Andreas Renner steht wegen sexueller Nötigung vor Gericht. Foto: lichtgut/Julian Rettig

Freispruch oder ein Schuldspruch, der den Inspekteur seinen Beamtenstatus kosten kann? Das entscheidet sich am 13. Sitzungstag im Verfahren am Landgericht.

Es ist für Ricarda Lang und ihr Team vom ersten Tag an keine Frage gewesen, was sie am Ende der Beweisaufnahme im Verfahren gegen ihren Mandanten, den Inspekteur der Polizei Andreas Renner, fordern würde: Es kam für sie von vorneherein nur ein Freispruch infrage. Das verbreitete sie, noch bevor das Verfahren überhaupt eröffnet war, auf knallgelbes, extra starkes Papier gedruckt als Pressemitteilung. Auch waren für sie die tatsächlich Schuldigen von Anfang an klar: zum einen die Nebenklägerin, der sie attestierte, bewusst immer wieder den Kontakt zu älteren höher gestellten Männern gesucht zu haben. Zum anderen die Medien, die ihren Mandanten, den ranghöchsten uniformierten Polizisten im Lande, vorverurteilt hätten.

Staatsanwaltschaft fordert 15 Monate auf Bewährung

Aber am vergangenen Freitag zeigte sich, wie stark die Sichtweisen in dem Fall dann doch auseinanderliegen. Die Plädoyers wurden gehalten. Nicht öffentlich, und somit ist nur eins bekannt: Die Staatsanwaltschaft sieht die Anklage bestätigt und fordert ein Jahr und drei Monate Haft zur Bewährung. Die Nebenklage schloss sich inhaltlich der Staatsanwaltschaft an, stellte aber ihrerseits keine Forderung nach einem Strafmaß. Renner soll nach einem Personalgespräch mit einer 16 Jahre jüngeren Hauptkommissarin mit dieser noch in eine Kneipe gegangen sein. Bei einem Gang vor die Tür soll er sie genötigt haben, ihn im Intimbereich anzufassen, während er urinierte.

Der Fall hat einige Kuriositäten zu bieten. So ist zum Beispiel das Treffen in der Cannstatter Eckkneipe weitgehend dokumentiert. Renner und die Kollegin saßen genau im Blickfeld der Überwachungskamera gegenüber der Bar. Stundenlang zeichnete die Kamera auf, wie er sich der Kollegin näherte. Es kam zu Küssen und Zärtlichkeiten. Was jedoch vor der Tür geschah, der eigentliche Tatvorwurf, dafür gibt es keine weiteren Zeugen. Stundenlang wurden im Verfahren die Aufnahmen aus der Kneipe gezeigt – und danach debattiert, wer denn nun mehr Initiative gezeigt hätte.

Was berichten Frauen über Renners Vorgeschichte?

Im Laufe des Verfahrens kamen mehrere Geschichten ans Licht, die in der Vergangenheit spielten, bei denen Renner zum Teil ähnliche Vorlieben auslebte wie bei dem mutmaßlichen Übergriff. Eine Polizeibeamtin, der er geholfen haben soll, in den höheren Dienst zu gelangen, hatte entsprechende Nacktfotos vom Inspekteur erhalten. Auch wenn die Fotos laut der Frau einvernehmlich geschickt wurden, hinterließ dieser Fakt dennoch einen bestimmten Eindruck in dem Verfahren. Eingeführt wurden auch Chatnachrichten des damaligen Partners jener Frau, der Renner unter anderem dafür beschimpfte, sich nackt im Kinderzimmer fotografiert zu haben.

Auch eine Frau, die von Renner auf einer Silvesterparty in der Eckkneipe angesprochen wurde, sagte aus. Sie berichtete, wie er sie zu ähnlichen sexuellen Handlungen vor die Tür bitten wollte, wie sie die Anklage nun Renner vorwirft. Sie musste sich extrem hartnäckige Fragen des Vorsitzenden Richters und der Beisitzerin gefallen lassen.

Zu den Kuriositäten zählt auch, dass weitere Verfahren starteten, noch während der Strafprozess lief. Eines bezieht sich auf die Pressemitteilung der Verteidigerin. Die Nebenklägerin hatte sie angezeigt, weil darin private Details verraten werden. Sie werde in einem schlechten Licht dargestellt, weil behauptet werde, sie hätte sich ältere höhergestellte Männer gezielt ausgesucht.

Viele halten eine Revision für wahrscheinlich

Für Rohne war seit dem ersten Tag ein Detail wichtig: Das Strafrecht wurde im Jahr 2016 geändert. Das sollte die Rechte der Opfer stärken. Es ist seither nicht mehr zwingende Voraussetzung, dass das Opfer „einen erkennbaren Widerstand“ zeigt. Im Paragrafen 177 ist geregelt, dass sexuelle Handlungen auch dann als Nötigung gewertet werden, wenn das Opfer „ein empfindliches Übel“ befürchten muss – im vorliegenden Fall erhebliche berufliche Nachteile.

Mit dem Urteil am Freitag kann Renners berufliche Laufbahn zu Ende sein: Bei einer Bewährungsstrafe ab einem Jahr verliert er automatisch seinen Beamtenstatus. Ob mit dem Urteil das letzte Wort in dem Fall gesprochen ist, ist noch nicht gesagt. Allen Parteien steht, so sich ein Revisionsgrund findet, die Möglichkeit offen, Rechtsmittel einzulegen. Ob Freispruch oder Verurteilung: Damit wird wohl zu rechnen sein.