Emmanuel Macron lässt sich am Samstag von seinen Anhängern feiern. Foto: dpa/Thomas Coex

Kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich macht Marine Le Pen Boden gut. Staatschef Macron berichtigt hastig seinen Kurs.

Wird es zum Schluss doch spannend? Monatelang schien Emmanuel Macron seine Wiederwahl sicher zu haben. In der Covid-Krise und dem Ukraine-Krieg legte der seit fünf Jahren amtierende Staatschef dank einer bewussten Beschützerpose kräftig zu: Für den ersten Wahlgang wurden ihm mehr als 30 Prozent prophezeit, doppelt so viel wie seiner schärfsten Rivalin Marine Le Pen. Der erste Wahlgang ist am 10. April.

Jetzt rückt die Chefin des Rassemblement National aber näher. Laut neuester Umfrage von Sonntag kommt Le Pen auf 22 Prozent. Das wären nur fünf Prozentpunkte weniger als Macron. Die zwei Widersacher von 2017 haben damit beste Chancen, auch in die Stichwahl am 24. April einzuziehen. Der Rechtsaußen Eric Zemmour, der Linke Jean-Luc Mélenchon und die Konservative Valérie Pécresse scheinen abgeschlagen.

Fokus auf ersten Wahlgang

Gefährlich für Macron würde es, wenn Le Pen sogar den ersten Wahlgang für sich entscheiden würde. Das würde ihr eine starke Dynamik verleihen – und die Vorzeichen im Vergleich zu 2017 umkehren. Im zweiten Wahlgang werden der Populistin derzeit 47 Prozent eingeräumt, während Macron auf bis zu 53 Prozent kommt. Dieser Abstand ist nicht mehr größer als die Fehlermarge in den Umfragen.

All diese Zahlenspiele sind bisher sehr virtuell; sie beruhen einzig auf den Internetbefragungen der Umfrageinstitute. Trotzdem kommentieren die Pariser Medien bereits, der Staatschef sei „in der Defensive“. Im Macron-Lager – und nicht nur dort – schrillen die Alarmglocken. Bisher hatte der Präsident versucht, sich als Staatenlenker in Kriegszeiten aus dem Klein-Klein der Politik herauszuhalten. Vor dem ersten Wahlgang ließ er sich auf kein TV-Streitgespräch ein; sein vor zwei Wochen vorgestelltes Wahlprogramm präsentierte er wie nebenbei.

Am Samstag organisierte Macron eine einzige Wahlveranstaltung. Was als Pflichtübung gedacht war, diente ihm nun aber dazu, das Steuer herumzureißen. Vor 35 000 Anhängern nahm er in der La Défense Arena westlich von Paris nicht etwa Kurs nach rechts, wo bisher der Schwerpunkt der ganzen Kampagne gelegen hatte. Vielmehr predigte er Solidarität und Gleichheit, sozialen Fortschritt und öffentlichen Dienst. In einem zweistündigen Soloauftritt bemühte er immer wieder das neue Schlagwort des Wahlkampfes, die „Kaufkraft“. Steigende Preise für Benzin, Heizöl oder Nahrungsmittel machen gerade den Geringverdienern zu schaffen – und die wählen häufiger Le Pen als Macron, der das Stigma eines „Präsidenten der Reichen“ trägt.

Sparen ist out

Macron bestätigte in La Défense zwar, dass er das Rentenalter von 62 auf 65 Jahre erhöhen und die Arbeitszeit verlängern wolle. Neu gedenkt er die Mindestrente von 1000 auf 1100 Euro zu erhöhen. Erwerbstätigen verspricht er eine steuerfreie Kaufkraftprämie von bis zu 6000 Euro im Jahr. Außerdem will er 50 000 Pflegekräfte einstellen, nachdem er schon 10 000 Polizisten angeworben hatte.

Im Wahlkampf 2017 hatte Macron noch den Abbau von 50 000 Beamten versprochen. Das ist nun vergessen. Sparen ist out. Allein für die Stabilisierung der Strom- und Gaspreise hat Macron bereits 20 Milliarden Euro lockergemacht, wie er seinen Anhängern zurief. Alleinerziehenden Müttern verspricht er mehr Hilfen, außerdem den Arbeitslosen höhere Zulagen.

Diese Bevölkerungsgruppen neigen alle Le Pen zu. Die Rechtspopulistin war die Erste gewesen, die vor allen anderen erkannt hatte, dass das Thema Kaufkraft für einen Großteil der Wählerschaft von erstrangiger Bedeutung ist – noch vor der Ukraine oder der Pandemie. Das zahlt sich nun für sie aus.