Marius Sältzer ist Professor für „Digital Social Science“ an der Universität Oldenburg. Foto:  

Der Politikwissenschaftler Markus Sältzer hat 2,1 Millionen Tweets untersucht, um Positionen von Politikern anhand ihrer Beiträge in den sozialen Medien zu erfassen. Wie haben die Sozialen Medien die politische Kommunikation verändert?

Soziale Medien können erhebliche Auswirkungen auf die politische Landschaft haben. Wir haben mit dem Politikwissenschaftler Marius Sältzer über unüberlegte Posts, Algorithmen und die Twitter-Übernahme durch Elon Musk gesprochen.

Herr Sältzer, Sie haben 1,2 Millionen Tweets von Politikern untersucht. Was waren ihre erstaunlichsten Erkenntnisse?

Ich finde es bemerkenswert, wie stark sich die Kommunikation der AfD von anderen Parteien unterscheidet. Die AfD grenzt sich durch ihre Positionierung und Terminologie ab – das gilt bekanntermaßen besonders in Bezug auf Migrationsthemen. Die AfD verwendet dabei gezielt polemische Begriffe wie „Messermädchen“, die andere Parteien bewusst so nicht verwenden würden.

Wie haben soziale Medien die politische Kommunikation in den letzten Jahren verändert?

Soziale Netzwerke ermöglichen Politikern einen direkten Zugang zur Öffentlichkeit, den sie in der Form vorher nicht hatten. Heute kann sich jeder eine Plattform aufbauen. Das eröffnet große Chancen für den einzelnen Abgeordneten. Eine Karriere wie die von Karl Lauterbach wäre ohne Soziale Medien undenkbar gewesen. Ohne Twitter wäre Lauterbach vermutlich nie Minister geworden, wenn es den öffentlichen Druck durch seine Medienpräsenz nicht gegeben hätte.

Auf Twitter kann man sich schnell und einfach zu einem Thema positionieren: Führt das häufig zu unüberlegten Postings?

Unsere aktuelle Analyse zeigt, dass etwa fünf Prozent der Tweets aus unseren Daten wieder gelöscht wurden. Neben unüberlegten Aussagen können aber auch Rechtschreibfehler ein Grund sein. Oder strategische Überlegungen. Während der US-Vorwahlen zum Beispiel haben einige Kandidaten ihre Loyalität zu Donald Trump bekundet. Bei den Hauptwahlen, als sie dann gegen die Demokraten angetreten sind, haben sie diese Tweets wieder gelöscht.

Ausgerechnet Republikaner haben Ihre Tweets für Trump wieder gelöscht? Warum?

Besonders konservative Republikaner, die Trump in den Vorwahlen unterstützt haben, wollten dem Kandidaten so die Möglichkeit geben, sich stärker als Kandidat zu präsentieren, der für die Mitte wählbar ist. Die Unterstützung der Radikalen war wichtig in den Vorwahlen, aber konnte im eigentlichen Wahlkampf um das Repräsentantenhaus auch schädlich sein.

Einige Politiker haben sich seit der Twitter-Übernahme durch den Milliardär Elon Musk von der Plattform abgemeldet. Was wäre eine geeignete Alternative?

Der Nutzen eines sozialen Mediums hängt vom Publikum ab: Wenn sich alle Journalisten bei einer anderen Plattform anmelden würden, wäre diese Plattform auch für Politiker attraktiv. Natürlich sehe ich die Twitter-Übernahme durch Elon Musk kritisch. Ich befürchte aber, dass es für den Zweck, den Twitter in der politischen Welt erfüllt, so schnell keine Alternative geben wird.

Algorithmen filtern, was wir in den Sozialen Medien sehen. Welche Auswirkungen kann das auf die politische Meinungsbildung haben?

Solche Effekte sind nichts Neues: Mediennutzer wählen auch nach Präferenz aus, welche Zeitung sie lesen. Solange es neben Sozialen Medien noch andere Informationsquellen gibt, sehe ich da kein Problem. Erst wenn wir andere Optionen als nicht existent wahrnehmen, verzerrt sich unser Blick auf die Realität.

In den Sozialen Medien gibt es immer wieder Debatten wie die über sexuelle Belästigung, die durch die „MeToo“-Bewegung angestoßen wurde. Welchen Einfluss haben solche Debatten auf die Politik?

Die Sozialen Medien interagieren mit den traditionellen Medien. Die aktuelle Rammstein-Debatte hat in den Sozialen Medien angefangen und wurde von der traditionellen Berichterstattung aufgegriffen. Diskussionen entstehen auch, wenn traditionelle Berichterstattung in den Sozialen Netzwerken geteilt wird.

Sind Soziale Medien ihrer Meinung nach Fluch oder Segen für die Politik?

Es gibt ein gewisses Maß an Demokratisierung, aber auch an Kontrollverlust. Die Parteiführung hat schlechter als vorher im Griff, wie sich der einzelne Abgeordnete äußert. Soziale Medien haben aber auch das Potenzial größere Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Sie sind nicht mehr wegzudenken. Statt darüber zu jammern, sollten wir uns eher die Frage stellen, was sich in der Praxis verbessern lässt – beispielsweise in Bezug auf die Moderation, das heißt das Beiträge kontrolliert und bei Verstoß gegen bestimmte Vorschriften gelöscht werden.

Inwiefern können Soziale Medien gefährlich für die Demokratie sein?

Durch die tendenzielle Anonymität sinkt die Hemmschwelle für Beleidigungen, Drohungen und Volksverhetzung. Verschiedene Meinungen führen zu Polarisierung. Die Frage ist, ob Konflikte durch die sozialen Medien entstehen oder nur vermehrt sichtbar werden. Außerdem sind sie ein erstaunlich gutes Instrument für einseitige politische Kommunikation und zielgruppenorientierte Werbung. Das kann zu Propaganda führen und macht es für Akteure mit problematischen Inhalten einfacher.

Zur Person

Marius Sältzer
hat Wirtschaft und Politikwissenschaften in Mannheim und Hamburg studiert. Er ist im Februar 2023 auf die Professur für „Digital Social Science“ am Institut für Sozialwissenschaften an der Universität Oldenburg berufen worden.