Oliver Class bei „Über Kunst“ in der Staatsgalerie Foto: St./Steffen Schmid

Um geraubte Millionenwerte wieder zu bekommen, greift Oliver Class, Leiter der Kunstversicherungssparte der Allianz Suisse, auch tief in die Trickkiste. Wie – das verriet er in der Gesprächsreihe „Über Kunst“ unserer Zeitung in der Staatsgalerie Stuttgart.

Die Klischees, die man mit seinem Berufsstand verbindet, sind Oliver Class durchaus geläufig. „Versicherungsleute sind humorlos und diskret“, sagt er im Gespräch mit Nikolai B. Forstbauer, Autor unserer Zeitung. Das erste dieser Klischees widerlegt er am Dienstagabend in der Staatsgalerie Stuttgart als Gast der Gesprächsreihe „Über Kunst“ unserer Zeitung schnell. Das zweite bestätigt er eher noch. „Ich würde Ihnen jetzt gerne viele Dinge erzählen, von Sammlern und Sammlerinnen, von Sammlungen“, sagt er, „von Kunstwerken, die Sie nicht sehen und auch nie sehen werden – aber das kann ich natürlich nicht.“

1963 geboren, studierte Oliver Class in Stuttgart Kunstgeschichte, Geschichte und Politikwissenschaften, agiert seit drei Jahrzehnten international als Kunstsachverständiger und leitet seit 2004 die Kunstversicherungssparte der Allianz Suisse in Zürich.

Was die Kunstversicherung abdeckt

Sein Arbeitsbereich? „Wenn Sie zum Beispiel in einer schönen Villa auf dem Killesberg im Sommer die Terrassentür auflassen“, sagt Class, „es kommt einer ins Haus und nimmt den Baumeister mit, dann wäre das von einer Kunstversicherung abgedeckt.“ In einem festen, vorab festgelegten Wert.

Die Werte, die die Allianz Suisse im Kunstbereich versichert, nicht nur in privaten Sammlungen, sondern vor allem auch in großen Museen und in Ausstellungen, sind beträchtlich. Und im Hinblick auf sie bleibt Oliver Class diskret. Dem Umstand, dass manche Sammler Kunst aufkaufen, sie in Depots einlagern und der Öffentlichkeit entziehen, misst er geringere Bedeutung zu. Natürlich, sagt er, entstünde so gewissermaßen eine Parallelwelt – „aber historisch gesehen ist das bei uns weniger ausgeprägt. Es gab schon immer Kunst in privatem Besitz.“ Stattdessen sieht Class, nicht zuletzt in Baden-Württemberg, Sammler, die ihre Häuser konsequent öffnen.

Die Staatsgalerie Stuttgart ist Kooperationspartner und Bühne der „Über Kunst“-Reihe unserer Zeitung Foto: Steffen Schmid/Steffen Schmid

Die Kosten großer Ausstellungen sind stark gestiegen. Dabei sinken Margen der Versicherer seit Jahrzehnten, während der Wert der Werke an sich ein Vielfaches beträgt. Anlässlich einer Van-Gogh-Ausstellung in Basel wurde vor Jahren erstmals eine Versicherungssumme von mehr als einer Milliarde US-Dollar erreicht. „Eine enorme Finanzkraft ist nötig, um solche Ausstellungen zu ermöglichen. Wenn die Museumswelt nicht völlig naiv ist, was ich nicht glaube“, sagt Class, „sollte sie sich über dieses Thema einmal Gedanken machen.“

Mehr Nachhaltigkeit – mehr Risiko?

Dass Lufttransporte mittlerweile mit enormen Versicherungssummen belastet werden, entsetzt auch den Versicherer. Class hat Einsicht in die Ziele des Klimaschutzes, weiß aber auch, dass alternative Transportwege bei großen Strecken, „etwa zwischen Paris und Osaka“, kaum infrage kommen. „Da muss man in den sauren Apfel beißen“, sagt er. Und große Ausstellungen wie die kommende Amedeo-Modigliani-Ausstellung der Staatsgalerie Stuttgart möchte er kaum missen.

Wird der Kunstversicherungsexperte selbst zum Besucher von Ausstellungen, bemüht er sich, nicht nur die Problemfelder zu sehen, die sein Beruf ihm nahelegt – „das wäre schlimm“. Mangelhafte Sicherheitsstandards registriert er gleichwohl: „Die sind teilweise erschreckend.“

Echt? Die App kann nicht entscheiden

Und wie ist es mit der Echtheit von Kunstwerken? Urteile über die Authentizität von Kunstwerken seien Aufgabe von Wissenschaftlern und Gremien, sagt Class. Eines aber beschäftigt ihn dann doch: die Echtheitserklärung per App. Der Künstlichen Intelligenz erteilt Class hier eine klare Absage: „Kein Bauer“, sagt er „wird Kälber kaufen, ohne die Kälber in natura gesehen zu haben.“

Der Sachverständige als Kurator

Für Trends wie die „Non-fungible Tokens“ (NFT) kann Class sich kaum begeistern – nicht nur, weil solche Werke naturgemäß nicht zu versichern sind. Er macht auf anderes aufmerksam. Ja, sagt er, die klassische Moderne und speziell der Impressionismus stellten verlässliche Werte dar. An sich aber sei der Kunstmarkt spürbar in Bewegung. Class verweist auf Antiquitäten – diese hätten außerhalb musealer Spitzenstücke deutlich an Bedeutung für den Markt verloren.

Im Publikum: Galeristin Imke Valentien und der als Foto-Spezialist international gefragte Verleger und Kurator Markus Hartmann Foto: St./Steffen Schmid

Die Fotografie indes scheint Oliver Class als künstlerische Ausdrucksform angekommen zu sein – nicht nur in der Ausstellung „Images oft the Present“, die aktuell in „The Gällery“ im Altbau der Staatsgalerie zu sehen ist. Bei der Ausstellung „Fortschritt und Risiko“, die am 23. Oktober in der Fondation Herzog in Basel eröffnet wird, ist Oliver Class erstmals auch als Kurator aktiv – zu sehen sein wird eine Auswahl historischer Alltagsfotografien, die das Risiko jedweden Fortschritts spiegeln. „Dass das Thema der Ausstellung auch mit meiner eigenen Geschäftstätigkeit zu tun hat, finde ich natürlich sehr spannend“, sagt er.

Was Oliver Class selbst sammelt

Sind seine eigenen Kunstwerke versichert? Oliver Class antwortet überraschend: „Was wir sammeln, ist eher unwert.“ So hat er, häufig im Flugzeug unterwegs, etwa dies zusammengetragen: „Tüten, wie Sie sie im Flugzeug bekommen, wenn es Ihnen schlecht wird. “ Eine Sammlung zuvorderst von persönlichem Wert. „Eine Versicherung“, sagt der gebürtige Westfale Oliver Class, „ist da verzichtbar. Der Schwabe spart sich sein Geld.“