfung gibt es leider nur online.